Der Stern - 29.08.2019

(Tina Meador) #1

M


ontagmorgen – und
das E-Mail-Postfach
von Ulrich Zimmer-
mann ist schon wieder
prall mit Ange boten
gefüllt. Der 68-Jährige
betrachtet sie durch
eine silberne Brille:
„Das hier kommt aus China. 120 000
Kaffeebecher.“ Eigentlich, sagt die
Mail, habe Kaufland die Gefäße be-
stellt. Sie konnten aber nicht pünkt-
lich geliefert werden. Jetzt wollen
die Chinesen sie für 42 Cent pro
Stück irgendwie loswerden. Zim-
mermann streicht sich durch sein
graues Haar: „Mmh, könnten wir für
79 Cent verkaufen. Aber 120 000?
Das ist mir zu viel.“
Die nächste Offerte: Ein Krefelder
Insolvenzhändler bietet 2414 Pop-
corn-Automaten von Coca-Cola à
13,90 Euro an. Ware, die eigentlich in
Frankreich und Dänemark verkauft
werden sollte. „Da ist wohl ’ne Ak-
tion geplatzt“, sagt Zimmermann.
„Mal schauen, was geht ...“ Eilig
klickt er mit der Maus durch sein
Warenwirtschaftssystem. „Bei uns
wird jeder Furz und Feuerstein vom
Computer erfasst!“ Nach einer knap-

drink. Für 3,99 Euro Crocs-Imitate
oder zwei verrostete Metallkatzen
als Vorgartenschmuck. Und für
7,99 Euro 15 blasse Bratwürste oder
Pferdebettwäsche. „Mehr als du
denkst!“, heißt der Firmenslogan –
und die Kunden füllen ihre Ein-
kaufswagen, als gäbe es kein Morgen.
Am Ende bezahlen sie durchschnitt-
lich 13 Euro. „Das Geheimnis ist“, sagt
Zimmermann, „man muss ihnen
immer idiotischere Preise bieten.“

Batman-Drohnen und Kaffee


Der Chef überfliegt noch ein paar
Mails. Ein Italiener trägt ihm Jacobs-
Krönung-Kaffee an, 500 Gramm für
2,61 Euro, mit baltischem Aufdruck.
Wahrscheinlich Re-Importware aus
Litauen, wo Lebensmittel viel billi-
ger sind. „Da müssten wir ein deut-
sches Etikett draufkleben.“ Ein
Holländer hat 1176 Batman-Droh-
nen aus einer Havarie, ein Deutscher
palettenweise Milka-Schokolade,
100 Gramm für 49 Cent. Zimmer-
mann lässt wieder die Maus kreisen:
„Globus in Leipzig verkauft Milka
gerade für 55 Cent. Zu wenig Marge
also, selbst wenn man den Preis
noch ein paar Cent drückt.“

pen Minute winkt er ab: „Zu teuer.
Wir hatten die Dinger schon mal für
9,99 Euro im Verkauf.“
Zimmermann, Betriebswirt und
Chef der Discountkette „Zimmer-
mann“, ist ein Postenjäger. Unent-
wegt lauert er Ware auf, die die Über-
fluss-Industriegesellschaft billigst
abwirft. Stimmt der Preis, macht er
schnell Millionen locker. „Wer zu-
letzt bestellt“, sagt er, „den bestraft
das Leben.“ Was er kauft, ist ihm
ziemlich egal – Klobürsten, Wasch-
pulver, Damenbinden, Schlauch-
boote, Filzschreiber, Osterhasen,
Bratpfannen, Partyschmuck, Spiel-
zeugpanzer. Er legt auch keinen
Wert auf Qualität, „die können wir
gar nicht abbilden“. Er nimmt ein-
fach alles, was sich auch nur mit ein
paar Cent Gewinn in seinen 41 gelb-
roten Filialen zwischen Oldenburg,
Mainz und Magdeburg verhökern
lässt.
Die Kargheit seiner Läden lässt
an die Ur-Aldis denken. Außerdem
riechen sie alle gleich: süßlich-
chemisch. Für 77 Cent bekommt
man ein Glas Krautsalat oder eine
LED-Solarlampe. Für 1,99 Euro eine
Lesebrille oder drei Liter Energy-

Ramschhändler
Ulrich Zimmermann
(M.) mit Söhnen
Sven (l.) und Marc-
Philip: Spottbillig
muss es sein –
Qualität ist Neben-
sache


94 29.8.2019
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