Der Stern - 29.08.2019

(Tina Meador) #1
Rolf-Herbert Peters
(l.) und Fotograf
Philipp von Ditfurth
staunten, was es
auf der IAW-Messe alles zu kaufen gibt.
Im Angebot waren auch palettenweise
Amazon-Retouren

da kannst du – Hey, wie geht’s? –
nicht allzu viel falsch gemacht ha-
ben.“ Fast jeder hier kennt ihn, hat
er doch die „Internationale Aktions-
waren- und Importmesse“ (IAW-
Messe) vor 15 Jahren gegründet, um
leichter an den Stoff zu kommen.
Wer über die Messe läuft, be-
kommt einen Eindruck, was globa-
ler Warenüberfluss bedeutet. Die
Produkte der 350 Aussteller aus
17 Ländern türmen sich entlang der
Wege. Trinkgläser und Rundgrills,
Kleidung und Schuhe, Rasierschaum
und Deoroller, Autobatterien und
Kopfhörer, Hämmer und Häcksler,
Teak-Tische und Weidenkörbe,
Kunstweihnachtsbäume und Mani-
küre-Sets. Woher sie stammen? Dis-
kretion! Die Händler verraten nur:
aus Überproduktionen, Retouren,
Pleiten, abgebrannten Fabriken.
Viele Artikel werden auch eigens für
den Ramschmarkt produziert.

Hauptsache, saubere Lager


Immer wieder sind auch Marken-
artikel im Angebot: Adidas-Shirts,
Pampers-Windeln, Colgate-Zahn-
pasta. Zimmermann erklärt, dass
Konzerne regelmäßig Produkte re-
launchen, also die Inhaltsstoffe oder
die Verpackung leicht ändern. Dann
geben sie die Altware zum Spott-
preis ab. „Weg mit Schmerz“, sagt er,
„Hauptsache, saubere Lager.“ Händ-
ler wie er brauchen Markenartikel
für die Wochenprospekte – sie
locken die Kunden an.
Er nippt am Kaffee. Dann muss er
zu seinem eigenen Messestand,
schließlich ist er auch Großhändler.
Was er in den eigenen Filialen nicht
loswird, gibt er an Wettbewerber
weiter. In Lkws reist die Ware kreuz
und quer durchs Land zum Kunden.
Nun dröhnt Musik durch die
Halle. Ein Mann, der ein bisschen
aussieht wie der Wetteransager
Sven Plöger, greift zum Mikrofon.

Es ist Moderator Stefan Grimm, den
Zimmermanns Messefirma we-
gen seiner Expertise gebucht hat.
Grimm eröffnet die Workshops auf
der Messebühne. Auch Postenhänd-
ler müssen sich fortbilden, denn
selbst für Profis ist dieser graue
Markt kaum mehr zu überblicken.
Immer mehr Billigware wird über
Amazon und Ebay an die Verbrau-
cher verhökert. Noch schneller,
noch diskreter.
Grimm selbst betreibt in einem
ehemaligen Einfamilienhaus in
Solingen Europas größte Plattform
Restposten.de. Hier treffen Anbieter
und Abnehmer aus 97 Nationen auf-
einander. Er sagt: „Wir haben allein
im vergangenen Monat Produkte im
Wert von 2,5 Milliarden Euro bewegt.“
Ständig verfolgt er Preisbildung und

Warenströme: „Man kann am Ende
nicht richtig nachvollziehen, was
in dieser Welt der überschüssigen
Wirtschaftsgüter so alles abgeht.“
Auch er hat keine Erklärung dafür,
warum die Non-Food-Discounter
ausgerechnet in Deutschland so er-
folgreich sind. Ein anderer Experte,
Joachim Stumpf von der Münchner
BBE Handelsberatung, meint: „Wir
sind die Schnäppchenjäger Europas.“
Zimmermann glaubt, dass wir
Deutschen, die wir alle im Schnitt
rund 10 000 Dinge besitzen und
eigentlich nichts mehr brauchen,
uns nach Konsumkicks sehnen – die
er mit seiner Ware liefert. Sicher ist:
Non-Food-Discounter sind keine
Armenhäuser. „Mit Kaufkraft hat
das alles nichts zu tun“, sagt der
Fachmann Stumpf.
Umweltschützer verfolgen den
Billig-Boom mit Sorge. „Absoluter
Plastikmüll, den niemand braucht“,
sagt Viola Wohlgemuth, die Kon-
sum- und Chemieexpertin bei
Greenpeace. „Die Produkte sind oft
nicht mal UV-beständig, sodass der
größte Teil gleich weggeworfen
wird.“ Viele seien auch von vorn-

herein als „Saisonartikel für nur
eine Woche“ ausgelegt,. Neben Fast
Fashion gebe es inzwischen auch
Fast Deko (etwa: Lichterketten) und
Fast Furniture (etwa: Badezimmer-
schränke). „Würde man die Umwelt-
kosten der Ware mit einberechnen,
gäbe es solche Läden erst gar nicht“,
sagt Wohlgemuth.
In Oldenburg öffnet der Posten-
könig Zimmermann eine weitere
Tür. Sie führt in eine Ausstellungs-
halle – so groß wie ein Kaufhaus.
Regale über Regale mit ansehnlich
verpackten Produkten, die er unter
dem Label „Haushalt International
HI“ in Asien fertigen lässt. Garten-
schläuche, Backformen, Handtücher,
Ladekabel, Klodeckel, Spaten, Töp-
fe, Weihnachtskugeln.
In der Adventsecke zieht er eine
LED-Weihnachtsstadt aus dem Regal.
Das Holzbauwerk hat die Anmu-
tung der Volkskunst aus dem Erzge-
birge. Es wurde aber von asiatischen
Robotern aus Sperrholz gelasert.
„Den Unterschied sieht man nur an
den schwarzen Brandrändern“, sagt
Zimmermann. Im Erzgebirge koste
so was mindestens 100 Euro, bei ihm
6,99 Euro. Ein Saisonartikel, der nach
Gebrauch im Müll landet. Fast
Christmas.
Zimmermanns Sohn Marc-Philip,
der die HI-Abteilung verantwortet,
behauptet, Kunden sperrten sich
geradezu gegen mehr Nachhaltig-
keit. „Würden wir bei Bratpfannen
zwei Euro mehr für die Produktion
ausgeben, hätten wir sofort ein lang-
lebiges Produkt. Aber eine solche
Nachfrage gibt es nicht.“
Und am Ende leiden wieder asia-
tische Billiglöhner für den deut-
schen Geiz? Man bemühe sich um
anständig zahlende Fabrikanten,
sagt Ulrich Zimmermann. „Aber in
allen Zeiten hat eine Generation den
Hintern herhalten und sich aus-
beuten lassen müssen. Wie einst die
Weber in Deutschland. Ob ich das
gut finde oder nicht.“ 2

SAISONARTIKEL –


GEFERTIGT FÜR


NUR EINE WOCHE


Stefan Grimm betreibt
die Solinger Platt-
form Restposten.de.
Jeden Monat werden
per Internet
Ramsch und Posten
in Milliardenhöhe
gehandelt. Herkunft:
oft unklar


96 29.8.2019
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