Der Spiegel - 31.08.2019

(lily) #1

VICTOR MORIYAMA / GREENPEACE


Brennender Amazonasregenwald
Erbarmungsloser Kampf gegen die Natur

11

Titel

D


er Wald schreit, wenn er stirbt.
Ein unheimliches Knistern liegt
in der Luft. Es stammt von den
braunen Blättern und Zweigen,
sie krümmen sich in der Hitze und reiben
im Wind aneinander, bevor sie schwer auf
den verkohlten Boden prasseln. Vögel sind
nicht mehr zu hören. Nur das Singen von
Zikaden, die das Inferno überlebt haben.
Ab und zu ein lautes Krachen, dann ist
wieder ein Urwaldriese umgestürzt. Die
ausgetrockneten Stämme brechen wie
Mikadostäbchen.
Sekundenschnell springt das Feuer von
Baum zu Baum, Hektar für Hektar frisst
es sich durch den Regenwald. Große Teile
des Schutzgebiets vor den Toren der Ama-
zonasgroßstadt Porto Velho sind bereits
Opfer der Flammen geworden.
Wer hat den Brand gelegt? Valdemiro
Ribeiro de Souza zuckt die Schultern:
»Keine Ahnung, vielleicht der Farmer dort
drüben.« Mit einem Kopfnicken weist er
auf ein eingezäuntes Grundstück auf der
anderen Seite der Straße. Ein Bauernhaus,
niemand ist zu Hause, nur zwei Hunde
kommen bellend angelaufen.
Ribeiro de Souza ist Kleinbauer, vor
sechs Jahren ist er mit seiner Frau Iranilda
aus dem benachbarten Bundesstaat Acre
gekommen. Hier sei das Leben billiger,
sagt er. Ihre Holzhütte haben sie selbst
gezimmert, dahinter Orangenbäume und
Limonensträucher gepflanzt. Am Hori-
zont sieht man die Hochhäuser von Porto
Velho, der Hauptstadt des Bundesstaats
Rondônia. Die Region ist ein Epizentrum
der brasilianischen Brandkatastrophe.
Das Muster der Zerstörung ist immer
gleich: Erst gehen die Holzfäller in den
Wald und holen die wertvollsten Stämme.
Dann, kurz vor der Trockenzeit, im Juni
oder Juli, kommen die Farmer und »säu-
bern« das Gelände. Viele spannen einfach
eine Kette zwischen zwei Traktoren und
reißen die Vegetation nieder, »correntão«
nennt sich das. Andere schicken Hilfs -
arbeiter mit Motorsägen und Äxten in den
Busch. Wenn es danach eine oder zwei
Wochen lang nicht geregnet hat, fackeln
sie alles ab, ein Kanister Benzin reicht.
Im November oder Dezember, wenn
der Regen kommt, säen die Landwirte auf
den brandgerodeten Flächen Weidegras
aus. Die Asche enthält viele Nährstoffe,
sie düngt den sauren Urwaldboden. Einige
Monate später weiden Rinder zwischen
den Baumstümpfen, dort, wo einst Urwald
war; es wird Soja angepflanzt oder Mais.
Jedes Jahr gehe das so, sagt Ribeiro de
Souza, »zur Trockenzeit brennt der Wald«.
Aber dieses Jahr sei es besonders schlimm.
»Seit Mai hat es nicht geregnet. Ein Streich-
Free download pdf