Der Spiegel - 31.08.2019

(lily) #1

DER SPIEGEL Nr. 36 / 31. 8. 2019 117


Nachrufe


David Koch, 79
Nur einmal bewarb er sich um ein politisches Amt: Im Jahr
1980 bemühte sich David Koch, schon damals ein schwer-
reicher Unternehmer, um den Posten des US-Vizepräsiden-
ten. Das Ergebnis war kläglich: Zusammen mit Ed Clark,
dem Spitzenkandidaten der Libertarian Party, holte er
1,1 Prozent der Stimmen. Fortan nahm der Geschäftsmann
lieber mit seinem Vermögen Einfluss. Der radikale Wandel
der US-Politik in den vergangenen beiden Jahrzehnten ist
nicht ohne die vielen Millionen Dollar zu erklären, die
Koch und sein Bruder Charles zur Förderung der eigenen
Interessen ausgaben. Die beiden verdienten ihr Geld im Öl-
und Chemiegeschäft, und beide waren der Meinung, dass
nur ein schwacher Staat ein guter Staat sei. Bewegungen
und Politiker, die sich dieser Idee verpflichtet sahen, konn-
ten auf die diskrete Hilfe der Koch-Brüder hoffen: von der
Tea Party bis hin zum amtierenden Außenminister Mike
Pompeo. Koch liebte niedrige Steuern und laxe Umweltvor-
schriften; beides war gut fürs Geschäft. David Koch starb
am 23. August in Southampton, New York. RP

Jessi Combs, 39
Sie wollte die schnellste
Frau der Welt werden und
kam bei dem Versuch, einen
neuen Geschwindigkeits -
rekord aufzustellen, ums
Leben. Mit Jet Cars, Autos
mit Düsenantrieb, erreichte
die in South Dakota gebore-
ne Rennfahrerin ein Tempo
von bis zu 777 Stundenkilo-
metern. Jessi Combs hatte Fahrzeugbau studiert, Gefallen
an Rennwagen gefunden und sich mit Mitte zwanzig in
einer Auto-TV-Show einen Lendenwirbel gebrochen. Mit
ihrer Energie und ihrem Temperament wurde sie ein Dar-
ling der Rennsportszene und war gern gesehener Gast in
Fernsehsendungen wie »MythBusters – Die Wissensjäger«,
in denen eher männliches Draufgängertum gefeiert wurde.
Sie war eine beliebte TV-Moderatorin und gewann zahlrei-
che Rennen. Anfang dieser Woche setzte sie sich in einen
Jet Car mit über 45 000 PS und verunglückte. Jessi Combs
starb am 27. August in der Alvord-Wüste von Oregon.LOB

Sidney Rittenberg, 98
Er begann als Kommunist
und wurde reich. Diese
Erfahrung teilte Sidney Rit-
tenberg mit dem modernen
China, dessen Geschichte er
so nahe miterlebte wie wohl
kein anderer Amerikaner.
1945 als US-Soldat mit gro-
ßem Sprachtalent und lin-
ker Gesinnung nach China
entsandt, entschied er sich
nach dem Ende des Zweiten
Weltkriegs, dort zu bleiben.
Er lernte Mao Zedong ken-
nen, für den er mehrfach
übersetzte. Wie so viele aus
Maos Umkreis fiel er nach
der Gründung der Volks -
republik in Ungnade und

verbrachte insgesamt 16 Jah-
re in Haft. Dennoch unter-
stützte er die maoistischen
Massenkampagnen, den
»Großen Sprung nach vorn«
und die Kulturrevolution.
1980 kehrte Rittenberg end-
gültig in die USA zurück,
vom Maoismus desillusio-
niert, aber mit einzigartigen
Kontakten in Peking. Diese
Kontakte nutzte er, indem
er US-Unternehmen dabei
half, sich auf dem chinesi-
schen Markt zu etablieren.
Spät erst räumte er ein, dass
er als Maos Propagandist
verblendet gewesen sei:
»Ich habe nicht empfunden,
was anderen damals passier-
te.« Sidney Rittenberg starb
am 24. August in Scottsdale,
Arizona. BZA

Isabel Toledo, 59
Wie groß Isabel Toledos Ta-
lent als Modedesignerin
war, zeigte sich der ganzen

Welt, als Michelle Obama
in einem limonengelben
Kleid mit passendem Man-
tel 2009 zur ersten Amts-
einführung ihres Mannes er-
schien. Toledo hatte das
schillernde Ensemble ent-
worfen, es war ihr gelungen,
Eleganz, Tragbarkeit und
einen frischen, optimisti-
schen Stil in diesem Ent-
wurf zu vereinen, der dem
historischen Moment ange-
messen war. »Wir schwe-
ben – das tun wir wirklich«,
sagte Toledo in einer Live-
übertragung des Senders
CNN, einige Minuten nach-
dem Michelle Obama in
dem Outfit erschienen war.
Die Designerin wurde auf
Kuba geboren, schon mit
acht Jahren lernte sie zu nä-
hen und hielt diese Fertig-
keit für die Grundlage ihres
Könnens. »Die Näherin ist
diejenige, die Mode von in-
nen kennt«, erklärte sie. Als
Mädchen kam sie mit ihrer
Familie nach New York und
lernte in der Highschool ih-
ren späteren Ehemann Ru-
ben Toledo kennen, mit
dem sie über viele Jahre
hinweg auch eine enge Zu-
sammenarbeit verband. To-
ledo arbeitete eine Zeit lang
als Kreativdirektorin der
Marke Anne Klein, sie ent-
warf eigene Kollektionen
und Bühnenkostüme. Im-
mer wieder betonte sie, wie
sehr sie der Entwurf und
die Machart eines Kleides
interessierten, mehr als das
flüchtige Phänomen der
Mode. Isabel Toledo starb
am 26. August in einem
New Yorker Krankenhaus
an Brustkrebs. CLV

BEN GABBE / AFP

YANA PASKOVA/ / NYT / REDUX / LAIF /

NELSON CHING / BLOOMBERG / GETTY IMAGES

FREDERICK M. BROWN / GETTY IMAGES
Free download pdf