Der Spiegel - 31.08.2019

(lily) #1
der ganze Regenwald brennen, es reicht
schon, wenn 20 bis 25 Prozent der Fläche
zerstört sind, dann könnten bald alle Bäu-
me dauerhaft verschwinden. Zu dieser Er-
kenntnis kamen die Klimaforscher Thomas
Lovejoy und Carlos Nobre im vergangenen
Jahr in einer aufsehenerregenden Studie.
Das wäre der ökologische Super-GAU.
Der Mensch hat den ursprünglichen
Baumbestand des Planeten Schätzungen
zufolge bereits auf die Hälfte reduziert.
Derzeit wachsen auf der Erde etwa
3040 Mil liarden Bäume, pro Kopf also
rund 400. Jedes Jahr werden um die
15 Mil liarden davon gefällt oder verbrannt.
Dadurch gehen gigantische Speicher für
Kohlenstoff verloren, und auch deshalb
schreitet der Klimawandel immer schnel-
ler voran. Die vergangenen vier Jahre wa-
ren die wärmsten seit Beginn der Auf-
zeichnungen. Die Wintertemperaturen in
der Arktis sind seit 1990 um drei Grad
Celsius gestiegen.
Die Wälder sind, neben den Weltmee-
ren, die wichtigsten natürlichen Puffer
gegen die Erwärmung. Ohne die Bäume
wird der Kampf gegen den Klimawandel
nicht zu gewinnen sein. Denn der Wald
kühlt nicht nur die Luft, vor allem spei-
chert er den Kohlenstoff, den Autos, Fa-
briken und Rinder freisetzen. Allein der
Amazonasregenwald fixiert 1,4 Milliarden
Tonnen CO
²
jährlich. Im Holz der Bäume
bleibt der Kohlenstoff ge fangen, im besten
Fall für Jahrhunderte. Forscher sprechen
von einer Kohlenstoffsenke.

»Das Amazonasgebiet macht 14 Prozent
dieser weltweiten Kohlenstoffsenken aus«,
sagt die Waldforscherin Kirsten Thonicke
vom Potsdam-Institut für Klimafolgen -
forschung. »Es fällt in diesen Tagen daher
schwer, nicht düster in die Zukunft zu
blicken.«
Kein Wunder, dass der brennende Ama-
zonaswald inzwischen auf der höchsten
Ebene diskutiert wird, dass er Thema war
beim G-7-Treffen der führenden Industrie-
nationen in Biarritz am vergangenen Wo-
chenende. Und dass Emmanuel Macron,
der französische Präsident, in seltener
Emotionalität twitterte: »Unser Haus
brennt.«
Für den brasilianischen Präsidenten ist
das eine kolonialistische Einmischung,
»der Amazonas gehört uns«, das sagt er
immer wieder – und betont, dass es ja die
Industriestaaten gewesen seien, die ihre
Wälder zuerst abgeholzt hätten.
Tatsächlich müssen sich die Industrie-
staaten fragen lassen, ob sie wirklich so
viel besser sind als der Öko-Hooligan Bol-
sonaro. Rindfleisch und Soja aus Brasilien
landen, direkt und indirekt, auch bei euro -
päischen Verbrauchern. Und während in
Brasilien Soldaten entsandt wurden, um
die Feuer zu löschen, kündigt US-Präsi-
dent Donald Trump bereits an, einen Teil
der Regenwälder Alaskas für die Abhol-
zung freizugeben.
Und das ist ja noch nicht alles, in Afrika
dehnen sich die Wüsten aus, werden die
letzten Wälder abgeschlagen, um Feuer-

Titel

Feuer und Holzfäller Waldvernichtung im brasilianischen Amazonasgebiet


Quellen: Inpe, Isa, Hansen/UMD/Google/USGS/Nasa


Brände im August
Waldverlust von 2000 bis 2018
brasilianisches Regenwaldgebiet
indigene Schutzgebiete

BRASILIEN

PERU

KOLUMBIEN

VENEZUELA GUYANA

SURINAM

FRANZ.
GUAYANA

Porto
Velho

BOLIVIEN

Amazonas

500 km

2010 2015 2019

2092

1431

Regenwaldverlust
in Quadratkilometern

589

723

890 914

522

SÜD-
AMERIKA

BRASILIEN

12


holz oder eine Zigarette reichen, um den
Wald anzuzünden, so trocken ist es.« Das
gilt vor allem für die Randzonen der Re-
genwälder, dort, wo der Mensch den Wald
schon geschädigt hat. An Orten wie Porto
Velho etwa. Rund 44 000 Feuer hat Brasi-
liens nationales Institut für Weltraumfor-
schung in diesem Jahr im Land ausge-
macht, mehr als doppelt so viele wie im
gleichen Zeitraum 2018.
Aber es sind nicht nur die Brände, die
in diesem Jahr schlimmer wüten, es ist vor
allem der Präsident, der einen erbar-
mungslosen Kampf gegen die Natur führt.
Jair Bolsonaro, gewählt vor zehn Monaten,
ein Rechtspopulist, der die Farmer gera-
dezu aufgefordert hat, den Regenwald in
Besitz zu nehmen. Allein im Juli ver-
schwand ein Waldgebiet, so groß wie Man-
hattan – und zwar jeden Tag.
Und es brennt nicht nur in Brasilien,
sondern auch in Bolivien. Es brennt in
Alaska und in Sibirien, die Rauchschwa-
den zogen bis nach Kanada, wo die Wäl-
der ebenfalls von Bränden bedroht sind.
Mit dem Amazonasregenwald steht nun
jedoch ein Ökosystem in Flammen, das an
Symbolkraft kaum zu überbieten ist.
Denn kein Wald ist so wichtig für die
Welt wie dieser. Mehr als die Hälfte allen
tropischen Regenwalds der Erde befindet
sich am Amazonas, und wenn er weiter im
bisherigen Tempo zerstört wird, dann könn-
te das Amazonasgebiet irgendwann zur Sa-
vanne werden – mit gravierenden Folgen
für den Rest der Welt. Dafür muss nicht mal

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