Der Spiegel - 31.08.2019

(lily) #1

32%


der Landfläche Deutschlands sind bewaldet
davon

48%


29%


19%


4%

Privateigentum

Eigentum der Länder

Körperschaftswald

Eigentum des Bundes
Quelle: BMEL, dritte Bundeswaldinventur

umzuwandeln. Doch das dauert. Und die
Zeit spielt gegen die Landesförster. Jedes
neue Feuer, jeder Windbruch, jeder Kahl-
schlag trocknet die Landschaft weiter aus.
Am Ende droht Versteppung – besonders
Brandenburg wäre wohl betroffen.
Nun rächt sich, dass der Waldumbau
nicht viel früher und entschiedener voran-
getrieben wurde. Denn Wälder sind weit
mehr als eine Ansammlung von Bäumen.
Sie bestimmen, wie viel Wasser eine Land-
schaft halten kann. Sie beeinflussen das
Mikroklima, können jedoch auch weit da-
rüber hinaus wirkmächtig sein, das Wetter
und selbst die großklimatischen Verhält-
nisse beeinflussen. Kurz: Sie sind die na-
türliche Klimaanlage, die die Menschheit
jetzt so dringend braucht.
Dabei gilt: Je größer, gemischter und na-
türlicher der Wald, desto positiver sind die
Effekte auf Wasserhaushalt, Temperatur
und Klima.
»Die größte Menge an Kohlenstoff ak-
kumulieren alte Wälder, und zwar nicht
nur im lebenden Holz«, sagt der Ökologe
Pierre Ibisch von der Hochschule für nach-
haltige Entwicklung in Eberswalde. Auch
im Totholz, vor allem aber im Boden wer-
de Kohlenstoff für viele Jahre gespeichert.
»Je komplexer die Ökosysteme, desto
mehr Energie und damit auch Kohlenstoff
wird im System gehalten«, sagt der Pro-
fessor. Und je naturnäher der Wald, desto
mehr Kohlendioxid könne auch eingefan-
gen werden.
Genau aus diesem Grund sind die gro-
ßen borealen Nadelwälder Alaskas, Kana-
das, Nordeuropas und Sibiriens und die
Tropenwälder Südostasiens, Zentralafri-
kas und Amazoniens so wichtig – und ge-
nau deshalb sind die derzeitigen Brände
ein solches Drama.


Nach Tagen des Zögernshat Brasiliens
Präsident endlich Soldaten entsandt, um
die Brände zu löschen. Wie sie das tun sol-
len, ist jedoch fraglich. Es gibt nicht aus-
reichend Löschgerät – und die brennenden
Flächen sind riesengroß und oft schwer zu
erreichen. Wenigstens hat Bolsonaro nun
ein zweimonatiges Moratorium für die
Brandrodung verhängt. Die Frage ist nur,
ob das noch hilft – und ob sich die Bauern
überhaupt daran halten. Wissen sie doch,
dass der Präsident eigentlich auf ihrer Seite
steht und ihm die größtenteils absichtlich
gelegten Feuer in Wahrheit ganz gelegen
kommen.
In Manaus, der Millionenstadt mitten
im Amazonasgebiet, sagt der Biologe
Philip Fearnside: »Seit seinem Amtsantritt
handelt und redet Bolsonaro im Sinne der
Urwaldzerstörer. Er sieht das Amazonas-
gebiet als gewaltigen Schatz, den es aus-
zubeuten gilt.«
Fearnside ist US-Amerikaner, ein hoch-
gewachsener schlanker Mann mit buschi-

gem Schnauzbart, seit 1978 lebt er hier
und arbeitet am staatlichen Amazonasfor-
schungsinstitut Inpa. In ihren Glanzzeiten
hatte die Einrichtung mehr als tausend An-
gestellte, die weitläufige Anlage inmitten
tropischer Vegetation galt als Vorbild für
Urwaldforscher aus aller Welt. Heute
schimmeln die Wände, viele Geräte sind
veraltet oder kaputt. Die Zahl der Forscher
ist auf 130 geschrumpft; 400 Angestellte
halten den Betrieb notdürftig am Laufen.
»Präsident Bolsonaro glaubt nicht, dass
der Klimawandel Menschenwerk ist, des-
halb gibt er kein Geld mehr für die For-
schung«, sagt Fearnside, ein weltweit ge-
achteter Spezialist für Klimafragen im
Amazonasgebiet. Im Jahr 2007 erhielt er
zusammen mit anderen Wissenschaftlern
des Weltklimarats IPCC den Friedens -
nobelpreis.
Stattdessen ermuntere Bolsonaro die
Farmer, den Wald zu roden, und habe
durchblicken lassen, dass sie keine Strafen
befürchten oder diese nicht bezahlen müs-
sen, so Fearnside. Im Süden des Amazonas -
bundesstaats Pará zum Beispiel hätten sich
Rinderfarmer, Holzfäller und Landspeku-

lanten am 10. August über Whats App zu
einem »Tag des Feuers« verabredet und
riesige Urwaldflächen in Brand gesteckt.
Anders als der Präsident behaupte, sei-
en Waldbrände im Amazonasgebiet kein
Naturphänomen, das in der Trockenzeit
regelmäßig auftrete. »Regenwald entzün-
det sich nicht von allein«, erklärt Fearn -
side. Wenn der Wald intakt sei, verhinde-
re die Feuchtigkeit normalerweise, dass
sich von Blitzen ausgelöste Feuer ausbrei-
teten. Das Jahr 2019 zeichne sich am Ama-
zonas ohnehin nicht durch besondere Tro-
ckenheit aus, die vermehrte Waldbrände
erklären könnte. »Die meisten Brände,
die derzeit wüten, wurden von Menschen
gelegt.«
Langsam setzt sich jedoch auch in Bra-
silien die Erkenntnis durch, dass der Raub-
bau gravierende langfristige Folgen hat –
und zwar ausgerechnet auch für jene Land-
wirte, die für Sojaäcker und Viehweiden
den Amazonasregenwald immer weiter
zerstören. Denn je stärker er durchlöchert
wird, desto heißer und trockener wird es
auf den offenen Flächen – und das schadet
den Ernten.
»Es fällt weniger Regen, die Trockenzeit
dauert länger«, hat der Forscher Fearnside
herausgefunden. Im Bundesstaat Rondônia
etwa setzt die Regenzeit inzwischen rund
zwei Wochen später ein. Eine Wiederauf-
forstung sei zwar möglich, aber extrem teu-
er und aufwendig. »Es ist weitaus billiger,
den bestehenden Wald zu schützen.«

Schutz und Wiederaufforstungder Wäl-
der – das gilt bereits seit dem ersten Erd-
gipfel 1992 in Rio de Janeiro als eines
der wichtigsten Instrumente im Kampf ge-
gen den Klimawandel. Auf jeder nachfol-
genden Weltklimakonferenz einigte sich
die Staatengemeinschaft auf ehrgeizigere
Programme. Sie haben eher sperrige
Bezeichnungen wie REDD+ oder Aichi
Target 15.
Ein ambitioniertes Projekt, das wie eine
Art übergeordnete Vereinbarung fungiert,
enthält den Namen der ehemaligen deut-
schen Bundeshauptstadt: »Bonn Chal -
lenge«. Denn die Bundesregierung ist, ne-
ben der Weltnaturschutzunion IUCN, der
Initiator. 2011 wurde das Programm ge-
startet und 2014 auf dem Weltklimagipfel
in New York noch einmal erweitert. Im
Rahmen der Initiative haben mehrere Staa-
ten Zusagen gemacht, bis zum Jahr 2020
etwa 150 Millionen Hektar verödetes
Land neu zu bewalden, bis 2030 sollen es
350 Millionen Hektar sein.
Auf diese Weise könnten der Erdatmo-
sphäre jährlich mehr als eine Milliarde
Tonnen Kohlendioxid entzogen und für
lange Zeit gelagert werden. Von Argenti-
nien über Simbabwe bis Usbekistan sollen
wieder Setzlinge sprießen. Erste Erfolge
gibt es. Teilnehmer aus 52 Ländern haben

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Titel

BERT BOSTELMANN / DER SPIEGEL
Forstwirt Borger
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