Der Spiegel - 31.08.2019

(lily) #1

zugesagt, 171 Millionen Hektar Land auf-
zuforsten.
Noch kühner ist die Vision des briti-
schen Ökologen Thomas Crowther, der an
der ETH in Zürich forscht. In einer Studie
rechnete er vor, dass sich mit 900 Millio-
nen Hektar neuen Waldes 205 Gigatonnen
Kohlenstoff aus der Erdatmosphäre ent-
fernen ließen. Würde man eine Fläche von
der Größe der USA mit neuen Bäumen
bepflanzen, könnte man zwei Drittel des
gesamten Kohlenstoffs herausfiltern, den
die Menschheit seit der industriellen Re-
volution in die Luft gepustet hat.
Der erst 33 Jahre alte Wissenschaftler hat
mit seinem Team 80 000 Satellitenbilder
analysiert und Flächen identifiziert, die sich
für eine Bepflanzung eignen. Die Forscher
klammerten all jene Gebiete aus, die bereits
für Siedlungen oder die Landwirtschaft ge-
nutzt werden. Dann berechneten sie die
Kosten: Bei einem Preis von 30 Cent pro
Pflanze geht Crowther von einem Gesamt-
betrag von 300 Milliarden Dollar aus. Aber
die Kosten sind nicht das einzige Problem.
»Nicht überall wachsen Bäume«, sagt
Crowthers Forscherkollegin Thonicke vom
Potsdam-Institut für Klimafolgenfor-
schung, »meist hat es ja einen Grund, wa-
rum die Natur es an manchen Stellen nicht
selbst schafft.« Hinzu kommen soziale Fra-
gen. »Immer wieder kollidiert der Wunsch,
Wald zu erschaffen, mit den Bedürfnissen
der Einheimischen, das Land zu nutzen«,
so die Wissenschaftlerin. Nur wer die Men-
schen vor Ort überzeugen könne, erzeuge
einen Wald auf Dauer.
Bäume, die ein robustes Ökosystem bil-
den und dazu noch wirtschaftlichen Nut-
zen für die Menschen bieten – es sind
scheinbar widerstrebende Ziele, die da
aufeinanderprallen. Soll der Wald ohne
menschliches Zutun von selbst wachsen?
Oder soll er angepflanzt werden? Mit hei-
mischen oder fremden Arten? Welcher
Baum passt zu welchem Boden, welcher
zu den Pflanzen und den Tieren, die um
ihn herum leben?
Ein schlüssiges Gesamtkonzept für ein
globales Aufforstungsprogramm gibt es
noch nicht, wohl aber Projekte, die Hoff-
nung machen. Und Menschen, die ihre Vi-
sion von einer neu begrünten Erde mit be-
merkenswerter Energie vorantreiben. Der
Australier Tony Rinaudo ist einer dieser
Pioniere. Für seine Arbeit wurde der 62-
Jährige mit dem »alternativen Nobelpreis«
ausgezeichnet. In Fachkreisen wird er auch
»der Waldmacher« genannt.
Denn Rinaudo hat ein Verfahren ent -
wickelt, um Wüste mit relativ einfachen
Methoden in fruchtbares Land zurückzu-
verwandeln. Mittlerweile sind weltweit
Zehntausende Quadratkilometer nach sei-
ner Methode begrünt, verdörrtes Land
wurde umgewandelt in das, was es wohl
früher einmal war: Flächen, auf denen glei-


chermaßen neue Bäume wachsen und Ein-
heimische auf Jagd gehen, Früchte sam-
meln und Getreide anbauen.
Eines seiner eindrucksvollsten Projekte
ist in Äthiopien zu besichtigen, sechs Stun-
den Autofahrt südlich der Hauptstadt Ad-
dis Abeba. Humbo heißt die hügelige Re-
gion, in der die Entwicklungshilfeorganisa -
tion World Vision nach Rinaudos Methode
neuen Wald entstehen lässt. Der Australier
erinnert sich noch gut an die Widerstände,
die ihm entgegenschlugen. »Die Bauern
dachten, wir wollten ihnen ihr Land weg-
nehmen, so wie es früher schon mal die
Kommunisten getan hatten«, erzählt er.
Rinaudo kam mit ihnen ins Gespräch.
Er fragte sie nach den Erinnerungen der
Großeltern, danach, wie das Land einst
ausgesehen hatte. So entstand bei den
Äthiopiern der Wunsch, Rinaudos Metho-
de auszuprobieren – die fast zu einfach
klingt, um wahr zu sein. Denn Rinaudo
forstet nicht mit Baumsetzlingen auf. »Der
finanzielle Aufwand ist zu hoch und das
Ergebnis oft dürftig.« Stattdessen »rege-
neriert« er Bäume, und zwar aus Wurzeln,
die übrig bleiben, wenn der Stamm längst
gefällt, zersägt oder verbrannt ist.
»Manche dieser Wurzeln überleben vie-
le Jahrzehnte im Erdreich«, erklärt der
Baumexperte. Den »unsichtbaren Wald«
nennt er dieses ausgedehnte Wurzelwerk,
aus dem er neues Leben sprießen lässt. Da-
für identifiziert Rinaudo die stärksten Trie-
be, alle übrigen schneidet er ab. Es dauert
nicht lange, dann sprießt aus dem Stumpf
ein neuer Baum.
Auch in Humbo fanden sich noch
Baumstümpfe am Rande der Ödnis. Ri-

naudo beobachtete, wie aus ihnen Triebe
schossen, die von den Einheimischen al-
lerdings schnell wieder abgeschnitten und
als Brennholz verwendet wurden. Rinau-
do zeigte den Menschen, wie sie die Triebe
schneiden müssen, um neue Bäume zu zie-
hen. Mittlerweile kommen Besucher aus
der ganzen Welt nach Humbo und staunen
über die grünen Hänge.
Und seitdem wieder Bäume in Humbo
wachsen, klappt es auch besser mit dem
Ackerbau. Denn mit den Bäumen hat sich
das Mikroklima verändert. »Es regnet mehr,
es ist kühler und der Wind nicht mehr so
stark«, sagt Rinaudo stolz. Quellen, die vor-
mals versiegt waren, führen wieder Wasser.
Die Menschen in Humbo können sich heute
selbst versorgen; mehr noch, sie verkaufen
ihre Ernte. Sie leiden nicht mehr unter
Staubstürmen und Regenfluten, sie halten
Bienenstöcke in den Wäldern und lassen
das Vieh zwischen den Bäumen grasen.
Das Wunder von Humbo wird jetzt
überall in Äthiopien kopiert, 15 Millionen
Hektar Wald sollen, auch mithilfe von Ri-
naudos Methoden, bis Ende des nächsten
Jahrzehnts entstehen.
Inzwischen kann sich Rinaudo vor Ein-
ladungen aus aller Welt kaum retten, über-
all sieht er unsichtbare Wälder, die sich wie-
der zum Leben erwecken lassen könnten:
in Jordanien, Indien, Haiti, Abu Dhabi. Der
große Vorteil seiner Praktik sind die nied-
rigen Kosten: »Wir benötigen 40 Dol lar
pro Hektar«, sagt er, »ein Pflanzprogramm
geht schnell in die Tausende.«
Wald, der die Wüste zurückdrängt, der
verdorrtem Land wieder Leben schenkt
und den Menschen eine Zukunft: Solche
Beispiele machen Hoffnung. Kann es am
Ende also doch noch gelingen, den Wald
zu retten und so das Klima zu schützen?
Eine bewaldete Tundra oder eine groß-
flächig aufgeforstete gemäßigte Zone – das
sind tatsächlich nicht so unrealistische Sze-
narien. Rund 1200 Millionen Hektar Land
gibt es auf der Erde, die sich für die Wie-
derbewaldung eignen, schätzen Experten.
»Wir müssen aber schnell handeln, denn
es wird Jahrzehnte dauern, bis die Wälder
reifen und ihr Potenzial als natürliche CO
²


  • Speicher ausschöpfen«, mahnt der briti-
    sche Ökologe Crowther. Und die zur Auf-
    forstung geeignete Fläche schrumpfe durch
    die fortschreitende Erwärmung jedes Jahr.
    Wichtig ist aber auch, was für ein Wald da
    entsteht. Ein natürlich gewachsener Wald
    speichert 42-mal so viel Kohlenstoff wie
    ein Plantagenwald, haben britische Exper-
    ten in »Nature« analysiert.


Im Saarlandsteigt der Forstwirt Klaus
Borger nun wieder in seinen Geländewa-
gen. Er will dem Besucher zeigen, wie ein
naturgerechter Wald aussieht. Über holp-
rige Forstwege geht es weiter. Dann stoppt
Borger. Es ist still, kühle Luft streicht über

Titel

SILAS KOCH / WORLD VISION
Waldrestaurierer Rinaudo

16

11%


der Landfläche Äthiopiens sind bewaldet
Quelle: FAO, Schätzung für 2016
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