Der Spiegel - 31.08.2019

(lily) #1

die Haut. Es duftet nach Moder und fri-
schem Grün. Zehn Grad kühler als im Fich-
tenforst ist es. Statt einigen wenigen Baum-
arten wie im Landeswald wachsen hier
mindestens zehn: Buchen, dick wie Brü-
ckenpfeiler, stehen neben turmhohen Dou-
glasien, Stieleichen mit rissiger Borke und
Esskastanien mit ihren ledrigen, gezähn-
ten Blättern.
»Wir haben sogar Eichen in der Verjün-
gung«, sagt Borger und zeigt ins Unter-
holz, »auf einem Fleck mit Bergahorn,
Kirsche und Hainbuche.«
Seit 25 Jahren verwaltet Borger den
143 Hektar großen Jungenwald treuhän-
derisch. »Hier mache ich mal das vor, wo-
von ich überzeugt bin.«
Er spricht vom kühlen »Waldinnen -
klima«, hat »Spechtbäume« markiert, die
für die Tiere stehen bleiben. Schwarz-
specht, Hohltaube, Baummarder und drei
Fledermausarten hausen in dem Privat-
wald. Natürliche Bedingungen führen zu
Vielfalt, zu dichtem Unterholz und gesun-
dem Waldboden mit viel Humus. 17 bis
20 Tonnen CO
²
pro Jahr und Hektar kön-
ne ein solcher Mischwald dauerhaft bin-
den, sagt Borger.
»Wir arbeiten zu 90 Prozent mit dem,
was die Natur vorgesehen hat«, sagt der
Forstwirt. Er lässt den Wald möglichst
viel selbst machen. Standortgerechte Bäu-
me wachsen nahezu von allein. Außerdem


Der Jungenwald, ein Beispiel, das Schu-
le machen könnte? Im Prinzip schon,
wenn die Regierung nur endlich handeln
würde. Die Beharrungskräfte jedoch sind
groß, vor allem die Forstlobby blockiert
den überfälligen Wandel.
Aber weil das Problem erkannt ist, soll
es nun Ende September einen nationalen
»Waldgipfel« geben, einen »Ergebnis- und
Tatengipfel«, wie es das einladende Land-
wirtschaftsministerium nennt.
Landwirtschaftsministerin Julia Klöck-
ner (CDU) legte Anfang August zusam-
men mit Unions-Landswirtschaftsminis-
tern aus fünf Bundesländern die »Moritz-
burger Erklärung« vor, einen Masterplan
für den Wald. Inzwischen hat Klöckner
der Forstwirtschaft Hilfen in Höhe von
640 Millionen Euro für die kommenden
vier Jahre in Aussicht gestellt. Der Plan
spricht sich für Aufforstung und eine »ak-
tive« Forstwirtschaft aus. Welche Bäume
wachsen, soll jedoch weiterhin der Förster
bestimmen, nicht die Natur. Liegt Totholz
am Boden, wird es alsbald ausgeräumt.
Für Waldökologen ein Horrorszenario.
»Das aktuelle Krisenmanagement der
Forstwirtschaft ist rückwärtsgewandt und
waldschädlich«, heißt es in einem offenen
Brief kritischer Forstleute und Naturschüt-
zer. Die Gruppe, unter ihnen Deutschlands
oberster Wohlfühlförster Peter Wohlleben,
fordert eine »Abkehr von der Plantagen-

DER SPIEGEL Nr. 36 / 31. 8. 2019 17


hat er die Jagd verändert, sodass die
jungen Bäume überleben und nicht vom
Wild verspeist werden wie in vielen an-
deren deutschen Wäldern. Im Mai und
dann erst wieder im Herbst schießt er
Rehe und Wildschweine. Die erstaunliche
Folge der extrem reduzierten Jagdzeiten:
der Verbiss lässt nach. »Jagd ist hier nur
ein waldbauliches Steuerungsmittel«, er-
klärt er.
All diese Maßnahmen kosten noch
nicht einmal mehr Geld, im Gegenteil:
Der Jungenwald ist profitabel. Tatsächlich
läuft es bei Borger sogar besser als im Lan-
desforst nebenan. Rund 1000 Festmeter
Holz pro Jahr erntet Borger. Waldarbeiter
holen ausgewählte Bäume aus dem Wald,
mit Winden oder mit Pferden, die weit bo-
denschonender arbeiten als die tonnen-
schweren Maschinen. Trotz des höheren
Aufwands erwirtschaftet der Forstwirt
jährlich »ein kräftiges Plus« pro Hektar,
während viele Landesforste derzeit rote
Zahlen schreiben.
Das Besondere: Auch der Jungenwald
war bis vor einigen Jahren ein fast reiner
Nadelwald. Als aber Anfang der Neunzi-
gerjahre die Orkane »Vivian« und »Wieb-
ke« riesige Waldflächen ruinierten, steu-
erten die Besitzer um. »Wir haben dem
Wald mit schonenden Verfahren ein neues
Gesicht gegeben«, sagt Borger, »und das
in nur knapp 30 Jahren.«

SILAS KOCH / WORLD VISION
Aufforstungsprojekt in Äthiopien: Quellen, die vormals versiegt waren, führen wieder Wasser
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