Der Spiegel - 31.08.2019

(lily) #1
Titel

wirtschaft« und ein »Management, das
den Wald als Ökosystem und nicht mehr
länger als Holzfabrik behandelt«.
»Ich wundere mich, dass Politiker und
viele Waldbesitzer nichts dazugelernt ha-
ben aus den Fehlern der Vergangenheit«,
sagt Wohlleben, »mein Eindruck ist, sie
sind gerade wieder im Begriff, sie noch ein-
mal zu wiederholen.«
Die Bundesregierung habe es versäumt,
das Potenzial des Waldes für den Klima-
schutz zu nutzen, »dabei hätte sie nach
den großen Orkanstürmen der vergange-
nen 10, 20 Jahre per Gesetz Waldbesitzer
zu einem natürlichen Waldbewuchs ver-
pflichten können«. Stattdessen sei noch
nicht einmal der im staatlichen Besitz be-
findliche Wald vernünftig umgebaut wor-
den. Förster seien immer noch darauf ver-
pflichtet, Gewinne aus dem Verkauf des
Holzes zu erwirtschaften.
Naturschützer fordern, ökologisch wirt-
schaftende Waldbesitzer künftig nicht nur
für die Holzleistung, sondern vor allem
für die Ökosystemleistungen ihres Waldes
zu entlohnen. »Soll nach wie vor Forst-
wirtschaft das vorrangige Betriebsziel sein
oder nicht doch eher Waldschutz, Klima-
schutz und Biodiversität?«, das hat der
Forstwirt Klaus Borger im Jungenwald ge-
fragt. Für den öffentlichen Wald liegt die
Antwort für ihn auf der Hand. Doch auch
Privatwaldbesitzer brauchten entsprechen-
de Anreize.
Wie diese aussehen könnten, darüber
ist nun in der Bundesregierung ein Streit
entbrannt. Mehr noch als das Klimapoten-
zial des Waldes erkennen die Politiker, wie
sehr das Thema bei den Wählern verfängt.
Nachdem der Vorstoß von Klöckner,
der eine zu große Nähe zur Lobby der
Waldgroßbesitzer vorgeworfen wird, auf
Widerstand stieß, ließ Umweltministerin
Svenja Schulze (SPD) einen Gegenentwurf
aufschreiben. Darin sind verschiedene
Kernsätze gefettet, damit Klöckners Leute
sie nicht übersehen. Einer lautet: »64 Pro-
zent der Wälder in Deutschland sind nicht
naturnah.« Auch die Umweltbeamten for-
dern, »hochwertige klimastabile Waldöko-
systeme in Form von strukturreichen
Laubmischwäldern« zu schaffen und nicht
nur »aktive Bestandspflege« zu betreiben.
»Wenn der Staat mit Steuergeld privaten
Waldbesitzern beim Wiederaufbau von
Wäldern hilft, muss die Gesellschaft auch
etwas davon haben«, sagt Schulze gegen-
über dem SPIEGEL. Das Geld dürfe nicht
mit der Gießkanne verteilt werden. Nötig
seien klare Kriterien für die Förderung:
»Prämien sollte es für die geben, die ihren
Waldumbau vor allem am Nutzen für die
Natur und am Klimaschutz ausrichten und
nicht an der Holzproduktion. Bäume müs-
sen groß und alt werden dürfen.«
Der Aktionismus hat einen Grund:
Deutschland ist im Begriff, nicht nur die


Klimaziele für das Jahr 2020 zu reißen.
Schlimmer noch, das Land entwickelt
sich gerade von einer Kohlenstoffsenke in
das Gegenteil: Die deutschen Felder,
Moore und Wälder geben dann unter
dem Strich mehr Kohlendioxid ab, als sie
einspeichern.

Über all diesen Konfliktenschwebt eine
zentrale Frage: Wie können große Wald-
gebiete geschützt werden, die einerseits
für das Weltklima wichtig sind, anderer-
seits von den Einheimischen genutzt wer-
den und einer nationalen Regierung un-
terstehen? Wirtschaftswissenschaftler spre-
chen in dem Zusammenhang von der
»Tragik der Allmende«, dieser Begriff be-
zeichnet Gemeingüter wie den Wald.
Wie eine Lösung aussehen könnte, hat
die US-Umweltökonomin Elinor Ostrom
herausgefunden. Als erste und bislang ein-
zige Frau bekam sie den Wirtschaftsnobel-
preis; sie erforschte, wie Menschen an -
gesichts knapper Ressourcen kollektiv
handeln. Dazu besuchte sie in den Achtzi-
gerjahren auch die Gemeinde Törbel, ein
500-Seelen-Bergdorf im schweizerischen
Oberwallis. Dort legten die Bauern schon
1483 fest, wie sie die Bewässerungskanäle
warten und nutzen, ohne dass irgendein

Gesetzgeber ihnen Vorschriften macht. Im
Jahr 1517 hielten sie Vergleichbares für die
Weiden fest.
Die Wissenschaftlerin sprach mit den
Törbelern und kam zu folgendem Schluss:
Um erfolgreich die Gemeinschaftsgüter zu
bewirtschaften, statt sie hemmungslos aus-
zubeuten, bedarf es Regeln, unter denen
die Menschen vertrauensvoll kooperieren,
es müssen Sanktionen vorgesehen sein,
und es sind klare Vorgaben nötig, wie Kon-
flikte zu lösen sind.
Das Törbeler Reglement von 1517 ist in
Latein formuliert, niedergeschrieben auf
getrockneter Tierhaut. Darin wurde etwa
bestimmt, dass jeder Bauer nur so viele
Tiere auf die Alp treiben durfte, wie er
durch den Winter bringen konnte. Zudem
bestimmte ein gewählter Rat, welche Bäu-
me in der Gegend gefällt werden durften.
Per Los wurde entschieden, welche drei
Haushalte sich eine Gruppe von Stämmen
teilen sollten. Die Welt sei kompliziert, sag-
te die 2012 verstorbene Ostrom einmal,
aber die Menschen könnten damit umge-
hen. Man müsse sie nur lassen.
In der dörflichen Gemeinschaft, wo je-
der jeden kennt, mag dies gelingen. Auf
globaler Ebene fällt es ungleich schwerer,
sich auf Regeln und Sanktionen zu einigen.
Dort wäre eine übergeordnete Institution
nötig, die sie durchsetzen kann, gewisser-
maßen ein Rat der Dorfältesten im Welt-
maßstab.
Die Uno oder die G 7, wie sie derzeit
sind, sind leider kein solch weiser Rat der
Ältesten. Die politischen Gegensätze sind
zu groß, und auch menschlich ist es schwie-
rig, Emmanuel Macron und Jair Bolsonaro
können sich nicht leiden. Bleibt am Ende
nur das Instrument der Sanktionen – und
so überlegen nun die Europäer, ob sie über
das Mercosur-Handelsabkommen wirt-
schaftlichen Druck auf Brasilien ausüben
wollen. Irland machte den Auftakt, auch
Macron drohte mit einem Scheitern des
Abkommens, das einen gemeinsamen
Markt von 800 Millionen Menschen schaf-
fen würde.
Bundeskanzlerin Angela Merkel ist ei-
gentlich gegen die Verquickung der Brand-
katastrophe mit dem Inkrafttreten des
Abkommens. Doch in der Bundesregie-
rung nehmen immer mehr Kabinettsmit-
glieder eine kritische Haltung ein. Um-
weltministerin Schulze hat vorgeschlagen,
die Nachhaltigkeitsregeln des Vertrags-
werks wirksamer umzusetzen. »Es ist
schwer zu ertragen, dass die EU Sojakraft-
futter und Rindfleisch aus Gegenden im-
portiert, wo Regenwald gerodet oder ver-
brannt wurde«, sagt sie und schlägt ein
Zertifizierungssystem für Fleisch vor.
»Soja und Rindfleisch sollten nur dann im-
portiert werden dürfen, wenn die Produk-
tion nachweislich nicht dem Regenwald
schadet.«

18 DER SPIEGEL Nr. 36 / 31. 8. 2019

Chance für das Klima


theoretisch weltweit
aufforstbare Fläche

Teilnehmer aus bereits
52 Ländern haben im
Rahmen des Auf-
forstungsprogramms
Bonn Challenge
Flächen zugesagt

Plantage
(Monokultur)

Wald (natürlich gewachsen)

Quellen: Bonn Challenge, Nature

120
(42-mal so viel
gebundener Kohlenstoff)

2,

1200
Mio. Hektar

171
Mio.
Hektar

Im Wald gebundener Kohlenstoff
Tonnen Kohlenstoff je Hektar
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