Der Spiegel - 31.08.2019

(lily) #1

Doch was wird das nützenim Umgang
mit einem Präsidenten, der die Zerstörung
des größten Tropenwalds der Erde nur
halbherzig verurteilt und sie ansonsten in
Worten und Taten aktiv vorantreibt? Der
ehemalige Fallschirmjäger Bolsonaro ist
auch deshalb so uneinsichtig, weil er von
einer Verschwörungstheorie aus der Zeit
der Militärdiktatur getrieben wird: Der
rechtsextreme Politiker glaubt, dass die rei-
chen Länder sich das Amazonasgebiet ein-
verleiben wollen, etwa um die dortigen
Rohstoffe auszubeuten. Er hat sich im Re-
gierungspalast mit Militärs umgeben, die
ihn in diesem Glauben bestärken. Die Ge-
neräle, die von 1964 bis 1985 herrschten,
ließen Straßen durch den Urwald bauen
und lockten Zehntausende Siedler aus dem
Süden und Nordosten mit dem Verspre-
chen auf billiges Land in das Amazonas -
becken. Sie sollten ein Bollwerk gegen die
befürchtete Invasion errichten. Was folgte,
war ein Raubbau gigantischen Ausmaßes.
Tatsächlich wird die Frage, ob der Ama-
zonaswald eine Art internationales Pro-
tektorat werden sollte, immer wieder dis-
kutiert. Auch Macron nährte diese Idee,
als er am Rande des G-7-Gipfels darüber
spekulierte, dass man dem Amazonas -
gebiet womöglich einen internationalen
Status geben müsse, wenn ein Anrainer-
staat eine Politik verfolge, die gegen das
Interesse des Planeten gerichtet sei.


Bis Brasiliens Präsident vergangenes
Jahr gewählt wurde, sah es noch so aus,
als könnte man den Urwald auch mit ge-
meinsamen internationalen Abkommen
retten. Die »Bonn Challenge« war genau
für diesen Zweck im Jahr 2011 ins Leben
gerufen worden. Zwölf Millionen Hektar
neuen Wald wollte Brasilien auf gerode-
tem Land wieder entstehen lassen. Auch
diese Selbstverpflichtung führte dazu, dass
die Zerstörung des brasilianischen Regen-
waldes zurückging.
Doch immer weniger Länder wollen noch
bei der internationalen Klimaschutzpolitik
mitmachen – obschon sich dabei erste Er-
folge zeigen: Instrumente, mit denen der
Kohlendioxidausstoß gesenkt werden kann,
beginnen langsam zu wirken. Der Pariser
Weltklimavertrag versucht Industrieländer
wie Deutschland zu verpflichten, ihre Re-
duktionsziele einzuhalten. Doch all diese
Maßnahmen funktionieren nicht ohne das
Amazonasgebiet. »Wenn wir diesen Wald
am Ende tatsächlich ganz verlieren, dann
wäre es wohl sehr viel schwerer, Ziele der
internationalen Klimapolitik zu erreichen«,
warnt die Potsdamer Forscherin Thonicke.
Egal wie das politische Ringen am Ende
ausgeht, es wird noch lange dauern, bis es
eine echte Lösung gibt. Und bis dahin wer-
den noch Millionen Bäume am Amazonas
gefällt und verbrannt werden. Der Wald,
er stirbt weiter. Und die größten Verlierer

sind wie so häufig jene, die eigentlich nur
ihre Ruhe haben wollen.
In der Nähe der Amazonasstadt Porto
Velho zum Beispiel leben in sechs Dörfern
die Indigenen vom Stamm der Uru-Eu-
Wau-Wau. Ihr Land liegt in einem riesigen
Schutzgebiet, das von allen Seiten von den
Holzfällern und den Feuern bedroht wird.
Seit dem Amtsantritt Bolsonaros im Ja-
nuar hätten die Attacken gegen die Urein-
wohner zugenommen, berichtet Thamyres
Mesquita von der Organisation Kanindé,
die sich vor Ort für die Ureinwohner ein-
setzt. Die Farmer fühlten sich ermutigt, in
die Reservate der Uru-Eu-Wau-Wau einzu-
dringen, weil Bolsonaro ihnen versprochen
habe, dass die Umweltbehörde sie nicht da-
für belangen werde. »Die Farmer sagen den
Indigenen, dass Bolsonaro endgültig mit ih-
nen aufräumen wird«, berichtet Mesquita.
Erst stirbt der Wald, dann stirbt der
Mensch. In Brasilien ist es schon so weit.
Philip Bethge, Jens Glüsing,
Alexander Jung, Milena Pieper,
Gerald Traufetter
Mail: [email protected]

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Video
Wie der Wald zu
retten ist
spiegel.de/sp362019wald
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KILIAN SCHÖNBERGER
Naturnaher Laubmischwald in der Eifel: Klimaanlage des Planeten
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