Der Spiegel - 31.08.2019

(lily) #1

ihres Stroms aus erneuerbaren Energien
zu gewinnen? Und wie will die Bahn ihr
Versprechen halten, den Grünstromanteil
bis 2030 auf 80 Prozent auszubauen,
wenn sie gleichzeitig noch jahrzehnte lang
Kohlestrom in großen Mengen abnehmen
muss?
Da hilft ein Taschenspielertrick.
Die Bahn kauft neben ganz normalem
Strom aus dem Netz, der wegen der EEG-
Förderung ohnehin einen Anteil von mehr
als 30 Prozent an regenerativen Energien
enthält, zusätzlich sogenannte Herkunfts-
nachweise. Die erhält sie von Ökostrom-
produzenten, etwa Wasserkraftbetreibern
in Norwegen, für wenige Euro. Diese
Nachweise können Produzenten völlig un-
abhängig vom Kauf oder Verkauf des
Stroms innerhalb der EU handeln. Der
physische Strom bleibt im Herkunftsland.
Dort kann er auch weiterverkauft werden.
Nur eben nicht als Ökostrom.
Die Bahn als Käufer der Nachweise
kann völlig legitim behaupten, Ökostrom
zu nutzen, ihre Züge tatsächlich aber mit
Braunkohlestrom fahren lassen. In wel-
cher Größenordnung sie solche Zertifikate
kauft, verrät die Bahn nicht.
Auf Nachfrage versichert sie nur, Her-
kunftsnachweise aus Quellen zu nutzen,
die in einem offiziellen Herkunftsnach-
weisregister geführt werden. Zudem wür-
den zur Deckung des höheren Ökostrom-
anteils »alle zur Verfügung stehenden Be-
schaffungsmöglichkeiten des europawei-
ten Energiemarktes genutzt.«
Das Umweltbundesamt geißelt den
Kauf reiner Herkunftsnachweise in seinen
Stellungnahmen auch als »Greenwashing«,
weil durch diesen Bilanzierungstrick keine
neuen, zusätzlichen Kapazitäten für die
Grünstromerzeugung in Deutschland ge-
schaffen werden.
Das größte Pfund der Bahn, die Wasser-
kraftwerke, sind teilweise schon an die
hundert Jahre alt und längst abgeschrie-
ben. Der grüne Verkehrsexperte Oliver
Krischer kritisiert, dass die Bahn trotz ei-
nes eigenen Stromnetzes keine großen
Ambitionen zeige, selbst Ökostrom her-
zustellen. »Es wäre kein Hexenwerk, die
riesigen Flächen der Bahn zu nutzen, etwa
für Solaranlagen auf Bahnhofsdächern
und Werkshallen. Doch da passiert fast
nichts.« Bescheidene 0,2 Prozent der be-
nötigten Energie produziert die Bahn auf
eigenen Flächen.
So langsam die Bahn in der Umsetzung
ihrer grünen Versprechen ist, so hurtig rea-
giert sie auf Kritiker. Nachdem das TV-
Magazin »Report Mainz« den Bahnhofs-
besitzer Richard Vogel beim Jäten auf den
Gleisen gezeigt hatte, erstattete die Bahn
Anzeige gegen den Mann. Wegen »gefähr-
lichen Eingriffs in den Bahnverkehr«.
Frank Dohmen, Michaela Schießl


N


och maximal zwei Jahre, dann wol-
len die beiden Veteranen der deut-
schen Energiewirtschaft, die Chefs
von E.on und RWE, in den Ruhestand ge-
hen. Doch bevor es so weit ist, können
RWE-Chef Rolf Martin Schmitz und E.on-
Boss Johannes Teyssen nach Jahren der
Pleiten wohl noch einen unerwarteten Er-
folg feiern. Getreu dem Motto: Das Beste
kommt zum Schluss.
Diskret will EU-Wettbewerbskommis-
sarin Margrethe Vestager zum Ende ihrer
Amtszeit offenbar einen Deal durchwin-
ken, den die beiden Manager vor mehr als
einem Jahr eingefädelt hatten. Die Strom-
riesen wollen Teile ihrer Geschäfte zusam-
menlegen und tauschen. E.on soll die
RWE-Tochter Innogy mit deren Strom -
netzen und dem Vertrieb übernehmen.
RWE soll sich im Gegenzug alle erneuer-
baren Energien von E.on einverleiben.
Überdies soll RWE eine knapp 17-prozen-
tige Beteiligung an dem neuen Energie -
riesen E.on erhalten. Einen der »kreativsten
Gestaltungsdeals der deutschen Wirtschafts -
geschichte« nannte Teyssen das Geschäft
damals.
Doch gegen den Milliardentausch von
Netzen, Firmen und Kraftwerken regte
sich vom ersten Tag an Widerstand. »Da
entstünde ein Konzern mit nie da gewese-
ner Marktmacht«, kritisierte Ines Zenke,
Anwältin in der auf Energierecht speziali-
sierten Kanzlei Becker Büttner Held, die
zahlreiche Stadtwerke vertritt. Und auch
der Hamburger Ökostromanbieter Licht-
blick rechnete vor, die Kundenzahl von
E.on werde von 5,1 auf rund 11,7 Millionen

hochschnellen und das Unternehmen kön-
ne über seine Discounttöchter den Online-
stromverkauf dominieren.
Beide riefen die Kartellämter an und
verlangten ein Verbot des Deals, zumin-
dest aber harte Auflagen, wie etwa den
Verkauf der RWE-Direktvertriebstochter
Eprimo. Die EU-Kommission leitete eine
sogenannte vertiefte Prüfung ein. Lange
Zeit sah es so aus, als würde die Fusion
wackeln, zumindest aber mit erheblichen
Auflagen versehen werden.
Das Gegenteil zeichnet sich ab: Laut
eines zwischen E.on und der EU-Kommis -
sion ausgehandelten internen Papiers könn-
te Vestager die anstehende Fusion nicht
nur genehmigen. Auch die darin vorge-
schlagenen Auflagen für einen möglichen
Zusammenschluss fallen eher kläglich aus.
Danach will E.on einen Geschäfts -
bereich mit bis zu 275 000 Sonderkunden
abgeben. Die beziehen elektrische Heiz-
energie zu speziellen Tarifen. Außerdem
müsste das Essener Unternehmen Lade-
stationen für Elektroautos abstoßen. Kon-
kret geht es um mehr als 30 Stationen auf
Raststätten von Tank und Rast entlang der
Autobahnen. Zudem verlangt die Kommis-
sion den Verkauf kleinerer Geschäfte in
Osteuropa.
Gemessen an der wachsenden Markt-
macht, der Gefahr steigender Strompreise
und den Erwartungen von Stadtwerken
und Konkurrenten würden die Auflagen
kaum ins Gewicht fallen. In einem gemein-
samen Papier warnten zehn Stadtwerke
in dieser Woche noch einmal eindringlich
vor den Folgen für Wettbewerb und Ver-
braucher.
Was sie besonders wundert, ist die Ge-
heimniskrämerei rund um das Verfahren.
So hat die Kanzlei Becker Büttner Held
eine einstweilige Verfügung erstritten, um
Akteneinsicht beim Kartellamt zu bekom-
men. Das bestätigt Zenke auf Nachfrage.
Doch es gibt weitere Verzögerungen.
In der Branche halten sich auch deshalb
Gerüchte, Vestager, die sich Hoffnungen
auf den Posten der EU-Kommissions -
präsidentin gemacht hatte, habe schlicht
keinen weiteren Ärger mit den Deutschen
riskieren wollen, nachdem sie schon die
Fusion der Zugsparten von Siemens und
Alstom untersagt hatte.
Ob Stadtwerke oder Wettbewerber wie
Lichtblick gegen die in drei Wochen erwar-
tete Genehmigung der EU-Kommission ju-
ristisch vorgehen werden, ist offen. Man
wolle zunächst den offiziellen Ausgang des
Verfahrens und die Begründung abwarten,
heißt es unisono. Die Hoffnungen auf eine
für sie positive Wende sind jedoch gering.
Auch Teyssen und Schmitz schweigen.
Den möglichen Erfolg wollen sie mit kei-
ner unbedachten Äußerung gefährden.
Frank Dohmen

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Später


Triumph


KonzerneDie EU-Kommission
will offenbar den Milliardendeal
von E.on und RWE durch -
winken – trotz Bedenken von
Wettbewerbern und Verbrauchern.

Der neue E.on-Konzern
Marktanteile in Deutschland nach der Fusion
mit Innogy (RWE)

* inkl. Tochterfirmen von E.on/RWE; Quelle: Lichtblick

... an den Stromzählern fast 41 %


... an den Stromnetzen 50 %


... am Strommarkt 75,4 %*

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