Der Spiegel - 31.08.2019

(lily) #1

E


s gab einen Moment, da löste Fer-
dinand Piëch mit ein paar Sätzen
bei mir Furcht aus. Im Anschluss
an ein SPIEGEL-Gespräch im
Sommer 1996 sollten sich die Redakteure
für ein Foto mit dem damaligen Vorstands-
chef des VW-Konzerns aufstellen. Die
Stimmung war locker. Das Gespräch hatte
frühmorgens am Esstisch in Piëchs Privat-
villa bei Braunschweig stattgefunden, bei
Kaffee, Tee und Brötchen.
Ich fragte Piëch, ob er für das Bild nicht
eines der Samurai-Schwerter aus seiner
Sammlung holen wolle, er könne es ruhig
auf mich richten. »Ich habe etwas viel Bes-
seres«, sagte er. Pause. »Eines der Bröt-
chen war vergiftet.« Pause. »Ihres.« Pause.
»Aber das Gift wirkt erst in 24 Stunden.«
Und dann lächelte Piëch.
Natürlich glaubte ich nicht, dass ich
tatsächlich Gift geschluckt hatte. Aber ein
ungutes Gefühl, tief im Magen, begleitete
mich die nächsten Stunden.
Ja, so konnte Piëch sein, furchteinflö-
ßend. Generationen von Managern bei
Porsche, Audi und im gesamten Volkswa-
gen-Konzern haben ihn wohl schon einmal
ähnlich erlebt. Er hat sie reihenweise ent-
lassen. Gegenseitiges Einvernehmen streb-
te Piëch dabei nie an. »Ich lasse Leute,
wenn ich das Vertrauen verloren habe, am
Weg verhungern.«
Aber es gab auch einen anderen Piëch.
Einen Manager, dem die Sicherheit der Ar-
beitsplätze wichtiger war als ein hoher Pro-
fit. Einen Mann, der sich rührend um Men-
schen kümmerte, die ihm nahestanden,
der im kleinen Kreis witzig sein konnte.
Und der gelegentlich auch über sich selbst
lachte. So erzählte er gern die Geschichte
von seiner Hochzeit mit Ehefrau Nummer
drei. Eine seiner Töchter hatte die künftige
Gattin gefragt: »Wie kannst du nur meinen
Vater heiraten? Du bist doch so ein fröh -
licher Mensch.«
Das Verhältnis zwischen Ferdinand
Piëch und dem SPIEGELwar ein sehr be-
sonderes. Über den Enkel des Käfer-Erfin-
ders Ferdinand Porsche erschienen mehr
kritische Geschichten als über jeden ande-
ren Manager. Es gab heftige Auseinander-
setzungen. Der VW-Konzern setzte die
längste Gegendarstellung durch, die der
SPIEGELje drucken musste. Dann wieder
forderten VW-Aufsichtsräte aufgrund einer
SPIEGEL-Enthüllung über die Machen-


schaften des VW-Managers José Ignacio
López Piëchs Ablösung – was Gerhard
Schröder als damaliger Ministerpräsident
Niedersachsens im VW-Kontrollgremium
verhinderte (siehe Seite 64).
Trotz der Konflikte brach der Kontakt
über all die Jahrzehnte nie ab. Es gab ver-
trauliche Hintergrundgespräche auf Auto-
messen in Paris, Genf oder Frankfurt und
Interviews in seinen Privathäusern in
Braunschweig und am Wörthersee, bei de-
nen Piëch zumeist sehr charmant war. Er
holte die Gäste persönlich am Flughafen
ab und fuhr sie zu seiner Villa. Seine Frau
Ursula führte durch den Garten, eine Toch-
ter und ein Sohn servierten Essen. Und
die Nahrung war stets vom Feinsten: In-
formationen, die außer Piëch kaum einer
hatte. Und Aussagen, die eine Karriere be-
enden oder eine Übernahmeschlacht ent-
scheiden konnten.
Natürlich ist der Journalist in solchen
Situationen nur der Postbote für einen
Mächtigen. Er muss die Mindestvorausset-
zungen erfüllen: sich auskennen im Thema
und an Zusagen halten. Dazu gehört, nur
abgestimmte Zitate aus einem Gespräch
zu veröffentlichen. Diese Kriterien erfül-
len die meisten Kollegen.
Warum ich von einem gewissen Zeit-
punkt an zu den wenigen zählte, denen
Piëch – trotz der heftigen Auseinanderset-
zungen zu Beginn seiner Karriere – offen-
bar ein klein bisschen vertraute, ist mir
noch immer ein Rätsel. Ein anderes, das
auch nach seinem Tod noch viele umtreibt,
lässt sich aufklären: warum mich Piëch im
April 2015 anrief und jenen Satz sagte, der
ein Beben auslöste, das zuerst den VW-
Konzern erschütterte, dem Piëch am Ende
aber selbst zum Opfer fiel: »Ich bin auf
Distanz zu Winterkorn.«
Erstmals richtig Ärger mit Piëch beka-
men wir 1993 nach der SPIEGEL-Titel -
geschichte »Der Skrupellose«, in der mein
Kollege Richard Rickelmann und ich ent-
hüllten, wie der ehemalige General-Mo-
tors-Manager López bei seinem Wechsel
zu VW kistenweise geheime Unterlagen
seines früheren Arbeitgebers mit nach
Wolfsburg brachte.
Darunter waren die Preise, die General
Motors und die deutsche Tochter Opel für
mehrere Tausend Zuliefererteile zahlten.
Es ging um Stahl, Achsen, Bremsen,
Scheinwerfer – letztlich alle Komponenten

eines Fahrzeugs. Die Listen waren von un-
schätzbarem Wert für Lopez in seiner neu-
en Funktion als Beschaffungsvorstand des
VW-Konzerns. Wo immer sein früherer
Arbeitgeber billiger eingekauft hatte, hätte
López die Lieferanten von Volkswagen auf
diese Preise drücken können.
Nach unserem Artikel erstattete Opel
Strafanzeige in Deutschland. Der US-Mut-
terkonzern General Motors sorgte dafür,
dass das FBI und das US-Justizministe -
rium ermittelten. Die Auseinandersetzung
belastete die deutsch-amerikanischen Be-
ziehungen.
VW wehrte sich, zunächst gegen den
SPIEGEL. Der Konzern setzte nicht nur
durch, dass wir eine Gegendarstellung dru-
cken mussten, sondern auch, dass diese
auf der Titelseite angekündigt wurde. Das
hatte es nie zuvor gegeben und gab es auch
danach nie wieder.
Die Eskalation hatte ein Ausmaß er-
reicht, dass sich Herausgeber Rudolf Aug-
stein genötigt sah einzuschreiten. Er traf
sich mit Piëch und dessen Frau Ursula. Da-
bei erfuhr Piëch, wie er später in seinen
Memoiren schrieb, dass sein damaliger
Rechtsbeistand »mit Augstein zuvor schon
eine sehr private Auseinandersetzung ge-
habt hatte und entsprechend befangen
war«.
Piëch fühlte sich schlecht beraten, miss-
braucht für einen zumindest teilweise pri-
vaten Rachefeldzug seines Anwalts: »Das
Ganze war ein völlig unnötiger emotiona-
ler Overkill und brachte mich in eine Art
Franz-Josef-Strauß-Position als fortwäh-
render SPIEGEL-Lieblingsfeind. Ich dach-
te, entweder bekomme ich auch so eine
dicke Haut wie der Strauß, oder es ge-
schieht mir ganz recht, dass die mich ab-
schießen.«
Vor dem Oberlandesgericht Hamburg
gewann der SPIEGELdas Verfahren um
die Berichterstattung in fast allen Fällen,
was nur bedingt half, weil die Gegendar-
stellungen schon gedruckt waren. López
zahlte 75 000 Mark, damit die Verhand-
lung wegen falscher eidesstattlicher Versi-
cherungen eingestellt werden konnte. VW
und General Motors einigten sich darauf,
dass die Wolfsburger dem US-Konzern
hundert Millionen Dollar zahlen und für
mehrere Milliarden Dollar Autoteile bei
ihm einkaufen. Damit war der »Autokrieg«
zwischen GM und VW beendet. Auch das

DER SPIEGEL Nr. 36 / 31. 8. 2019 61

Wirtschaft

»Ein Brötchen war vergiftet«


NachrufÜber kaum einen Manager berichtete der SPIEGELso kritisch wie über Ferdinand Piëch.


Und keiner wehrte sich so heftig wie der VW-Patriarch. Aus der Reibung entstand eine besondere
Beziehung. Und ein legendärer Satz, der ihn seine Karriere kostete. Von Dietmar Hawranek
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