WirtschaftVerhältnis zum SPIEGELentspannte sich
etwas, wozu wohl auch das Gespräch mit
Augstein beigetragen hatte. Piëch erinner-
te sich in seiner Autobiografie: Mitunter
müsse er jetzt morgens an Augstein den-
ken, »wenn ich meine unvermeidlichen
Burlington-Socken anziehe«. Augstein
habe zu seiner Frau gesagt, »ihr Mann ist
mir ja sympathisch, aber das mit den kur-
zen karierten Socken und den Haaren auf
den Wadeln, das müssen S’ ihm abge -
wöhnen«.
Trotz der Socken-Episode blieb Piëch
dem SPIEGELgegenüber reserviert. Er sah
es ungern, wenn VW-Manager oder Auf-
sichtsräte mit dem SPIEGELsprachen. Als
er auf dem Autosalon in Genf einmal den
Betriebsratsvorsitzenden Bernd Osterloh
im Gespräch mit mir erblickte, sagte er:
»Passen S’ auf, Herr Osterloh, er hat mich
schon dreimal fast ins Grab geschrieben.«
Ich antwortete: »Ach, Herr Piëch, das hält
Sie doch jung und fit.« Piëch: »Das ist auch
das Einzige.«
Begegnungen mit Piëch gestalteten sich
bis zuletzt schwierig. Das lag vor allem da-
ran, dass Piëch über all die Jahre zwei Prin-
zipien verfolgte: Er kannte nur Freund
oder Feind, nichts dazwischen. Und er
misstraute jedem, außer sich selbst. Wobei
man sich auch da nicht sicher sein konnte.
Woher dieses Verhalten rührt, hat Piëch
sehr früh dem SPIEGEL-Reporter Jürgen
Leinemann verraten, der ihn für ein Por-
trät (SPIEGEL31/1993) längere Zeit beglei-
tete. Piëch erzählte, wie es ihm in der
Kindheit ergangen war, als er einige Jahre
in einem Internat verbracht hatte. Die Leh-
rer hätten mit harter Hand geherrscht, die
Schüler sich gegenseitig bespitzelt, um Ver-
gehen der Heimleitung zu melden. Piëch
verriet, aus dieser Zeit im »Abhärtungs -
internat« sei ihm »ein extrem hohes Miss-
trauen gegenüber anderen« geblieben.
Irritiert hat Piëch, dass der SPIEGEL
einerseits kritische Geschichten über ihn
veröffentlichte, ihm beispielsweise »mehr
Feingefühl im Umgang mit Nockenwellen
als bei der Auswahl und Führung von Mit-
arbeitern« bescheinigte. Andererseits be-
werteten wir eines von Piëchs wichtigsten
Sanierungsprojekten positiv: die Einfüh-
rung der Viertagewoche. VW konnte da-
mit den Abbau von 30 000 Arbeitsplätzen
verhindern. Es war ein in der deutschen
Wirtschaft höchst umstrittenes Experi-
ment. Andere Konzerne mussten sich fort-
an rechtfertigen, warum sie Arbeitsplätze
streichen und stattdessen nicht auch die
Arbeitszeit verkürzen.
Piëchs Reaktion auf die SPIEGEL-Be-
richterstattung zur Viertagewoche folgte
Monate später auf dem Autosalon in Genf.
Piëch und seine Frau Ursula spazierten
vormittags durch die Halle, Richtung Fer-
rari-Stand, den sie immer gern besuchten.
Um das Paar herum war ein unsichtbarer
Bannkreis mit einem Durchmesser von
rund drei Metern, in den sich kein Mensch
hineintraute. Wenn sich doch jemand nä-
herte, mit dem das Paar keinen Kontakt
wünschte, war sofort ein dunkel gekleide-
ter, sportlicher Mann zur Stelle und wies
den Eindringling zurück.
Der Kreis öffnete sich, wenn Ursula
Piëch einen Entgegenkommenden anlä-
chelte. Das war das Signal. Man durfte nä-
hertreten, auch wenn die Begrüßung mit-
unter spöttisch ausfiel: »Ach, Herr Hawra-
nek, auf Sie haben wir schon den ganzen
Tag gewartet.« Das Gespräch an diesem
Tag war kurz. Ferdinand Piëch kommen-
tierte die Artikel zur Viertagewoche: »Da
haben S’ mich überrascht. Des hätt’ ich
von ihnen net erwartet.«
Die Geschichten passten nicht in Piëchs
Freund-Feind-Schema. Dieses Prinzip
machte den Umgang der meisten Jour -
nalisten mit dem VW-Boss schwierig. ZurGrundausstattung des Berufs gehört eine
kritische Distanz. Man muss den Manager
oder Politiker, den man gerade gelobt hat,
auch wieder kritisieren können, wenn es
Anlass dazu gibt. Piëch indes witterte mit-
unter Verschwörungen, die außer ihm kein
anderer ausmachen konnte.
Am Montag, den 14. Juli 1997, hatten
der damalige SPIEGEL-Chefredakteur
Stefan Aust, Kollege Christian Wüst und
ich einen lange vereinbarten Termin mit
Piëch in Wolfsburg. Es ging um eine ge-
plante Titelgeschichte. Der Vorstandschef
von VW sollte seine Wachstumspläne er -
örtern, und er wollte uns geplante, noch
geheime Modelle zeigen. Sie waren in ei-
ner Halle nebenan schon aufgestellt, noch
verhüllt unter weißen Leinentüchern.
Am selben Tag war im SPIEGELdie
Meldung erschienen: Volkswagen will zu-
sammen mit Porsche einen Geländewagen
entwickeln. »Als aussichtsreichste Stand-
orte für die Produktion gelten das VW-
Werk in Mosel und die Fabrik in Bratis -
lava«, stand dort geschrieben.
Piëch, sonst stets pünktlich auf die Mi-
nute, erschien verspätet. Zur Begrüßung
sagte er: »Mit dieser Geschichte soll der
heutige Termin wohl boykottiert werden.
Ich sehe nicht, wie ich jetzt noch offen re-
den kann. Die Meldung ist gespickt mit
Bösartigkeiten.« Als Verfasser der Mel-
dung wandte ich ein: »Das ist doch eine
ganz sachliche Meldung. Sie enthält kei-
nen einzigen abwertenden Satz über dasgeplante Projekt.« Piëch: »Das ist ja die
besondere Raffinesse. Die Boshaftigkeit
steckt in den Details.« – »Was, bitte, ist
bösartig?« Hannover stehe Kopf wegen
der Meldung, argumentierte Piëch. Das
Werk habe ein Auslastungsproblem. »Die
wollen den Geländewagen unbedingt ma-
chen. Wenn die lesen, er werde in Mosel
oder Bratislava gebaut, müssen die ihn
stoppen. Damit ist das Projekt tot.«
Der Gesprächspartner, der mir von den
Plänen berichtet hatte, war an dem Projekt
beteiligt. Er hatte ein Interesse daran, dass
der Geländewagen gebaut wird, und wollte
gewiss keine Verschwörung gegen das Vor-
haben anzetteln. Er hatte lediglich die
Brisanz der Standortfrage nicht erkannt.
Ich übrigens auch nicht.
Piëch ließ sich noch auf ein zäh dahin-
fließendes Gespräch über den VW-Kon-
zern ein, aber das Urteil über den Redak-
teur und dessen Boshaftigkeit stand erst
einmal fest. Daran änderte auch nichts,
dass der VW-Aufsichtsrat den Bau des
Geländewagens in Bratislava genehmigte.
Dass sich unser Verhältnis irgendwann
deutlich verbesserte, basierte möglicher-
weise auf einem Missverständnis. Wäh-
rend der Übernahmeschlacht zwischen
Porsche und VW beschrieb ich in mehre-
ren Geschichten, wie Porsche-Boss Wen-
delin Wiedeking das Projekt gefährdete.
Wiedeking wollte das Riesenreich VW
regieren wie die kleine Sportwagenmanu-
faktur Porsche und provozierte Wider-
stand auf allen Ebenen. So konnte die
Übernahme nicht gelingen.
Das entsprach offenbar ganz der Ein-
schätzung Piëchs. Nach seinem Denkmus-
ter musste der Feind seines Feindes ein
Verbündeter sein. Jedenfalls war Piëch auf
einmal häufiger ansprechbar.
So öffnete sich für mich der unsichtbare
Bannkreis um ihn auf der IAA in Frankfurt
im September 2013. Das »Handelsblatt«
hatte zum Start der Automobilausstellung
berichtet, Piëch werde wegen einer Krank-
heit seinen Posten als Aufsichtsratschef
vorzeitig abgeben. Da hatte jemand offen-
bar die Methode Piëch angewandt und
wollte mit einer gezielten Indiskretion den
Abgang des Patriarchen beschleunigen.
Piëch, dem noch die Urlaubsbräune im
Gesicht stand, wirkte völlig ruhig. Er sagte,
der Wechsel stehe noch lange nicht an.
Wenn es so weit wäre, werde ihm ein Tech-
niker auf dem Posten folgen. Vor allem
aber wollte er herausfinden, wer der In-
formant für die Geschichte war. Es kämen
nur wenige Menschen dafür infrage. Dann
folgte die Drohung: »Guillotinieren werde
ich erst, wenn ich sicher bin, wer es war.«
Wie vereinbart schickte ich die Äuße-
rungen, die ich wörtlich zitieren wollte, an
Piëchs Assistenten zur Abstimmung. Es
waren die Aussagen über den »Techniker«62 DER SPIEGEL Nr. 36 / 31. 8. 2019»Hier spricht Ferdinand
Karl Piëch. Ich hätte Sie
gerne mal gesprochen.«