und über das »Guillotionieren«. Der As-
sistent meldete sich: »Herr Piëch kann ein
Zitat nicht freigeben.« Na klar, dachte ich,
das mit der Guillotine. »Das mit dem Tech-
niker«, sagte der Assistent.
Irgendwann verdächtigte Piëch den VW-
Chef Martin Winterkorn, die Information
über seinen Gesundheitszustand gestreut
zu haben. Beweisen ließ sich das nicht.
Aber seitdem war klar: Piëch würde auf
Winterkorns Ablösung hinarbeiten.
Wenig später machten Gerüchte die
Runde, Piëch wolle seine Frau Ursula zur
Nachfolgerin an der Spitze des Aufsichts-
rats machen. Wir berichteten im SPIEGEL
darüber, und am 10. April 2015 hatte ich
morgens eine Nachricht auf dem Anruf -
beantworter: »Hier spricht Ferdinand Karl
Piëch, ich hätte Sie gerne mal gesprochen.«
Rückruf. Piëch: »Man will meine Frau
schädigen mit den Informationen, die man
Ihnen gegeben hat.« An die Spitze des Auf-
sichtsrats sollten keine Familienmitglieder
kommen, »auch nicht meine Frau«.
Piëch war erkennbar getroffen. »Ich
rufe nicht oft an«, sagte er am Telefon. Es
war das erste Mal, dass er mich anrief.
Aber diesmal ging es um seine Frau. Wenn
Ferdinand Piëch je bereit war, für einen
anderen Menschen in die Schlacht zu zie-
hen, dann für seine dritte Ehefrau Ursula.
Nebenbei nutzte er den Anruf für seine
Attacke auf den VW-Chef: »Ich bin auf
Distanz zu Winterkorn.«
Diese und weitere Aussagen aus dem
Gespräch, die ich zitieren wollte, schickte
ich zur Autorisierung an Piëchs Assisten-
ten. Kurz darauf meldete sich dieser tele-
fonisch: »Herr Piëch wünscht nur eine
Änderung.« Weil einer seiner Söhne auch
Ferdinand Piëch heißt, verwende sein Chef
für sich selbst jetzt auch seinen Zweit -
namen, Ferdinand Karl Piëch. Ob der
SPIEGELdies berücksichtigen könne?
Wir konnten. Und es begann eine bei-
spiellose Schlacht um die Macht im größten
Autokonzern der Welt. Piëch hatte einmal
beschrieben, wie er in solche Auseinander-
setzungen geht: »Da setze ich mich dann
voll ein. Entweder werde ich bei der An-
gelegenheit erschossen oder ich gewinne.«
In diesem Fall verlor er. Es war der eine
Machtkampf zu viel. Winterkorn durfte
bleiben, und Piëch wurde von den übrigen
Aufsichtsräten zur Aufgabe seines Postens
gedrängt. Später verkaufte er seine Anteile
am VW-Konzern an Mitglieder der Fami-
lie. Zu einem Gespräch war er seitdem
nicht mehr bereit. Ferdinand Piëch starb
am 25. August.
SPIEGEL:Herr Schröder, wie haben Sie
Ferdinand Piëch kennengelernt?
Schröder:Das war 1992, ich vertrat als
Ministerpräsident das Land Niedersachsen
im VW-Aufsichtsrat. Es ging um die Nach-
folge von Carl Hahn an der Spitze des
Volkswagen-Konzerns. Zwei Männer wa-
ren im Gespräch: Daniel Goeudevert, der
VW-Markenchef, und Piëch, der Chef von
Audi. Goeudevert galt als Querdenker, der
sich schon damals für neue Verkehrskon-
zepte einsetzte und für Autos, die weniger
CO 2 ausstoßen. Er präsentierte sich als
modernster Automobilmanager Deutsch-
lands. Ferdinand Piëch hatte Audi von ei-
nem Nischenanbieter zu einer Marke ge-
macht, die weltweit Aufsehen erregte mit
Allradantrieb und Aluminiumkarosserien.
Er war der absolute Technikexperte.
SPIEGEL:Dann hätte Ihnen Daniel Goeu-
devert doch eigentlich sehr viel näher
stehen müssen, oder?
Schröder:Nicht unbedingt. Ich sah die
Lage von VW. Das Unternehmen war ein
Übernahmekandidat, 30 000 Arbeitsplät-
ze waren gefährdet. Ich war überzeugt,
dass es da einen wie Piëch mit seinen
Fähigkeiten an der Spitze braucht.
SPIEGEL:Was hat Sie, neben Piëchs Leis-
tung bei Audi, überzeugt?
Schröder:Dazu zählten sicher auch per-
sönliche Eindrücke. Allerdings war die Be-
förderung von Piëch zum VW-Chef noch
ein Kraftakt. Der IG-Metaller Franz Stein-
kühler hat sie unterstützt, aber einige Ar-
beitgebervertreter im Aufsichtsrat hatten
ihre Probleme mit Piëch. Ich hatte Piëch
dann auf einer Reise nach Japan begleitet,
wo wir ein Toyota-Werk besichtigten. Es
galt damals als das modernste der Welt.
Piëch kroch nahezu in die Produktions -
maschinen hinein, um zu sehen, wie sie
funktionieren. Er stellte Fragen und Fra-
gen, bis die Toyota-Leute immer unruhiger
wurden und den Besuch nach einer Stunde
beendeten. Genau so einen Autoexperten
brauchte der VW-Konzern, um wettbe-
werbsfähig zu werden.
SPIEGEL:Kurz darauf kam der Fall José
Ignacio López. Der von General Motors
abgeworbene Einkaufschef hatte geheime
Unterlagen mit nach Wolfsburg genom-
men. Die Staatsanwaltschaft ermittelte,das US-Justizministerium, das FBI. Be-
fürchteten Sie nicht, dass der Skandal auch
Ihnen schaden könnte?
Schröder:Das hat mich nicht interessiert.
Ich wusste eines: Der Piëch ist auf dem
richtigen Weg, der führt VW aus dieser
ernsten Krise. Es gab einige im Aufsichts-
rat, die ihn wegen des Konflikts mit den
Amerikanern fallen lassen wollten. Aber
gegen die Stimmen Niedersachsens war
nichts zu machen. Da muss man dann auch
stehen. Und wenn man loyal zu Piëch
war, dann war er auch loyal bis in die
Knochen.
SPIEGEL:Die Betriebsräte und die Beleg-
schaft haben Piëch auch stets unterstützt,
warum?
Schröder:Er hat durch die Einführung
der Viertagewoche, die Peter Hartz kon-
zipiert hatte, 30 000 Arbeitsplätze geret-
tet. Das ist schon mal was, oder? Ich erin-
nere immer die Zusammenkünfte in der
großen Halle des Volkes, wie ich sie im-
mer nen ne ...
SPIEGEL:... die Fabrikhalle in Wolfsburg,
in der rund 20 000 Arbeiter sich zur Be-
triebsversammlung treffen ...
Schröder:... Piëch las seine Rede von gel-
ben Zetteln ab, langsam, mit vielen Pau-
sen. Man konnte spüren, die Arbeiter
merkten, das ist nun keine mitreißende
Rede. Aber dafür versteht der eine Menge
von Autos, und das sichert unsere Arbeits-
plätze. Dem geht es nicht nur um Share-
holder-Value.
SPIEGEL:Es ging Piëch stets auch um die
besten und teuersten Autos. Deshalb woll-
te er für 1,4 Milliarden Mark Rolls-Royce
und Bentley kaufen. Warum haben Sie
einem solchen Luxusprojekt zugestimmt?
Schröder:Ich hatte schon Fragen. Ich flog
damals mit Piëch nach Crewe zu Bentley.
Den ganzen Flug über schwärmte Piëch
von der tollen Holzverarbeitung bei Bent-
ley, für das Armaturenbrett und die Sei-
tenverkleidungen. Da sagte ich: Herr
Piëch, sollten Sie nicht lieber eine Tischle-
rei kaufen? Er sagte: Es geht um eine Mar-
ke, die weltweit für Luxus steht und auf
den Konzern abstrahlt. Ich respektierte
Piëchs Fachkompetenz und ging das Risi-
ko ein, dafür von anderen kritisiert zu wer-
den. Er hat mich zu keiner Zeit hinter die64 DER SPIEGEL Nr. 36 / 31. 8. 2019
WirtschaftVideo
Begegnungen mit
Fugen-Ferdl
spiegel.de/sp362019vw
oder in der App DER SPIEGEL»Er war loyal bis in
die Knochen«
ErinnerungenEx-Bundeskanzler Gerhard Schröder, 75, über seine
Zusammenarbeit mit Ferdinand Piëch, dessen Vorliebe für
Luxusautos und die Frage, wo VW ohne den Manager heute stünde