Der Spiegel - 31.08.2019

(lily) #1
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Moldau

»Republik in Geiselhaft«


Präsident Igor Dodon, 44, der als Bewun-
derer von Wladimir Putin gilt, spricht über
die EU-Perspektive seines Landes – und
die überwundene Staatskrise im Frühjahr.

SPIEGEL: Herr Präsident, jahrelang hat
der Oligarch Vlad Plahotniuc die Repu-
blik Moldau beherrscht – dabei hatte er
noch nicht mal ein Staatsamt inne.
Anfang Juni stürzte sein Regime. Wie
kam es dazu?
Dodon: Plahotniuc hatte die Republik
Moldau in Geiselhaft genommen, sie war
ein Staat in Gefangenschaft. Nach der
Parlamentswahl im Februar haben sich
die Oppositionsparteien gegen Plahot -
niuc vereint und eine un -
abhängige Regierungs -
koalition gebildet.
SPIEGEL: Auch Russland
hatte sich offen gegen Pla-
hotniuc ausgesprochen.
Es war das erste Mal seit
der Annexion der Krim,
dass Russland, die EU und
die USA sich international
einig waren.
Dodon: Ich glaube, es gibt
ein gemeinsames Interesse
der internationalen Akteure, dass im
Land eine gewisse Stabilität, ein Gleich-
gewicht der Kräfte, herrschen sollte. Die
gegenwärtige Koalition repräsentiert die-
ses Gleichgewicht.
SPIEGEL: Wohin steuert Ihr Land nun?
Dodon: Unsere Gesellschaft ist sehr
gespalten. Die eine Hälfte möchte, dass
unser Land EU-Mitglied wird, die andere
Hälfte denkt, dass wir näher an Russland
sein sollten.

SPIEGEL: Sie selbst haben einst die
Kündigung des 2014 geschlossenen EU-
Assoziierungsabkommens verlangt.
Dodon: Es stimmt, früher ist die Partei
der Sozialisten, deren Vorsitzender
ich war, für eine Kündigung dieses Ab -
kommens eingetreten. Als ich vor
zweieinhalb Jahren gewählt wurde, bin
ich jedoch für eine ausgewogene Außen-
politik Moldaus eingetreten. Wir werden
alle internationalen Verträge einhalten,
einschließlich des Assoziierungsab -
kommens.
SPIEGEL: Wie realistisch ist es, dass Mol-
dau tatsächlich EU-Mitglied wird?
Dodon: Ich glaube nicht, dass wir in der
derzeitigen Situation EU-Mitglied wer-
den können. Seien wir ehrlich, die EU ist
nicht auf neue Mitglieder vorbereitet.
Die Westbalkanstaaten
stehen seit Jahren in
der Warteschlange. Wir
sind davon noch weiter
entfernt.
SPIEGEL: Sie werden von
prowestlichen Politikern
im Land dafür kritisiert,
dass Sie sich oft mit Putin
treffen.
Dodon: Ich habe auch
viele Besuche im Westen
gemacht. Im September
werde ich nach Brüssel reisen. Ich habe
auch vor, die USA zu besuchen.
SPIEGEL: Wie stehen Sie zur Annexion
der Krim? Bisher haben Sie sich nicht
klar geäußert.
Dodon: Der Standpunkt des moldau -
ischen Präsidenten und der Staatsführung
seit der Unabhängigkeit 1991 war
immer derselbe: Die Republik Moldau
erkennt die Ukraine in den international
anerkannten Grenzen an. Punkt. KVE

Fünf-Sterne-Bewegung

Onlineabstimmung über


Italiens Regierung


 Dass es mit dem geplanten Koalitions-
partner schwierig wird, könnten Italiens
Sozialdemokraten in den nächsten Tagen
erneut merken. Luigi Di Maio will das
Regierungsprogramm den Anhängern sei-
nes populistischen Movimento 5 Stelle
(M5S) zur Onlineabstimmung vorlegen.
»Die Mitglieder haben das letzte Wort«,
sagt der Parteichef. Nur wenn ihr Votum
positiv ausfalle, komme die Regierung
auch wirklich zustande. Damit rückt die
Onlineplattform »Rousseau«, die die direk-
te Demokratie stärken soll, in den Mittel-
punkt des Entscheidungsprozesses – wäh-
rend bei den Sozialdemokraten klassisch
der Vorstand ihrer Demokratischen Partei

entscheidet. Dabei ist das Onlineinstru-
ment der Fünf Sterne umstritten:
Die genaue Zahl der registrierten Nutzer
ist nicht bekannt, es sollen ungefähr
100 000 sein. Zudem gibt es keine unab-
hängige Instanz, die das Wahlergebnis
überprüfen kann. Eigentümer und Betrei-
ber der Plattform ist überdies nicht die Par-
tei, sondern ein privater Verein. Im Mai
2018 stimmten laut M5S rund 44 000 Mit-
glieder über die geplante Koalition mit Lega-
Chef Matteo Salvini ab, 94 Prozent sollen
sich dafür ausgesprochen haben. Ob die
Zustimmung nun wieder so hoch ausfällt,
muss sich zeigen: Die Basis hat noch nicht
vergessen, wie aggressiv Di Maio bis vor
Kurzem den neuen Koalitionspartner be -
kämpfte. Die Sozialdemokraten halten die
Onlineabstimmung für eine »Grobheit«
gegenüber Staatspräsident Sergio Matta -
rella: Er setze doch Regierungen ein. HOR

Kroatien


Angriffe auf Serben


 Vier Monate bevor Kroatien erstmals
die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt,
beklagt Ex-Premier Zoran Milanović
eine »Kultur der Gewalt«. Der Sozial-
demokrat, Kandidat fürs höchste
Staatsamt, kritisiert Angriffe auf Mit-
glieder der serbischen Minderheit: Ver-
gangene Woche wurden mehrere ethni-
sche Serben im Hinterland der Adria
von maskierten kroatischen Hooligans
verletzt. Von »einer offenen Atmosphä-
re des Hasses« auf alles Serbische,
befeuert von Vertretern der katholi-
schen Kirche, spricht der Abgeordnete
Milorad Pupovac, Präsident des Serbi-
schen Nationalrats in Kroatien. Bereits
im Juni war nahe Rijeka ein serbischer
Lokalpolitiker zu Tode geprügelt wor-
den. Hinzu kamen seit Jahresbeginn
Attacken gegen serbische Sportler und
Saisonarbeiter. Kroatiens Präsidentin
Kolinda Grabar-Kitarović zeigt sich
angesichts der chauvinistischen Aus-
wüchse unbeeindruckt. Im Gegenteil:
Am liebsten wäre sie schon im August
1995 »auf das Schlachtfeld gezogen«,
sagte sie bei Feierlichkeiten am Jahres-
tag der »Operation Sturm« – Kroatiens
Armee hatte damals die serbisch besetz-
te Krajina zurückerobert. Mit nationa-
listischen Tönen und einem offenen
Bekenntnis zu Texten des faschistoiden
Sängers »Thompson« wirbt Grabar-
Kitarović für ihre Wiederwahl. Tadel
aus Brüssel ist kaum zu erwarten: Kroa-
tien stehe für eine »enorme Erfolgs -
geschichte« und sei »Vorbild für viele
Länder«, befand die angehende EU-
Kommissionspräsidentin Ursula von
der Leyen Ende Juli in Zagreb. WMA


MARIA FECK / DER SPIEGEL
Dodon

INSIDEFOTO / DDP IMAGES

Di Maio
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