den Sommer bei endlosen Barbecues vo-
rüberziehen lässt. Eine Bekannte habe ihm
den Investor vorgestellt, die spätere Lady
de Rothschild, erzählt Dershowitz.
»Lynn verkuppelte Epstein im ganzen
Land. Sie stellte ihn Bill Clinton vor. Sie
bürgte für ihn.« Versteht man Dershowitz
richtig, war es nicht seine Schuld, sondern
die Schuld von Lady de Rothschild, dass
er in die Affäre hineingezogen wurde. »Ich
bin stinksauer auf die.«
Dershowitz setzt sich an den Esstisch, es
ist derselbe Tisch, an dem Epstein bei der
ersten Begegnung Platz nahm. Als Begrü-
ßungsgeschenk brachte er eine Flasche
Champagner mit, sagt Dershowitz. »Ich
habe die Flasche heute noch.« Eine Stunde
lang saßen sie beisammen und redeten über
Harvard, wo Dershowitz lehrte. Epstein,
der selbst keinen Studienabschluss hatte,
habe an der Universität als Großspender
Fuß fassen wollen. Epstein habe gewirkt
wie ein »junger Mann auf dem Weg nach
oben«. Ein Autodidakt, sehr diszipliniert.
»Er ging früh ins Bett und stand früh auf.«
Dershowitz ist einer der berühmtesten
Verteidiger des Landes. Er war Teil des Ju-
ristenteams um Ted Kennedy, gegen den
Ende der Sechzigerjahre wegen fahrlässi-
ger Tötung ermittelt wurde, er vertrat un-
ter anderen O. J. Simpson, der wegen Dop-
pelmordes angeklagt war. Als Epstein sich
Dershowitz näherte, hatte der Jurist den
Ruf eines Starverteidigers.
Der Kontakt war wichtig, als Epstein
2005 von den Ermittlungen wegen Kin-
desmissbrauchs gegen ihn in Palm Beach
erfuhr. Er stand im Fadenkreuz. Dersho -
witz nahm das Mandat an.
Warum lässt sich ein Jurist auf jeman-
den ein, der schon damals »radioaktiv ver-
seucht war«, wie Dershowitz heute sagt?
Ging es dem Anwalt um Geld, um Ruhm,
um die intellektuelle Herausforderung, ei-
nen Typen wie Epstein zu verteidigen?
Jeder Angeklagte brauche einen Vertei-
diger, sagt Dershowitz. »Ich sehe mich wie
einen Arzt: Wenn Epstein in die Notauf-
nahme eingeliefert worden wäre, wäre er
ebenfalls behandelt worden.« Niemand
habe dessen dunkle Seite gekannt. »Er
hielt sein Privatleben geheim. Wie Dr. Je-
kyll und Mr. Hyde.«
Es ist eine Rechtfertigung, die man häu-
fig hört, wenn man mit einstigen Vertrau-
ten Epsteins spricht. Aber tauchte Epstein
nicht merkwürdig oft in Begleitung sehr
junger Frauen auf, eher Mädchen?
Für Epstein waren die Jahre nach den
Ermittlungen eine riskante Zeit. Er heuerte
immer mehr Anwälte an, darunter den frü-
heren US-Sonderermittler Kenneth Starr,
der gegen Bill Clinton ermittelt hatte. Der
Millionär wollte einen Freispruch und war
bereit, ein Vermögen zu bezahlen.
Ende Juni 2008 bekannte sich der An-
geklagte Jeffrey Epstein in zwei Anklage-
punkten der Prostitution von Minderjäh-
rigen für schuldig. Es war das Ergebnis
geheimer Verhandlungen zwischen dem
Team um Dershowitz und der Staatsan-
waltschaft von Südflorida. Epstein saß eine
Haftstrafe von 13 Monaten ab. Ihm wurde
gestattet, seine Zelle tagsüber bis zu zwölf
Stunden lang zu verlassen, sechs Tage
die Woche. Gleichzeitig sicherte ihm die
Staatsanwaltschaft zu, ihn nicht auf Bun-
desebene zu belangen.
Was für ein Witz. Epstein ließ sich mor-
gens von einem Chauffeur abholen und
fuhr ins Büro, wo Hilfssheriffs auf ihn auf-
passten, die er selbst bezahlte. Dershowitz
hält den Deal bis heute für angemessen.
Wann hat er seinen früheren Mandan-
ten zuletzt gesehen?
»Carolyn«, ruft er.
Seine Frau sagt, er habe Epstein vor fünf
Jahren in dessen New Yorker Villa besucht.
»Aber nur zur Rechtsberatung.«
Im Zuge der Gerichtsverfahren gegen
Epstein sagten zwei Frauen aus, sie seien
zum Sex mit Dershowitz angehalten wor-
den. Dershowitz dementiert das. Der Fall
hängt ihm wie ein Betonklotz am Fuß. Er
führt auch einen Privatkrieg gegen Julie
Brown, die Reporterin, die von den Aus-
sagen der Frauen gegen ihn berichtete.
Nach der Veröffentlichung lud er Brown
in sein Apartment ein, zeigte ihr seinen
Kalender und erklärte, die Vorwürfe
könnten aus terminlichen Gründen nicht
stimmen.
Brown sagt: »Er hat mir den Kalender
nie gegeben.« Sie glaube den Frauen.
Eine derjenigen, die Dershowitz beschul-
digen, ist Virginia Roberts Giuffre, das
wohl bekannteste Epstein-Opfer. Dersho -
witz sagt: »Virginia lügt.« Er wurde zum
Selbstverteidiger, und wie so viele, die sichmit Epstein einließen, hat Alan Dershowitz
einen Teil der Radioaktivität abbekommen.
Er versucht, die Beziehung zu seinem
einstigen Mandanten kleinzureden. Er gibt
aber zu, Epstein die Fahnen seiner Bücher
geschickt zu haben, da er auf seine Meinung
Wert legte. Er gibt auch zu, einmal Epsteins
Villa in Palm Beach für einen Familienur-
laub genutzt zu haben. Nach einem Bericht
der New Yorker Boulevardzeitung »Daily
News« gestand er, eine Massage in Epsteins
Haus bekommen zu haben – allerdings von
Olga, einer 50-jährigen Russin: »Ich behielt
meine Unterwäsche an.«Aus dem Verfahren »Jane Doe 43 gegen
Jeffrey Epstein« und andere: »Die Beklag-
ten stellten der Geschädigten eine Woh-
nung in New York zur Verfügung; einen
Chauffeurservice, über den sie verfügen
konnte; ein Mobiltelefon sowie weitere
Dinge von Wert, um die sexuelle Gefolg-
schaft der Geschädigten zu erhalten.«Mike Fisten ist ein Privatdetektiv, wie man
ihn sich vorstellt: offenes Hemd, Silberket-
te, groß, bullig, aber ziemlich nett, wenn
man ihn näher kennenlernt. Jahrzehnte-
lang arbeitete er als Polizist in Miami,
kämpfte gegen Drogenhändler, Mörder,
Terrorunterstützer. 2005 ging er in Rente,
doch dann fragte ihn ein befreundeter An-
walt, ob er sich um einen Millionär küm-
mern könne, der angeblich Minderjährige
missbrauche.
Im Auftrag des Anwalts traf sich Fisten
mit Mädchen, die ihm von den Vorgängen
in der Villa am El Brillo Way 358 in Palm
Beach erzählten. Manchmal saß er selbst
mit einem Fernglas im Haus einer Nach-
barin. Er sah Epstein am Pool, umgeben
von Mädchen in Bikinis. »Ab und zu nahm
er eine an der Hand, ging mit ihr hoch in
den ersten Stock und ließ die Rollos run-
ter.« Fisten sagt, Epstein sei ein Pädophiler
gewesen, den niemand aufhielt, weil alle
Angst vor seinem Einfluss hatten. »Jeder
in Palm Beach wusste, was Epstein tat. Er
wurde dafür gehasst.«
Noch während Fisten ermittelte, gelang
der Polizei ein Coup. Sie stieß auf Epsteins
Adressbuch, das »Little Black Book«. Hun-
derte Namen von Prominenten sind darin
zu finden, von Mick Jagger über Bernie
Ecclestone und Henry Kissinger bis hin zu
Rupert Murdoch. Unter dem Stichwort
»Massage« finden sich die Telefonnum-
mern Dutzender Mädchen, nicht nur in
Florida, auch auf den Virgin Islands, in Pa-
ris, New York, New Mexico.Nachricht eines Mädchens für Jeffrey Ep-
stein, aufgeschrieben auf einem Notizzettel,
den die Polizei bei einer Durchsuchung sei-
ner Villa in Palm Beach beschlagnahmte:
»Sie fragt, ob 14.30 Uhr okay ist. Sie muss
noch in der Schule bleiben.«76Ausland»Ich sehe mich wie einen Arzt:
In der Notaufnahme wäre
Epstein auch behandelt worden.«Epstein-Anwalt DershowitzWEBB CHAPPELL / DER SPIEGEL