In Presseberichten wird Jeffrey Epstein oft
als Hedgefonds-Manager bezeichnet, aber
die Sache ist komplizierter. Sein erstes Ge-
halt verdiente er als Mathematik-Lehrer
an einer Privatschule in Manhattan, wech-
selte zur Investmentbank Bear Stearns
und gründete später eigene Firmen. Er be-
riet die Superreichen in Fragen des Geldes,
Klienten erzählte er, er betreue nur Kun-
den mit einem Vermögen von einer Mil -
liarde Dollar oder mehr.
Steven Hoffenberg lernte Epstein Ende
der Achtzigerjahre kennen und war begeis-
tert. Er sah einen Mann, der Türen öffnen
konnte, vor allem an der Wall Street. »Mit
seinem Charisma kam er vielen Leuten
nahe«, sagt Hoffenberg. Epstein hatte Zu-
gang zur Geldelite, zum Unternehmer Les-
lie Wexner, zum Finanzier Leon Black, zur
Pharma-Erbin Elizabeth Ross Johnson
und dem Hedgefonds-Milliardär Glenn
Dubin. Hoffenberg sagt, Epstein sei ein be-
gabter Verkäufer gewesen. »Er hatte ein
phänomenales Superhirn.«
Hoffenberg wuchs im New Yorker Stadt-
teil Bensonhurst auf, im Süden von Brook-
lyn, und führte später eine Firma, mit der
er Privatschulden eintrieb. In den besten
Zeiten beschäftigte er knapp 1200 Mitar-
beiter mit einem Jahresumsatz von 95 Mil-
lionen Dollar. Er wollte Respekt.
Heute sitzt Hoffenberg in der Ecke einer
abgerockten Hotellobby in Connecticut,
zwischen Resopaltischen und Filzsesseln.
Man sieht ihm die Jahre im Gefängnis an.
1987 stellte er Epstein als Berater an,
für 25 000 Dollar im Monat. »Ein schreck-
licher Fehler«, sagt Hoffenberg heute. An-
fang der Neunzigerjahre kam heraus, dass
sein Reichtum auf einem Schwindel be-
ruhte. Vermeintliche Gewinne von Inves-
toren wurden von den Einlagen immer
neuer Investoren bezahlt – ein Karten-
haus, das unweigerlich zusammenbrechen
musste.
1995 wurde Hoffenberg zu 20 Jahren
Haft und der Rückzahlung von mehr
als 460 Millionen Dollar verurteilt. Hof-
fenberg zufolge war Epstein das Master-
mind hinter dem Betrug, das die Umset-
zung plante und ausführte. »Jeden Tag,
jede Woche, jahrelang.« Allerdings wurde
Epstein nie angeklagt. Sein Name ver-
schwand aus den Akten, wie von Geister-
hand gestrichen. Während sein Geschäfts-
partner einsaß, vermehrte er das Geld
anderer und damit auch sein Vermögen,
bis er stürzte.
Aussage des mutmaßlichen Epstein-Opfers
Chauntae Davies am 27. August 2019 bei
einer Anhörung in New York: »Er zog mei-
nen Körper auf seinen bereits nackten,
schneller, als ich denken konnte. Ich suchte
nach Worten, aber alles, was ich sagen
konnte, war: Nein, bitte hör auf. Doch das
schien ihn nur mehr zu erregen.«
Einige von ihnen werden ihre Klagen ge-
gen Epsteins Nachlassverwalter richten,
eine Frau hat das bereits getan. Sein frü-
herer Geschäftspartner Steven Hoffenberg
behauptet, Epstein habe zusätzlich 500
Millionen Dollar im Ausland versteckt.
Die meisten, mit denen Epstein über die
Jahre verkehrte, ducken sich weg. Viele
Prominente, deren Telefonnummern oder
E-Mail-Adressen in seinem Telefonbuch
stehen, sagen, sie seien dem Multimillio-
när nie begegnet. Der SPIEGELhat mehr
als zwei Dutzend Prominente aus dem
Adressbuch angeschrieben, die wenigsten
antworteten. Bernie Ecclestone schreibt,
er habe »bis vor Kurzem den Namen Ep-
stein nicht einmal gekannt«.
Die Reporterin Julie Brown, die den Fall
wieder aufrollte, sagt, sie habe Spuren
nach Schweden und Südafrika. In Epsteins
Adressbuch stehen Telefonnummern von
Mädchen in Paris und anderen Städten.
Bislang ist keiner von Epsteins Helfern an-
geklagt worden, aber vier seiner Assisten-
tinnen, darunter seine Ex-Freundin Ghis-
laine Maxwell, stehen laut »New York
Times« im Fokus der Ermittlungen.
Und doch sagt eine von Epsteins Assis-
tentinnen am Telefon, sie habe nie min-
derjährige Mädchen gesehen. Er sei ein
respektvoller Mensch gewesen, wenn man
ihm seine Grenzen aufgezeigt habe.
Ist sie traurig, dass Epstein tot ist?
»Ich weiß ja nicht, ob er wirklich tot ist.
Reiche Leute kommen immer davon.«
In Paris hat die Staatsanwaltschaft seit
Freitag vergangener Woche Vorermittlun-
gen wegen Vergewaltigung und sexueller
Nötigung von Minderjährigen aufgenom-
men. Eine Opferinitiative hat zehn Aus -
sagen von Frauen aus dem Epstein-Netz-
werk gesammelt, die an die Justiz überge-
ben werden sollen.
Es kehrt keine Ruhe ein. In Florida, nicht
weit von Epsteins Villa in Palm Beach ent-
fernt, öffnet eine kleine, unsichere Frau die
Tür eines Bungalows. Es ist die Mutter von
Courtney Wild, jener Frau, die sich bis heute
schämt, missbraucht worden zu sein. Sie wol-
le nicht mehr über Epstein reden, sagt Wilds
Mutter, man solle lieber nach Ghislaine Max-
well suchen, seiner mutmaßlichen Kompli-
zin. Maxwell sei in Gefahr. »Epsteins Leute
werden sie umbringen. Sie weiß zu viel.«
Die Geschichte ist noch lange nicht zu
Ende.
Laura Backes, Anna Clauß, Milena Pieper,
Marc Pitzke, Max Polonyi, Britta Sandberg,
Christoph Scheuermann, Philipp Seibt,
Antje WindmannDER SPIEGEL Nr. 36 / 31. 8. 2019 77
Video
»Eine Geschichte mit vielen
schillernden Figuren«
spiegel.de/sp362019epstein
oder in der App DER SPIEGELGEORGE ETHEREDGE / DER SPIEGEL»Epstein war beteiligt
an dem Betrug, jeden Tag,
jede Woche, jahrelang.«Unternehmer HoffenbergFünf Wochen lang, vom 6. Juli bis zum- August, saß Insasse 76318-054 im
Metropolitan Correctional Center in Un-
tersuchungshaft. Das Gefängnis liegt in
Manhattan, nicht weit von der Wall Street
entfernt, ein Betonbunker mit Stachel-
draht und Überwachungskameras. Der
frühere Mafiaboss John Gotti saß hier
ein, der Milliardenbetrüger Bernie Madoff,
islamistische Terroristen und Joaquín Guz-
mán, genannt El Chapo, der berüchtigte
Kartellchef aus Mexiko.
Epsteins Zelle lag im Südteil des Gefäng-
nisses, im 9. Stock. Hier sind Insassen un-
tergebracht, die in den übrigen Teilen der
Anstalt als gefährdet gelten, darunter Män-
ner, die sich an Minderjährigen vergangen
haben sollen. Die Zellen werden streng
überwacht.
Am 8. August ließ Jeffrey Epstein ein
Testament aufsetzen, 21 Seiten lang. Darin
verfügte er, dass sein gesamtes Vermögen
in einen Treuhandfonds überführt werden
soll, 577 Millionen Dollar, davon 57 Mil-
lionen in bar. Der Fonds hat den Vorteil,
dass er im Verborgenen operieren kann.
Es war Epsteins letzter Trick.
Zwei Tage später, am 10. August mor-
gens um 6.30 Uhr, fanden ihn Vollzugs -
beamte leblos in seiner Zelle. Sofort jagten
Verschwörungstheorien durchs Netz. War
er von mächtigen Freunden ermordet wor-
den, aus Angst, er könnte auspacken? War
es Zufall, dass die Wachmänner schliefen,
ausgerechnet bei diesem Häftling? Der Au-
topsiebericht befand Suizid durch Erhän-
gen, Ermittlungen sollen klären, wie es
dem Angeklagten gelingen konnte, sich
das Leben zu nehmen.
Jeffrey Epstein ist ein letztes Mal ent-
glitten. Er entkam einer Verurteilung, ei-
ner langen Haftstrafe, seinen Opfern. Was
er hinterlässt, sind traumatisierte Frauen.