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or den Toren Bengasis, in seinem
Hauptquartier, sitzt der Herr-
scher der Stadt und will nicht
reden. General Khalifa Haftar er-
klärt nichts – nicht seinen Krieg gegen
die Regierung in Tripolis, der Hauptstadt
Libyens, nicht sich selbst.
Ende Juli tritt er kurz im libyschen Fern-
sehen auf. Ein groß gewachsener Mann,
75 Jahre alt, mit Schnurrbart, fleischigen
Wangen und weißem Haar. Selbstsicher,
pompös und leicht messianisch. Er appel-
liert an die Moral seiner Truppen.
Haftar inszeniert sich als starker Mann,
der Sicherheit bringt, der Tripolis erobert.
In Bengasi, der großen Stadt des Ostens,
lässt sich beobachten, was geschehen
könnte, wenn Haftar tatsächlich siegen
und über ganz Libyen herrschen würde.
Haftar ist in Bengasi überall und nir-
gends. Er schaut von Postern auf die Stadt.
Er spukt in den Köpfen der Menschen. Nie-
mand will offen etwas Schlechtes über ihn
sagen. Und nur wenige etwas Gutes. In
Tripolis schimpfen die Menschen über eine
unfähige Regierung, aber, so sagen sie, sie
könnten das zumindest laut tun. In Ben-
gasi unter Haftar sei das nicht so.
Fast ein Jahrhundert lang war Bengasi
der Motor für Veränderungen in Libyen.
Hier bündelte sich der Widerstand gegen
die italienischen Kolonialherren. Hier rief
Idris 1951 das Königreich Libyen aus. Hier
begann 2011 der Aufstand gegen Diktator
Muammar al-Gaddafi. Nun hat sich die
Stadt Haftar unterworfen.
Ali Marhab, ein kleiner, stämmiger
Mann mit kurzen Haaren und breitem
Gesicht, läuft über den Tahrir-Platz in
Bengasi, wo die Revolte gegen Gaddafi
ihren Anfang nahm, hinein in die Altstadt.
Er will, wie auch die anderen Protagonis-
ten in diesem Text, nicht, dass sein echter
Name genannt wird. Er fürchtet Repres-
sionen. »Es gibt überall Ohren«, sagt er.
Marhab hat 2011 gegen Gaddafi ge-
kämpft. Er hat Haftar von 2014 bis 2017
dabei geholfen, die Islamisten aus Bengasi
zu vertreiben. Nun arbeitet er für Haftars
Libysche Nationale Armee (LNA). In wel-
cher Position, soll hier nicht gesagt werden.
Marhab kommt am Gerichtsgebäude
vorbei. Granaten haben Teile der Fassade
herausgesprengt. Auf dem Parkplatz lie-
gen ausgeblichene Palmenstämme. Die
Häuserfronten sind von Kugeln und Gra-
naten zerlöchert. »Wenn du eine Meinung
hast, dann behalte sie für dich. Wenn du
etwas sagst, könnten Leute Fragen stel-
len«, klagt er.
Haftar hat in Bengasi einen Überwa-
chungsstaat errichtet. Wer versucht, sich
als ausländischer Journalist allein zu be-
wegen, kommt keine 200 Meter weit. In
den seltensten Fällen werden Journalisten
überhaupt in die Stadt gelassen. Überall
wird man von Sicherheitsleuten in Zivil
kontrolliert. Auch im Hotel sitzen Männer,
die die Gäste beobachten.
In der Stadt, die einst das Sprachrohr
der Revolution war, wo nach Gaddafis
Sturz unzählige Zeitungen verlegt wurden,
Radiostationen sendeten, wo Aktivisten
ihre Stimmen erhoben, regiert die Angst.
Bengasi wirkt wie erstarrt. Von der »gro-
ßen Depression« sprechen hinter vorge-
haltener Hand die Bewohner.
Da sich Haftar selbst kaum zu seinen
Plänen äußert, rätselt die Welt bis heute,
was er mit Libyen vorhat. Zur Demokratie
hat er sich nie bekannt. Die Zeit dafür sei
in Libyen noch nicht reif, sagte er einmal.
Einiges spricht dafür, dass der General das
Modell Bengasi gern auf das ganze Land
übertragen würde, dass er einen ähnlichen
Überwachungsstaat aufbauen will, wie
Gaddafi, sein alter Weggefährte, es einst
getan hat.
Wie Gaddafi besuchte Haftar die könig-
liche Militärakademie in Bengasi. Gemein-
sam putschten sie gegen König Idris. Haf-
tar war einer von Gaddafis wichtigsten
Generälen, bis er bei einem missglückten
Feldzug im Tschad 1987 gefangen genom-
men wurde, bei Gaddafi in Ungnade fiel
und später ins Exil in die USA floh, wo
er mutmaßlich mit der CIA zusammen -
arbeitete.Mohamed Al Reid, ein libyscher Ex-
Offizier, der Haftar seit Langem kennt,
erzählt, Haftar habe nach dem Tschad-
Einsatz beschlossen, als Sieger, nicht als
Verlierer nach Libyen zurückzukehren.
»Er war unter uns Offizieren als rück-
sichtslos verrufen. Der einzelne Mensch,
das einzelne Schicksal interessierte ihn
nicht.«
Haftar lebte fast zwei Jahrzehnte lang
in Falls Church, Virginia. Als sich die Li-
byer gegen Gaddafi erhoben, packte er
seine Koffer, flog nach Kairo und fuhr von
dort nach Libyen. Haftar beanspruchte
die Führung über die Revolution. Und
scheiterte, woraufhin er vorübergehend
in die USA zurückging. Von 2012 an brei-78
AuslandDie Stadt
des Generals
LibyenBengasi war das Zentrum der Revolution gegen Gaddafi.
Nun steuert der Warlord Khalifa Haftar von hier aus seinen
Krieg gegen die Regierung in Tripolis. Selbst seine eigenen Leute
fürchten ihn. Von Mirco Keilberth und Fritz Schaap