AuslandHaus brennen sehen. Jetzt will er helfen,
die Altstadt wiederaufzubauen. An diesem
Nachmittag kontrolliert er Straßenlater-
nen. Die Regierung, kritisiert er, tue nichts.
Außer Krieg zu führen.
Marhab wirkt müde. »Ich würde nie in
den Westen, nach Tripolis, gehen und
kämpfen«, sagt er. »Ich habe keine Energie
mehr für einen weiteren Krieg. Ich sehe
noch immer Bilder von abgetrennten
Gliedmaßen, gefallenen Freunden.«
Der Bürgerkrieg hat die Menschen in Li-
byen entzweit. Nirgendwo sonst zeigt sich
das so sehr wie in Bengasi. Für viele im
Westen, speziell in der Milizenhochburg
Misurata, ist ein Sieg gegen Haf-
tar das wichtigste Ziel. Während
der Kämpfe um Bengasi schick-
ten die Milizen aus Misurata
Schiffe, um die Islamisten zu ver-
sorgen. Der Hass der Menschen
in Bengasi auf den Westen des
Landes ist besonders groß.
Bengasi war einst eine kosmo-
politische Stadt, in der sich alle
Stämme des Landes trafen, in
der über Stämme und Ethnien
hinweg geheiratet wurde. Die
Einwanderer aus Misurata wa-
ren seit Jahrhunderten ein inte-
graler Bestandteil dieser Gesell-
schaft. Das hat sich geändert.
Familien, deren ursprüngliche
Wurzeln nicht im Osten liegen,
wurden als Ghuraba, als Men-
schen aus dem Westen, gebrand-
markt, besonders Bürger mit
Wurzeln in Misurata bekamen
Probleme. Selbst wenn ihre Vor-
fahren bereits vor Jahrhunderten nach
Bengasi kamen, wurden sie verantwortlich
gemacht für den Terror in der Stadt. Es
gibt Stimmen in Bengasi, die von »ethni-
schen Säuberungen« sprechen.
Anfang August verübten Unbekannte
einen Anschlag auf einen Uno-Konvoi im
Stadtteil Hawari. Es war das zweite Auto-
bombenattentat innerhalb eines Monats.
Fünf Menschen starben, darunter drei Uno-
Mitarbeiter. Der Vorfall ist ein Rückschlag
für Haftar, der versprochen hat, mit harter
Hand für Sicherheit zu sorgen.
Die Wunden verheilen in Bengasi nicht.
Das Trümmerfeld der Altstadt ist eine
Warnung an den Rest des Landes. Haftar,
so scheint es, will nicht versöhnen, er will
siegen.
»Es fängt wieder an«, sagt Marhab.
»Leute verschwinden wieder.«
So wie vor einigen Wochen die Parla-
mentsabgeordneteSeham Sergewa. Schon
während des Krieges gegen die Islamisten
in Bengasi hatte sie unbequeme Fragen
gestellt. Musste die Innenstadt tatsächlich
in diesem Maße bombardiert werden?
Sind wirklich alle Familien, die vor Gene-
rationen aus Misurata kamen, Sympathi-
fallen zurück in die Muster, die sie kennen.
In die Überwachungs- und Kontrollmuster
der Gaddafi-Zeit.«
Vor der Revolution, erzählt er, konnte
man mit Denunziationen über vermeint -
liche Spione auf Polizeistationen schnelle
500 Dinar verdienen. Heute werde über Fa-
cebook Rufmord betrieben. »Wer ein Haus
oder Geschäft haben will, muss nur das Ge-
rücht streuen, dass der Inhaber mit Ansar
al-Scharia oder den Menschen aus Misurata
sympathisiert, schon kommt eine Miliz vor-
bei, mit der man sich den Gewinn teilt.«
Ali Marhab steht einige Tage später, am
frühen Abend, am Platz des Baumes, der
einst berühmt war für die Zeder,
die ihn schmückte. Die Straßen
sind leer, nur ein Händler hat
seinen Stand aufgebaut. Ein
paar Säcke Holzkohle liegen
dort neben einem Klotz, in
den er Schlachtermesser ge-
schlagen hat. Auf einem Plakat
das Konterfei Haftars. »Geh
voran, Feldmarschall Haftar,
Gott und das Volk stehen hinter
dir«, steht daneben. Ein paar
Jugendliche helfen Marhab, die
Markierungen des Bürgersteigs
zu erneuern.
Eine staubige Straße führt
vom Platz des Baumes in Rich-
tung Corniche, der Küsten meile,
wo sich Teenager Rennen auf
röhrenden Quads liefern, Händ-
ler Popcorn verkaufen, wo sich
rostige Karussells drehen, Kin-
der auf Hüpfburgen springen,
wo es nach gegrilltem Mais
riecht und Männer in Micky-Maus- und
Goofy-Kostümen umherlaufen.
Auf der anderen Seite der Corniche lie-
gen die Ruinen der Altstadt, getrennt vom
Rummel nur durch die breite Straße.
Die Corniche wirkt wie eine Miniatur
von Haftars Reich: eine große Show, die
die brutale, repressive Realität verdecken
soll – und doch nicht kann.
Etliche Menschen nehmen Haftar sei -
ne Show ab. Sie sehnen sich nach Stabili -
tät und Ruhe. Dafür akzeptieren sie die
Rückkehr zu Autokratie und Unfreiheit.
Die Alternativen wären in ihren Augen
Milizenherrschaft, islamistischer Terror,
Krieg.
Acht Jahre Krieg in Libyen haben, so
scheint es, Bengasi so sehr erschüttert, dass
die Stadt sich nun, sehenden Auges, die
repressive Vergangenheit wieder zur Zu-
kunft macht.80 DER SPIEGEL Nr. 36 / 31. 8. 2019santen von Ansar al-Scharia und dem
»Islamischen Staat«?
Nachdem sie nun Kritik an Haftars Of-
fensive auf Tripolis übte und Uno-Ermitt-
lungen zu den Entführungen von Haftar-
Kritikern forderte, verschwand sie. Es gibt
Fotos, die belegen sollen, dass die Fahr-
zeuge, die vor dem Haus der Sergewas auf-
tauchten, zur LNA gehörten. Die Maskier-
ten nahmen Sergewa mit, ihren Mann tra-
fen Schüsse in beide Beine, ihr Sohn wurde
zusammengeschlagen. Sie mussten ins
Krankenhaus. »Die Armee ist die rote Li-
nie« hat jemand neben der Haustür an die
Wand gesprüht. Ein Mann in braunem Hemd mit zurück-
weichendem Haaransatz und sauber gestutz-
tem Bart sitzt an einem Tisch auf der Ter-
rasse des Hotels Juliana, westlich von Taba-
lino, einem ehemals wohlhabenden Viertel
voll kubistischer Villen und schattiger Alleen.
Der Mann betreibt eine NGO in Bengasi.
Doch wann immer er kann, flüchtet er auf
seine Farm in den Bergen.
»Es ist grauenhaft hier«, sagt er, »blei-
erne Schwere liegt über der Stadt.« Die
Revolutionäre und alle, die danach kamen,
seien in ihrem Denken auch nicht anders
als Gaddafi. Es gelte die Maxime: Wenn
du nicht für uns bist, bist du gegen uns.
Der NGO-Chef blickt sich auf der Ter-
rasse um. Familien und Geschäftsleute tref-
fen sich hier. Dazwischen Sicherheitskräfte
in Zivil. »Manche dieser Gesichter habe
ich schon vor der Revolution gesehen«, er-
zählt er. An einem Tisch zückt jemand ein
Handy und filmt ihn unverhohlen.
»Ich denke, das alles ist nicht allein Haf-
tars Schuld«, sagt er, darauf bedacht, dass
seine Stimme leiser ist als die Musik, die
die Terrasse beschallt. »Es ist die Mentali-
tät. Es sind viele kleine Gaddafis. Es ist
vorauseilender Gehorsam. Die MenschenVideo-Reportage
Was der Krieg übrig ließspiegel.de/sp362019bengasi
oder in der App DER SPIEGELABDULLAH DOMA / AFP
Warlord Haftar
Selbstsicher, pompös, leicht messianisch