Der Spiegel - 31.08.2019

(lily) #1

Marcelo lächelt. »Ich bin ein neuer,
glücklicher Mensch«, sagt er.
Es mache für ihn keinen Unterschied,
meint er, ob er in der ersten Liga auflaufe
oder in der dritten. Das Kribbeln vor den
Spielen sei dasselbe. Bei Treze ist er Kapi-
tän. Ende Juli, als sie noch Letzter waren,
schoss er gegen eine Mannschaft namens
Globo das Siegtor, was seinem Team jetzt
die Möglichkeit gibt, aus eigener Kraft den
Abstieg zu verhindern. Am Samstag gegen
Botafogo, sagt er, werde das Stadion voll
sein. Seit Tagen schon vibriert die Stadt.
Und dann?
16 000 Real verdient Marcelo heute pro
Monat, knapp 3500 Euro. In etwa das,
sagt er, was er damals in Berlin in einer
Woche vertelefoniert habe. Es reiche, um
den Strom zu zahlen, den Sprit fürs Auto
und den Zehnten in der Kirche. Aber mit


dem letzten Spieltag endet sein Vertrag.
Von den meisten seiner Immobilien hat er
sich getrennt, als er noch versuchte, den
Lebensstandard früherer Zeiten aufrecht-
zuerhalten. Geblieben sind ihm das Apart-
ment, in dem er lebt, und ein leer stehen-
des Haus.
Ein paar Optionen gebe es, sagt er. Im
Januar wird er einen Trainerkurs belegen.
Dazu überlegt er, bei der Wahl zum Stadt-
rat anzutreten. Mit seiner Popularität rech-
net er sich gute Chancen aus, auch wenn
er noch nicht genau sagen kann, was bes-
ser laufen müsse in Campina Grande. An-
ders als in Deutschland, wo Stadträte ein
Ehrenamt bekleiden, hat man in Brasilien
für vier Jahre ein sicheres Einkommen.
»Es ist das erste Mal, dass er sich Ge-
danken über seine Zukunft macht«, sagt
sein Kumpel Rafael Arruda, der in einer

kleinen Dönerbude gegenüber dem Hotel
steht. Seines Wissens, sagt er, sei es die
einzige in der Region. Das Logo seines La-
dens ist das Brandenburger Tor, mit einem
dicken Fleischspieß als Mittelsäule. Jede
Woche kommt Marcelo hier vorbei.
Arruda ist 32. Er trägt einen Fusselbart.
Mehrere Jahre lang hat er in Marcelos be-
rüchtigter Berliner WG am Kaiserdamm
gelebt, zwei Tür an Tür liegende Dach -
geschosswohnungen, in denen oft ein gutes
Dutzend alter Freunde aus Campina haus-
te. Er habe das vertraute Umfeld gebraucht,
um Leistung zu bringen, erklärte Marce-
linho den Deutschen. In Wahrheit, sagt Ar-
ruda, hätten sie eine Dauerparty gefeiert.
Während andere Botengänge erledigten,
Reis und Bohnen kochten oder einfach
Marcelo zum Friseur begleiteten, trommel-
te Arruda in einer Sambatruppe, die Mar-

DER SPIEGEL Nr. 36 / 31. 8. 2019 83


EVGENY MAKAROV / DER SPIEGEL
Drittligafußballer Marcelinho (r.), Mitspieler nach der Partie des FC Treze am vergangenen Samstag: »Gott hat alles gewollt«
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