95Kino
Angst essen Kinder auf
Länger, blutiger und tatsächlich besser:
Der zweite Teil der Kinoadaption von
Stephen Kings »Es« kommt auf fast drei
Stunden Laufzeit, in denen kein konsens-
fähiger Schrecken ausgespart bleibt.
War das erste Kapitel – bis dato der kom-
merziell erfolgreichste Horrorfilm aller
Zeiten – noch von einer nostalgischen
Sicht auf die Achtziger geprägt, so ist die
Fortsetzung von beunruhigender Gegen-
wärtigkeit: 27 Jahre nach ihrem zwischen-
zeitlichen Triumph muss die nunmehr
erwachsene Außenseiterbande in der
Stadt Derry erneut gegen das absolut
Böse antreten. Das sucht sie in vielerlei
grotesker Gestalt heim, bevorzugt aber
als der perfide Clown Pennywise. Kings
bleicher Totmacher speist seine Mords-
energie aus der Furcht der Menschen und
ihrer Ignoranz. Vor aktuellem Hinter-
grund wird Pennywise damit zum perso-
nifizierten, ultimativen »hate crime«, zur
überlebensgroßen Projektion realer Grau-
en wie Rassismus, Sexismus und Homo-
phobie. Angst essen also immer noch See-
le auf (hier zudem auch kleine Kinder),
doch wenigstens im Kino können die ver-
meintlichen Verlierer ihr Vielfalt und Lie-
be entgegensetzen. Durchaus mit Ver-
weisen auf tagespolitische Verhältnis-
se macht der an Metaphern reiche
Horror überdeutlich: »Es« ist das
Monster aus der Mitte einer ent-
menschlichten Gesellschaft und kann
nur vereint gebannt werden. RED»Es – Kapitel 2« kommt am 5. September ins Kino.Serien
Flugverbot für Feen
Zahlreiche der Heldinnen flattern
zwar mit Feenflügeln durch die Luft,
trotzdem hält der Hauptdarsteller
Orlando Bloom die nun auf Amazon
Prime startende Serie »Carnival Row«
für einen »Kommentar zu den Problemen
unserer Ge sellschaft«. »Carnival Row«
spielt in einem pittoresk verschmuddel-
ten und sehr britischen Fantasiestaat,
in den durch Krieg aus ihren Heimatlän-
dern vertriebene Fabelwesen fliehen.
Bloom verkörpert einen Ex-Soldaten
und Inspektor auf Verbrecherjagd, die
Schauspielerin Cara Delevingne eine mit
dem Inspektor verbandelte Fee mit dem
wunderbar wohlklingenden Namen
Vignette Stonemoss – eine Art Action -
heldinnen-Version der Fee Tinkerbell.
Anfang der Woche stellten Delevingne
und Bloom die Auftaktfolge der Serie
in Berlin vor und betonten, dass es sich
um Unterhaltung mit zeitkritischem
Anspruch handle. Die Serie spiele in
einer Welt voller Rassismus und sei ein
»Plädoyer für Diversität«, sagte Dele -
vingne; trotz des Fantasybeiwerks hält
Bloom die Story für »stark in der gegen-
wärtigen Realität verwurzelt«. Manche
Details sind durchaus unsubtil: So wird
den geflüchteten Feenwesen in »Carnival
Row« (deutsche Synchronfassung ab- November) vom Gastland verboten,
frei herumzufliegen. HÖB
Elke SchmitterBesser weiß ich es nichtEpitaph
Angesichts der Weltnachrich-
ten wäre wohl jetzt der rich-
tige Zeitpunkt, ein Apfel-
bäumchen zu pflanzen. Man
weiß aber nicht, ob das
noch Zweck hat; in der freien
Natur würde es wohl nicht über-
leben – mehr als zwei Dürresommer
halten ja kaum die Linden und ewigen
Eichen aus, die im Volkslied und im
deutschen Wald noch immer häufig
sind und inzwischen einen sehr sterb -
lichen Eindruck machen. Die Erde
wird in weiten, ökologisch relevanten
Teilen von einem nerohaften Machis-
mo regiert, über den den Verstand zu
verlieren das Nächstliegende ist.
Mit destruktiven Spielverderbern ist
der Umgang immer schwierig. Tricksen
ist die friedlichste Methode, dazu zähl-
te zum Beispiel, die Gier nach Geld mit
Geld zu befriedigen und jenen Ranche-
ros, die mit dem Abholzen der Regen-
wälder ihr Auskommen finanzieren,
eine Art Stillhalteprämie zu bieten; die
EU zahlt ihren Bauern eine solche ja
auch. Nebenbei könnten wir bei den
Grünen um jenen Veggieday betteln,
für den sie 2013 durch den deutschen
Freiheitsfleischwolf gedreht wurden
und den New Yorker Schulen seit Sep-
tember haben – zum Wohle des Plane-
ten und der Gesundheit, wie der Bür-
germeister umstandslos begründete.
Es ist nicht nur bei der Liebe so: Am
meisten lernen wir beim Abschiedneh-
men. Am besten weiß ich über Tier arten
Bescheid, die gerade ausgestorben sind.
Dass Gletscher sterben können, begriff
ich erst, als die isländische Premierminis-
terin Katrín Jacobsdóttir eine Trauerfeier
für den 700-jährigen Ok jökull ab hielt.
Auf der Gedenktafel »Ein Brief an die
Zukunft« heißt es: »In den nächsten
200 Jahren ist zu erwarten, dass alle un -
sere wichtigsten Gletscher den gleichen
Weg gehen. Diese Gedenktafel dient
dazu anzuerkennen, dass wir wissen, was
vor sich geht und was zu tun ist.«
Eine unmittelbare Zukunft, in der
wir das Weltenkind in den Schoß
des neuseeländischen Parlamentsspre-
chers legen (der während mancher Sit-
zungen Abgeordnetenbabys die Fla-
sche gibt), während seine Premierminis-
terin Jacinda Ardern und ihre Kollegin
Katrín Jacobsdóttir die Weltgeschäfte
leiten, scheint mir die solideste Aus-
sicht zu bieten, dass diese Tafel noch
gelesen werden wird.An dieser Stelle schreiben Elke Schmitter und
Nils Minkmar im Wechsel.JAN THIJS / AMAZON ORIGINAL
Bloom in »Carnival Row«WARNER BROS.
Jessica Chastain in »Es – Kapitel 2«