Der Spiegel - 31.08.2019

(lily) #1

D


as Hemd ist rosa, die Krawatte
kariert, die rotblonde Welle sitzt:
Helge Schneider macht seine
jährliche Auftrittsreise durch die
Republik. »Pflaumenmus – die Tournee
zum Mus« heißt sie dieses Mal und führt
den Komiker und Jazzer aus Mülheim an
der Ruhr in diesen Tagen Ende August
durch Brandenburg und Sachsen. Durch
jene Länder also, auf die man in Berlin
gerade starrt wie ein Schuldner auf den
Insolvenzverwalter, der mit seiner Akten-
tasche an der Ecke steht: Kommt er auf
das Haus zu, klingelt er an dieser Woh-
nung, oder biegt er vielleicht noch ab? Er
steht, er schaut auf die Uhr, er telefoniert.
Man weiß nicht, was in seinem Kopf vor-
geht. So wie man zu diesem Zeitpunkt, in
der Woche vor den Wahlen, nicht weiß,
ob die AfD stärkste Kraft wird und »der
Osten kippt«.
Helge Schneider ist in Cottbus, am Mitt-
woch vergangener Woche: Zur Bundesgar-
tenschau vor knapp 25 Jahren ist dieser
Spreeauenpark, wo Schneiders Bühne
steht, so klug wie poetisch hergerichtet
worden. Trauerweiden, grün schimmern-
des Gewässer, Skulpturen in menschli-
chem Maß. Eine freundlich gestimmte Ge-
meinde hat sich herbewegt, in Männer-
trupps und Frauengrüppchen, paarweise
umschlungen und im Familienverbund.
Schneiders Publikum ist mehrheitlich zwi-
schen 7 und 70. Tätowierer und Friseure
haben hier offenbar viel zu tun, aber das
ist ja überall in Deutschland so. Regional
sind das Bier, das Bratwurstrezept und das
Plusquamperfekt. »Ich war auch letztes
Jahr bei Helge gewesen, war toll.«
Die Kanzlerin spricht ja meist von den
»neuen Ländern«, wenn sie ihre Herkunft
meint, was neutral oder vielleicht sogar
aufmunternd klingen soll, aber auf uner-
wünschte Weise zu den »Altparteien«
passt, welche die AfD im Munde führt.
Eine prekäre Karriere hat das »Vaterland«
gemacht, auf das sich damals »das Volk«
berief; was 1989 in vielen Ohren noch
unschuldig klang, ist zum Kampfbegriff
geworden. Beides soll nun verteidigt wer-
den, vor allem gegen den Islam; der ist ein
großes Thema auf den Plakaten zwischen
Fachwerkhäusern und Badeseen, in ver-
wunschenen Silhouetten auf dem Lande,
in denen man beim besten Willen kein
Minarett erkennen kann.


Die Zaubermaschine Helge Schneider
startet pünktlich um 20 Uhr, in der sanft
beginnenden Dämmerung. Komik und
Jazz beruhen auf Präzision; die Improvi-
sation kann sich nur entfalten, wenn der
Rahmen steht, und der ist bei Schneider,
den sein Publikum ausschließlich Helge
nennt, so stabil wie die Oder-Neiße-Gren-
ze. Die Abfolge der Stücke ist gleich, die
musikalische Form übersichtlich. Seine
Songs haben zwischen drei und sehr viel
mehr Minuten, je nach Laune, und beste-
hen in der Regel aus einigen ungereimten
Zeilen über das absurde Alltagsleben – wie
das »Katzeklo« oder »Der Partypeople«,
der mit dem Linienbus zur Ausschweifung
fährt – und viel Klamauk zwischendurch.
Ein kleines Instrumental zum Auftakt,
dann die Begrüßung, wobei er den Namen

der Stadt von seiner Handfläche abliest
und ein paar Scherze macht, die mit dem
Celebritystatus spielen. »Ich kenne ja viele
Stars, der Howard Carpendale, der hat mir
mal ein Autogramm gegeben, in so ’nem
Fotoladen in Mülheim, da komm ich her ...
Aber jetzt können wir eigentlich schon
Schluss machen.« Vorn gibt es noch ein
paar freie Plätze, »manche haben ja schon
vor einem Jahr die Karten gekauft, die
sind vielleicht inzwischen gestorben«. So
läuft es hin und her zwischen Witz und
Schreck, die ideale Einleitung zum ersten
Lied, in dem es um die Angst vor Kometen
geht. Erderwärmung, Plastikinseln im
Meer, Brände im Amazonasbecken, all das
bleibt draußen und ist doch da im lyrischen
Fatalismus: »Wenn der Komet kommt,
wenn der Komet kommt, wenn der Komet
kommt – kommt der Komet.«
Der Notausgang der Angst ist die Albern-
heit; sie ist weiter weg vom Ernst der Lage
als der Humor im politischen Kabarett, wo
die Pointe immer noch der Triumph des
Besserwissens ist. Albernheit, wie Helge
Schneider sie präsentiert, ist, psychologisch
gesprochen, friedliche Regression. Kein
brüllendes »Ausländer raus!«, sondern eher

ein leise gesungenes »Scheitern rein«: In
der »Wundertüte des Lebens«, von der Hel-
ge singt, ist eben manchmal nur Puffreis
drin. Man kann Enttäuschungen mit Ver-
leugnung begegnen oder mit Melancholie,
man kann sie durch Deutung bearbeiten
oder auch mit Humor parieren.
»Wir hatten hier auch Spaß«, sagt Hel-
ges Tourmanager Till Oellerking am nächs-
ten Morgen, als wir in der Gedenkstätte
»Zuchthaus Cottbus« stehen, in der Zelle
im ersten Stock, die er einmal mit 17 Män-
nern geteilt hat. Ein enger Raum, jeweils
drei Betten übereinander, ein Tisch mit
Aschenbecher und einer alten Ausgabe des
»Neuen Deutschlands« in der Mitte. Auf
der anderen Seite des Hofs ist die Fabrik-
halle, in der die Häftlinge im Schichtbe-
trieb Gehäuse für Pentacon-Kameras her-
stellten. Oellerking fällt mehr zu Kame-
radschaft ein als zu Schikane; nicht nur,
weil das Gedächtnis ein oft gnädiges Or-
gan ist, sondern auch, weil die meisten
Insassen wegen versuchter Republikflucht
hier waren, »nur die Stubenältesten waren
normale Kriminelle«.
Ein Verein, in dem vor allem ehemalige
Häftlinge Mitglieder sind, hat das Gelände
2011 einem Investor abgekauft – auch das
eine Pointe der langen Nachwendezeit –,
Fördermittel und Spenden eingesammelt,
um ein Dokumentationszentrum daraus
zu machen. In dem nun ein junger Histori-
ker aus Israel, der über die Nazivergangen-
heit des DDR-Außenministeriums promo-
viert, Schulklassen und ehemalige Häftlinge
herumführt. Die »Vielfalt«, mit der Partei-
en und Behörden im Osten heute plakatie-
ren, hat sich wie ein fröhlicher Maulwurf
durch die neue Erde gegraben.
Oellerking hatte 1984 die Ständige Ver-
tretung der BRD in Ost-Berlin angesteuert
und wurde auf dem Weg dorthin verhaftet.
20 Monate saß er ein, ein Jahr nach der
Entlassung stand er mit einem Köfferchen
am U-Bahnhof Mehringdamm, West-Ber-
lin. Drei Jahre später entdeckte er Helge
in einem kleinen Klub in Köln und dachte
sich, wenn ich das so komisch finde, dann
geht das sicher noch mehr Leuten so. In-
zwischen sind es zwischen 900 und einigen
Tausend an jedem Abend auf so einer Tour-
nee, auch am nächsten Tag in Görlitz auf
dem Gelände der Kulturbrauerei, einem
imponierenden Backsteinbau von 1869.
Die zwölf Meter tiefen Lagerräume stehen

96 DER SPIEGEL Nr. 36 / 31. 8. 2019

Kultur

Der Komet kommt


ZeitgeistDer Notausgang der Angst ist die Albernheit. Unterwegs mit dem Komiker und Jazzmusiker


Helge Schneider in Brandenburg und Sachsen, wenige Tage vor den Landtagswahlen.


Man kann Enttäuschun-
gen mit Verleugnung
begegnen oder sie
mit Humor parieren.
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