Frankfurter Allgemeine Zeitung - 30.08.2019

(Dana P.) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Medien FREITAG, 30. AUGUST 2019·NR. 201·SEITE 15


Die Verbände der Internetwirtschaft sind
der Überzeugung, dass der Medienstaats-
vertrag, über den die Bundesländer gerade
beraten (siehe nebenstehender Artikel), in
der vorgesehenen Form die Interessen der
Medienplattformen „und der Nutzer“ nicht
angemessen berücksichtigt. Sie wenden
sich dagegen, dass bestimmte Angebote –
wie etwa der Rundfunk – von Plattformen
bevorzugt berücksichtigt werden sollen.
Dies zementiere „existierende Marktposi-
tionen“, meinen die Verbände Anga, Bit-
kom, Eco und Zvei. Sie wenden sich eben-
falls dagegen, dass Überblendungen und
„Skalierungen“, also Größenveränderun-
gen, von Angeboten auf dem Bildschirm
nur möglich sein sollen, wenn die betroffe-
nen Fernsehsender dies zulassen.

Ein von den Verbänden in Auftrag gege-
benes Gutachten des Instituts für Europäi-
sches Medienrecht (EMR) kommt zu dem
Ergebnis, dass es nach der Richtlinie für Au-
diovisuelle Mediendienste (AVMD) der EU
den Mitgliedstaaten zwar erlaubt ist, die
Frage von Überblendung und Bildschirmge-
staltung zu regeln. Dabei seien aber „insbe-
sondere auch die berechtigten Interessen
der Nutzer“ zu berücksichtigen. Das Verbot
der Überblendung oder Größenverände-
rung schütze zwar die Sender, gelte aber
nicht unbegrenzt, es werde von der Einwilli-
gung der Nutzer eingeschränkt. Der Ent-
wurf des Medienstaatsvertrags, so die Ver-
bände, sei zu restriktiv.
Es gelte, „ein Mindestmaß an Regulie-
rung vorzunehmen“ und die Interessen

der Nutzer zu berücksichtigen, andern-
falls würden sich diese „noch stärker von
klassischen Angeboten abwenden“, sagte
der Vorstandsvorsitzende des Eco-Ver-
bands, Oliver J. Süme. Die Medienland-
schaft werde „immer bunter“, es entwi-
ckelten sich „stetig neue Möglichkeiten
und Angebote für Verbraucher“, sagte die
Anga-Geschäftsführerin Andrea Huber.
Der Medienstaatsvertrag solle darauf zie-
len, die Plattformregulierung „an die Her-
ausforderung der konvergenten Medien-
welt“ anzupassen, was bedeute – sie
„deutlich zu reduzieren“. Die vier Verbän-
de vertreten die Breitbandwirtschaft
(Anga), die digitale Wirtschaft (Bitkom
und Eco) und die Elektrotechnik- und Ele-
tronikbranche (Zvei). miha.

I


m Juli 2019 hat die Rundfunkkom-
mission der Länder einen Arbeits-
entwurf zum neuen Medienstaats-
vertrag vorgelegt. Damit soll der
Rundfunk seinen Vielfaltsauftrag auch in
Zeiten der Netz- und Plattformökonomie
wahrnehmen können. Eine zentrale Her-
ausforderung für den Rundfunk stellt die
Auffindbarkeit und Erreichbarkeit seiner
Angebote in der Flut der audiovisuellen
Inhalte dar. Bisher wurden daher Inhalts-
übersichten von Plattformanbietern (Be-
nutzeroberflächen) einem Diskriminie-
rungsverbot unterworfen.
Diese Regelung ist so nicht mehr zeitge-
mäß. Sie ist nämlich in erster Linie auf Be-
nutzeroberflächen ausgerichtet, die in in-
frastrukturgebundenen Plattformen wie
digitalen Kabelnetzen zum Einsatz kom-
men. So werden unter „Benutzeroberflä-
chen“ nur Programmlisten verstanden,
die für den „ersten Zugriff“ (Basisnaviga-
toren) eingesetzt werden. Rundfunk und
Video-on-Demand-Angebote sind heute
ins Internet gewandert. Plattformen im In-
ternet und hierauf abgestimmte Endgerä-
te arbeiten mit komplexen Übersichten,
die nach Inhaltekategorien gegliedert
sind, Suchfunktionen enthalten und per-
sonalisierte Empfehlungen abgeben.
Der Arbeitsentwurf reagiert auf die
Entwicklung mit einer Erweiterung des
Begriffs der „Benutzeroberfläche“ und
den hieran anknüpfenden Pflichten. Eine
Benutzeroberfläche soll immer dann vor-
liegen, wenn die Inhalts- und Angebots-
übersicht der Orientierung dient und un-
mittelbar die Auswahl ermöglicht. Sie
kann textlich, bildlich oder gar akustisch
vermittelt werden. Dies ermöglicht die
Einbeziehung von Sprachsteuerungen in
den Benutzeroberflächenbegriff, was für
die Auffindbarkeit von Radioprogram-
men bedeutsam ist.
Bezugspunkt der Inhalts- und Ange-
botsübersicht sollen weiterhin Medien-
plattformen sein. Medienintermediäre
hingegen werden nicht erfasst, obwohl sie
durch die Gestaltung ihrer Benutzerober-
fläche und Algorithmen Einfluss darauf
haben, inwieweit Angebote gefunden wer-
den. Unter „Medienplattform“ wird jetzt
jeder Dienst verstanden, der Rundfunk,
rundfunkähnliche Telemedien oder Tele-
medien mit journalistisch-redaktionell ge-
stalteten Angeboten zu einem vom Anbie-
ter bestimmten Angebot zusammenfasst.
Dem gleichgestellt wird die Zusammen-
fassung von Apps und anderen software-
basierten Anwendungen, die der Ansteue-
rung dieser Dienste dienen. Damit wer-
den Benutzeroberflächen von Medien-
plattformen im Internet wie Zattoo und
Waipu.tv und auf internetfähigen Endge-
räten wie Smart-TVs erfasst.
Benutzeroberflächen sollen künftig
nicht nur einem Diskriminierungsverbot,
sondern auch einem Auffindbarkeitsge-
bot unterworfen werden. Für den Rund-
funk in Benutzeroberflächen sieht der
Entwurf nun eine „Basisauffindbarkeit“
vor. Unmittelbar erreichbar und leicht auf-
findbar soll der „Rundfunk in seiner Ge-
samtheit“ bereits auf der Startseite sein.
Die Landesgesetzgeber sind aus Arti-
kel 5 Grundgesetz verpflichtet, die freie,
individuelle und öffentliche Meinungsbil-
dung zu gewährleisten. Sie müssen sicher-
stellen, dass die Vielfalt der Meinungen
im Rundfunk möglichst vollständig abge-
bildet und vermittelt wird. Der Rundfunk-
gesetzgeber ist daher grundsätzlich be-
fugt, Vorgaben für Benutzeroberflächen
aufzustellen, die der Auswahl von Rund-
funkprogrammen dienen. Dies stellt An-
bieter- und Angebotsvielfalt sicher.
Bei den Benutzeroberflächen muss der
Rundfunkgesetzgeber den Grundsatz der
kommunikativen Chancengerechtigkeit
zur Geltung bringen. Das Diskriminie-
rungsverbot in Benutzeroberflächen
dient der Umsetzung dieses Ziels. Eine
Privilegierung des Rundfunks wird hier-
durch aber nicht prinzipiell ausgeschlos-
sen. Sie kann unter bestimmten Umstän-
den sogar verfassungsrechtlich geboten
sein. In jedem Fall muss sie überzeugend
begründet werden.
Der Gesetzgeber hat sich für eine duale
Ordnung entschieden. Der Vielfaltsauf-
trag kommt dem Rundfunk in seiner Ge-
samtheit zu und betrifft beide Säulen des
Rundfunksystems. Radio und Fernsehen
werden Pflichten zu Vielfalt, sorgfältiger
und neutraler Berichterstattung oder Ach-
tung fundamentaler gesellschaftlicher
Werte unterworfen. Er ist die Basis dafür,
dass sich ein der öffentlichen Willensbil-
dung dienender Kommunikationsraum
entfalten kann. Zudem muss der Rund-
funk im Katastrophenfall öffentliche Ver-
lautbarungen der Regierung verbreiten.
Das Bundesverfassungsgericht hat in sei-
nem Urteil zum Rundfunkbeitrag im Juli

2018 bestätigt, dass dieser Auftrag auch
in Zeiten der Plattformökonomie gilt. Es
begründet dies mit Netzwerkeffekten und
Konzentrationstendenzen, welche die Do-
minanz der global erfolgreichen Internet-
unternehmen bezeugen. Hinzu treten Ge-
fährdungen durch die algorithmenbasier-
te Kommunikation und vorgefilterte Such-
ergebnisse. Dies kann zu einer Verstär-
kung vorgefertigter Meinungen und neu-
en Unsicherheiten bei der Glaubwürdig-
keit von Medieninhalten führen. Der pri-
vate und öffentlich-rechtliche Rundfunk
kann dem nur dann wirkungsvoll entge-
gentreten, wenn er auch in der neuen Um-
gebung angemessen auffindbar bleibt.
Die Vorgabe zur leichten Auffindbar-
keit von Radio und Fernsehen verursacht
für die Anbieter von Medienplattformen
nur geringe Mühen, da ihnen hierfür hin-
reichende Spielräume verbleiben. Viel-
fach kommen Live-TV-Buttons zum Ein-
satz, die auf der ersten Seite eingefügt wer-
den. Die Basisauffindbarkeit ist eine gut
begründete Reaktion auf die neuen Ge-
fährdungslagen und verfassungsrechtlich
gerechtfertigt. Es versteht sich von selbst,
dass diese Anforderung nicht durch anbie-
terseitig vorgenommene Systeminstalla-
tionen, die dauerhaft eine Abwahl des
Rundfunks durch die Nutzer nahelegen,
unterlaufen werden darf. Die Basisauf-
findbarkeit des Rundfunks ist das Funda-
ment für weitere wichtige Detailregelun-
gen. Eine besondere Auffindbarkeit wird
für beitragsfinanzierte Programme, regio-
nale Fensterprogramme und private Pro-
gramme, die in einem besonderen Maß ei-
nen Beitrag zur Meinungs- und Angebots-
vielfalt leisten, in Betracht gezogen.
Die beitragsfinanzierten Programme
nehmen den Auftrag der medialen Grund-
versorgung wahr. Aber auch im privaten
Rundfunk ist nicht nur die Verhinderung
von Meinungsmacht angezeigt, sondern
es muss nach verfassungsrechtlicher
Rechtsprechung ein hohes Maß gleichge-
wichtiger Vielfalt sichergestellt werden.
Der Medienstaatsvertragsentwurf be-
wegt sich im Rahmen der Gestaltungs-
spielräume des Rundfunkgesetzgebers,
wenn er eine leichte Auffindbarkeit auch
für besonders meinungsrelevante private
Programme und Telemedien vorsieht. Zu-
dem können die Kriterien, an denen sich
ihre Auswahl orientieren soll, überzeu-
gen: Dies sind der zeitliche Anteil an nach-
richtlicher Berichterstattung, an regiona-
len und lokalen Informationen oder an
Angeboten für junge Zielgruppen. Grund-
sätzlich sollte auch ein Beitrag zur Anbie-
tervielfalt eine Rolle spielen.

D

ieRegeln über die Auffindbar-
keit von Rundfunk im Medien-
staatsvertragsentwurf stehen
mit dem Europarecht in Ein-
klang. Die Europäische Richtlinie für au-
diovisuelle Mediendienste (AVMD) sieht
vor, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen
ergreifen können, um eine angemessene
Herausstellung audiovisueller Medien-
dienste, zu denen Fernsehprogramme ge-
hören, von allgemeinem Interesse sicher-
zustellen. Zu den Zielen des allgemeinen
Interesses werden Medienpluralismus,
Meinungsfreiheit und kulturelle Vielfalt
gerechnet. Diesen Zielen sind private und
öffentlich-rechtliche Fernsehprogramme
verpflichtet. Die Vorgaben einer leichten
Auffindbarkeit sind geeignet, um eine
Herausstellung der Fernsehinhalte auf
den Medienplattformen zu erzielen.
Ohne hinreichend sichtbar und erreich-
bar zu sein, würden sie im Strom der au-
diovisuellen Inhalte untergehen und könn-
ten ihre besonderen Aufgaben im öffentli-
chen Interesse nicht erfüllen. Auch die
Verhältnismäßigkeit ist gewahrt, da die
Anbieter von Medienplattformen maß-
geblich selbst darüber entscheiden, wie
die Auffindbarkeit hergestellt wird.
Medienplattformen sind von Medienin-
termediären zu unterscheiden, die zwar
auch journalistisch-redaktionelle Angebo-
te Dritter aggregieren, selektieren und all-
gemein zugänglich präsentieren, diese
aber nicht zu einem Gesamtangebot zu-
sammenfassen. Hierunter sollen insbe-
sondere Suchmaschinen, soziale Netzwer-
ke und ähnliche Dienste fallen. Medienin-
termediäre sollen nicht dem Auffindbar-
keitsgebot unterworfen werden. Der Ge-
staltungsspielraum der Länder gibt es je-
doch her, auch Medienintermediären sol-
che Vielfaltspflichten abzuverlangen.
Gegen eine solche Maßnahme werden
zumeist Praktikabilitätsgründe angeführt.
Zudem ist umstritten, ob und wie die bei
Intermediären eingesetzten Algorithmen
zu einer Auffindbarkeit des Rundfunks
führen könnten. Personalisierte Empfeh-
lungen könnten, so wird argumentiert,
nicht ohne weiteres meinungsneutral ab-
gefasst werden. Dagegen lässt sich anfüh-
ren, dass für den Rundfunk und auch für
die elektronische Presse Suchmaschinen
und soziale Medien bedeutsame Auswahl-
funktionen wahrnehmen. Insbesondere
Jüngere nutzen sie, um ihr Medienange-
bot zusammenzustellen. Auch muss dar-
auf geachtet werden, dass Medienplattfor-
men im Wettbewerb nicht schlechter als
Medienintermediäre gestellt werden. Die
Länder sind auf dem richtigen Weg, um
auf die Herausforderungen der Plattform-
ökonomie zu reagieren. Es kommt jetzt
darauf an, das Gesetzgebungsvorhaben
zügig über die Zielgerade zu bringen.
Bernd Holznagelist Direktor des Instituts für
Informations-, Telekommunikations- und Medien-
recht der Westfälischen Wilhelms-Universität
Münster. Er hat für den Privatsenderverband
Vaunet eine Studie zum Medienstaatsvertrag
verfasst, die wir hier in bearbeiteter Form als
Gastbeitrag veröffentlichen.

Das war nicht von langer Dauer. Am
Mittwoch beklagte sich der Chef der
Identitären Bewegung in Österreich
(IBÖ), Martin Sellner, darüber, dass
sein Haupt-Kanal bei Youtube gelöscht
worden sei. Tags darauf meldete er, vor
Selbstbewusstsein platzend, seine
„Wiederauferstehung“, das vermeint-
lich „größte Comeback seit Lazarus
und König Théoden“. Seine mehr als
hunderttausend Abonnenten müssen
auf Sellner also nicht verzichten. Der
bedankte sich bei seinem Anwalt und
seinen Anhängern für die große Unter-
stützung und feierte die Rücknahme
der Kanallöschung als Sieg der Mei-
nungsfreiheit.
Bei Youtube indes war über das Hin
und Her, über die Gründe, aus denen
Sellners Kanal zuerst ab- und dann wie-
der aufgeschaltet wurde, wenig Kon-
kretes zu erfahren. Er habe gegen die
Gemeinschaftsregeln verstoßen, sei
ihm mitgeteilt worden, gab Sellner zu
Protokoll. Bei Yotube hieß es am spä-
ten Mittwoch auf Anfrage: „Schon seit
Jahren entfernen wir Inhalte, die ge-
gen unsere Produktrichtlinien versto-
ßen, konsequent. Entsprechende Inhal-
te werden von uns spätestens nach ent-
sprechenden Hinweisen durch Nutzer
überprüft und umgehend entfernt. Wir
arbeiten laufend an der Verbesserung
unserer internen Prozesse, um eine zü-
gige und sachgerechte Prüfung und
Entfernung sicherzustellen.“
Einen Tag später teilte ein Sprecher
auf Anfrage mit: „Bei der Masse an Vi-
deos auf der Seite treffen wir manch-
mal eine falsche Entscheidung. Wenn
wir darauf hingewiesen werden, dass
Videos oder ein Kanal fälschlicherwei-
se von der Plattform genommen wur-
den, reagieren wir schnell und schal-
ten es wieder frei. Wir ermöglichen es
Kanal-Betreibern zudem, einer Lö-
schung zu widersprechen, was zu einer
erneuten Prüfung der jeweiligen Inhal-
te führt.“ Diesen Widerspruch hat Sell-
ners Anwalt umgehend geleistet – und
war damit erfolgreich.
Gegen die Identitäre Bewegung in
Österreich, die enge Verbindungen zu
den Identitären, der Neuen Rechten
und Pegida in Deutschland unterhält,
laufen zurzeit Ermittlungen wegen des
Verdachts der Bildung einer terroristi-
schen Vereinigung (F.A.Z. vom 29. Au-
gust). Vom deutschen Verfassungs-
schutz werden die Identitären als „gesi-
chert rechtsextremistisch“ einge-
schätzt. miha.

Netzkonzerne zur


Vielfalt anhalten


Der Mitteldeutsche Rundfunk hat klar-
gestellt, dass er für seine „Tatort“-Kri-
mis keine kostenlosen Produktionshil-
fen von Autofirmen annimmt. Für die
in Dresden spielende „Tatort“-Folge
„Nemesis“ am 18. August seien die
Fahrzeuge „kostenpflichtig bei einer
Autovermietungsfirma angemietet“
worden. In Medienberichten war kriti-
siert worden, dass Autos der Marke
VW in dem Krimi deutlich sichtbar wa-
ren, während ein Volvo-Schriftzug un-
kenntlich gemacht wurde. Dies habe
damit zu tun, dass der Volvo in einer
Szene besonders prominent zu sehen
gewesen sei, so der MDR. Auf die Fra-
ge, warum das VW-Logo in zwei ande-
ren Szenen nicht verpixelt wurde, er-
klärte der Sender, es gebe insgesamt
viele Einstellungen mit Fahrzeugen in
„Nemesis“. In keiner Einstellung wer-
de der Blick aber so deutlich auf ein
Fahrzeug gelenkt wie in der Szene mit
dem Volvo. In keinem der MDR-„Tator-
te“ würden Autos beigestellt. Die
ARD-Richtlinien für Werbung, Sponso-
ring, Gewinnspiele und Produktionshil-
fe seien fester Bestandteil der Verträge
mit den Produzenten. epd/F.A.Z.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat im
Rechtsstreit um das Jugendschutzpro-
gramm „JusProg“ eine erste Entschei-
dung gefällt. Das Gericht hob im Eilver-
fahren die sofortige Vollziehbarkeit des
Bescheides auf, mit dem die Medienan-
stalt Berlin-Brandenburg die Anerken-
nung des Programms durch die Freiwil-
lige Selbstkontrolle Multimedia-Diens-
teanbieter (FSM) für unwirksam er-
klärt hatte. Die Medienanstalt hatte
eine Entscheidung der Kommission für
Jugendmedienschutz (KJM) umgesetzt.
Es sei nicht ersichtlich, warum das Ab-
warten einer Entscheidung im Hauptsa-
cheverfahren nicht möglich sein solle,
so das Verwaltungsgericht (Az.: VG 27
L 164.19). Zwischen den zuständigen
Stellen für den Jugendmedienschutz
war ein Streit über die Wirksamkeit
von „JusProg“ entbrannt. „JusProg“
dient dazu, jugendgefährdende Inhalte
im Internet zu markieren, so dass El-
tern diese für ihre Kinder ausblenden
können. Es sei nur für Windows-Com-
puter mit Chrome-Browser ausgelegt,
hatte die Kommission für Jugendme-
dienschutz kritisiert. epd/F.A.Z.

Die „Row“ ist ein „hässlicher Ort“. Heute
wäre man vielleicht versucht zu sagen, eine
„No-go-Area“. Oder doch nur ein harter
Kiez? Das zumindest wird in Amazons neu-
er Serie „Carnival Row“ durch die Figuren
viel öfter behauptet als wirklich gezeigt.
Wenn es dem Zuschauer in den ersten Fol-
gen vorgeführt werden soll, dann durch ste-
reotype Attribute: Polizisten auf der Stra-
ße, Huren auf dem Balkon, Schweinsköpfe
auf Fleischerwagen. All dies – Alkohol
spielt in diesem Armenviertel der viktoria-
nisch verzeitlichen Fantasy-Stadt „The Bur-
gue“ erstaunlicherweise keine Rolle – bil-
det den Deckel dieses städtischen Pulverfas-
ses – die nötige Ordnung, die nötige Unord-
nung und der tägliche Bedarf. Zu viele
Fronten verlaufen durch das Viertel. Arm
und reich, gut und böse, liberal und extre-
mistisch, autochthon und zugewandert –
und auf einer übergeordneten Ebene auch
phantastisch und real.
Denn Tír na nÓg (hier Tír na n-Oc), das
Feenland, „Land der ewigen Jugend“, ist
abgebrannt. Kolonisation und Krieg, der
hier nach englischem Imperium gegen In-
vasoren aus dem Osten aussieht, verseh-
ren die Länder der mythischen Kreaturen:
Zentauren, Satyrn, genannt „Pugs“, und
Feen, die „Pix“. Er zwingt sie zur Flucht
und oft genug zu einem Leben als Leibei-
gene in der „Burgue“. „Carnival Row“
schichtet Folge für Folge neue Topoi auf-
einander: Flucht, Heimatlosigkeit, Integra-
tion, Identitätssuche, Ausgrenzung, Aus-
beutung, Klassengesellschaft, Kollaborati-
on mit dem Feind, Radikalisierung von
Minderheiten, Diskriminierung, Ghettoi-
sierung und schließlich Deportation und
Abschiebung. Obendrauf gibt es politi-
sche Intrigen, eine Liebesgeschichte sowie
einen düster angehauchten Kriminalfall.
Die Autoren René Echevarria und Travis
Beacham haben sich viel vorgenommen.
Zumal auch diese Serie einen Trend bestä-
tigt: Je stärker die MeToo-Debatte ins Zen-
trum gesellschaftlicher Aufmerksamkeit
rückt, desto stärker schlägt sich die Dar-
stellung patriarchaler Gesellschaften in
der Fiktion nieder. Vor ihrem Hintergrund
lässt sich Geschlechterungleichheit zwar

trefflich darstellen, wirkt jedoch stets so,
als sei sie nicht mehr von dieser Welt.
Im Zentrum dieser überladenen, durch
meterweise blutige Innereien watende und
von Kinderchören sowie ätherischem Ge-
sang begleiteten Geschichte steht ein nicht
mehr ganz so milchgesichtiger Orlando
Bloom als Kriegsveteran und Polizeiinspek-
tor Rycroft Philostrate. Cara Delevingne
spielt die ihm in Sachen physischer Schlag-
fertigkeit in nichts nachstehende Fee Vi-
gnette Stonemoss. Die beiden haben sich
im Krieg kennen- und lieben gelernt und
hernach aus den Augen verloren. Nun fin-
den sie mühselig wieder zueinander, wäh-
rend sich „Philo“ auf die Spur der mordlüs-
ternen Kreatur begibt und dabei eine er-
staunliche Entdeckung macht.
Trotz der immersiven Zwitterwelt, die ge-
schaffen wurde, um im Konflikt zu verge-
hen, ist das Fantastische hier nur ein zwar
schillernder, aber dünner Schleier, der die
Probleme unserer Tage auf exotische Art
aufhübschen und ansehnlicher machen
soll. Die eigentümliche Qualität dieser Se-
rie, die allerhand überzeugenden Aufwand
in Sachen Kostüm, Maske und Bühnenbild
betreibt, ist der Welten überbrückende
Wechsel zwischen ihren gelingenden Mo-
menten und ihrem pompös krachenden
Scheitern. Das macht fassungslos und ist
anrührend zugleich. Hier ersäuft eine Lie-
besflüsterei im Pathos, dort überrascht
eine Sex-Szene (auch davon gibt es reich-
lich) durch Einfühlsamkeit. An anderer
Stelle wieder Klischees der Lüsternheit.
An der Logik der Geschichte hapert es.
Die Schnitzer sind so offensichtlich, als sei-
en sie Absicht; mithin als Hinweis deutbar:
Ist doch nur Film. Warum flüchten Krimi-
nelle immer nach oben? Warum stehen
Fenster sperrangelweit offen? Warum
bleibt der Hauptfigur ausgerechnet die ret-
tende Streichholzschachtel mit Hinweis auf
den Ankerpunkt in der neuen Welt nach
dem Schiffsunglück? Warum tragen die,
die in den Schatten arbeiten, so viel Kajal?
Dieses Nur-Film-Sein wird dadurch ver-
stärkt, dass man der Produktion ihre Colla-
genhaftigkeit anmerkt: „Carnival Row“,
das ist atmosphärisch so, als jage Harry Pot-

ter Jack the Ripper durch Downton Abbey.
Da ist das Zaubervolk, überzogen mit dem
Profanen unser Welt. Da ist ein Mörder, der
Befehle von einer grauen Eminenz erhält.
Und es gibt den Kampf der Klassen, vor al-
lem in der schön anzuschauenden Variante
alter Name gegen neues Geld. Der interes-
santeste Nebenschauplatz, der zumindest
in der ersten Staffel kaum etwas mit Philo
und dem Noir-Strang zu tun hat, ist das
Haus Spurnrose, in dem die Geschwister
Imogen (Tamzin Merchant) und Ezra (An-
drew Gower) das Erbe ihres reichen Vaters
verschleudert haben und gezwungen sind,
sich auf einen riskanten Handel einzulas-
sen. Das neue Geld hält mit dem geschäfts-
tüchtigen Satyr Agreus Einzug. Gespielt
wird der widdergehörnte Unternehmer
von David Gyasi. Ihm gelingt es, die tiefe
Verletztheit eines einstigen Sklaven auf un-
nachahmliche Weise mit der Herablassung
eines aufstrebenden Machtmenschen zu
kombinieren. Der Plot mag erwartbar sein,
doch die Art, wie Imogen und Agreus sich
im Laufe der Geschichte einander nähern,
gehört zu den Stärken der Serie. Die Regis-
seure Thor Freudenthal und Jon Amiel
transportieren Abstoßungskräfte und An-
züglichkeiten in vorsichtigen und zerbrech-
lichen Bildern. Diese zeigen auf körperli-
cher, geistiger und gesellschaftlicher Ebe-
ne, wie aus dem Gegenüber von Fremd und
Fremd erst einmal ein taktiles Begreifen
fundamentaler Gleichheit werden muss, be-
vor es überhaupt so etwas wie Gemeinsam-
keiten geben kann. Hätte man sich auf die-
ses Aufeinandertreffen konzentriert, hätte
es die Serie tragen können.
Tempo und Timing sind ein anderes Pro-
blem der Geschichte: Vermeintlich lose En-
den werden mit einer Geschwindigkeit ver-
knüpft, als hätten die Produzenten drei Staf-
feln in eine packen müssen. Geschichten
und Figuren sind oft nicht miteinander ver-
woben, sie konkurrieren um Bedeutung.
Dazu passt auch: In „Carnival Row“ trium-
phiert fast ausnahmslos das Individuum.
Gemeinschaft korrumpiert in dieser Welt.
Hier gibt es nichts Gutes. Jeder für sich. Es
ist ein hässlicher Ort. AXEL WEIDEMANN
Carnival Row, von heute an bei Amazon Prime.

Weniger Regeln


Internetverbände kritisieren, dass der Medienstaatsvertrag Plattformen Auflagen macht


MDR fährt selbst
Keine Schleichwerbung im „Tatort“

Das Land, wo Blut und Honig fließen


Die Fantasy-Serie „Carnival Row“ zerbricht fulminant an ihrer Zeitgenossenschaft


Er ist schon


wieder da


Youtube schaltet


Identitären-Chef frei


Keine Eile
Jugendschutzprogramm bleibt

Ja, nein, vielleicht: Rycroft (Orlando Bloom) und Vignette (Cara Delevingne) müssen einige Hindernisse überwinden. Foto Amazon

Die Länder bereiten


den Medienstaatsver-


trag vor. Er verpflichtet


Plattformen, Inhalte


mit großer Bedeutung


für die öffentliche Mei-


nung hervorzuheben.


Dabei geht es insbeson-


dere um den Rundfunk.


Von Bernd Holznagel

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