Süddeutsche Zeitung - 30.08.2019

(Romina) #1
München –HongkongsPolizei hat eine für
Samstag geplante Demonstration verbo-
ten. Der Antrag der Organisatoren des Pro-
testbündnisses Civil Human Rights Front
wurde abgelehnt, wie die Hongkonger Zei-
tungSouth China Morning Postberichtete.
Die Gruppe, die zuletzt mehr als eine Milli-
on Menschen auf die Straße gebracht hat-
te, wollte am Samstag einen Marsch zum
Verbindungsbüro der chinesischen Regie-
rung organisieren. sz  Seite 7

München– Ein Kopftuchverbot für Schüle-
rinnen unter 14 Jahren wäre mit dem
Grundgesetz vereinbar. Zu diesem Ergeb-
nis kommt der Tübinger Professor und Ver-
fassungsjurist Martin Nettesheim in ei-
nem Gutachten, das er im Auftrag von Ter-
re des Femmes erstellt und am Donnerstag
in Berlin präsentiert hat. Die Frauenrechts-
organisation setzt sich seit Jahren für ein
allgemeines Kopftuchverbot an Schulen
ein.sz  Seiten 4 und 7

München– Uli Hoeneß wird nicht mehr
als Präsident von Bayern München kandi-
dieren. Dies bestätigte der Fußball-Bun-
desligist am Donnerstagabend. Hoeneß
empfahl, bei der Hauptversammlung am


  1. November den lang jährigen Adidas-
    Chef Herbert Hainer als Nachfolger zu no-
    minieren. Seit Wochen gab es Berichte
    über den Rückzug des 67-Jährigen. Er
    bleibt bis 2023 im Aufsichtsrat, gibt dort
    aber den Vorsitz ab.dpa  Seite 4, Sport


Meinung


Ein Verbotvon Kopftüchern an


Schulen erschwert den Dialog


mit Muslimen 4


Politik


Grünen-ChefinBaerbock bereitet


ihre Partei auf schmerzhafte


Kompromisse im Osten vor 6


Panorama


In Utrecht zeigt ein futuristisches


Fahrradparkhaus, wie man


urbane Platzprobleme löst 10


Feuilleton


DieMünchner Kammerspiele


sind zum „Theater des Jahres“


gewählt worden 11


Medien


WieOnline-Bewertungen


den Alltag von Ladenbetreibern


verändern 31


TV-/Radioprogramm 32
Kinder- und Jugendliteratur 15
Kino · Theater im Lokalteil
Rätsel 9
Traueranzeigen 12


Für die einen sind sie eine Plage, für die
anderen einQuell der Freude: Die Briten
haben Katzen im vergangenen Jahrhun-
dert zur Rattenbekämpfung nach Palästi-
na gebracht. Der Spruch aus dem ersten
Buch Mose „Seid fruchtbar und vermeh-
ret euch“, gilt auch für die Katzen im Heili-
gen Land. Mehr als zwei Millionen sollen
es sein, die auf Israels Straßen und Strän-
den herumstreunen. Besonders hoch ist
ihre Konzentration in Jerusalem, angeb-
lich weltweit die höchste: 2000 Katzen
pro Quadratkilometer.
Seit einigen Wochen machen aber be-
unruhigende Meldungen in den sozialen
Medien die Runde. Tierschutzorganisatio-
nen schlagen Alarm, und die englischspra-
chigeJerusalem Poststellt bange die Fra-
ge, ob eine Cat-astrophe, also eine Katzen-
Katastrophe, passiert sei. Bewohner der
heiligen Stadt berichten nämlich, dass
massenweise Katzen verschwinden. In ei-
nigen Stadtteilen sollen sogar keine mehr

auf den Straßen zu sehen sein. Das löst
Spekulationen aus: Sind Entführer am
Werk? Wurden die Katzen vergiftet? Hat
ihnen die Hitzewelle den Garaus ge-
macht? Es wurden aber nur vereinzelt Ka-
daver gefunden, einer davon war grau-
sam verstümmelt.
Das städtische Veterinäramt beteuert,
keinen Versuch unternommen zu haben,
im großen Stil Katzen zu fangen und zu
sterilisieren. Mit der Forderung, binnen
sechs Monaten 80 Prozent der Katzen un-
fruchtbar zu machen, hatte die Behörde
in der Vergangenheit einen Sturm der Ent-
rüstung ausgelöst.
Tierschützer verbündeten sich mit ul-
traorthodoxen Juden, die gegen solche
Eingriffe sind, weil den Kreaturen damit

ihr gottgegebenes Recht auf Vermehrung
genommen werde. Umgerechnet rund ei-
ne Million Euro war für das Sterilisations-
programm vorgesehen. Es wurde wegen
der Proteste auf Eis gelegt. Die von Land-
wirtschaftsminister Uri Ariel ersonnene
Alternative, die Katzen ins Ausland zu
bringen, erregte erst recht die Gemüter.
In Jerusalem ist seit Kurzem ein erklär-
ter Katzenfreund Bürgermeister: Als eine
seiner ersten Amtshandlungen richtete
Mosche Lion hundert Futterstationen für
die streunenden Katzen ein und machte
dafür rund 25 000 Euro locker. Sein Pro-
gramm löste heftige Kontroversen zwi-
schen Katzenliebhabern und solchen aus,
die diese Tiere nicht so gerne mögen. Für
die herumstreunenden Tiere ist es in den

vergangenen Jahren immer schwieriger
geworden, sich Futter zu beschaffen.
Mehr und mehr Müllbehälter werden in-
zwischen in Gebäuden und nicht mehr im
Freien aufgestellt, sodass die Katzen nur
schwer herankommen.
Vom Bürgermeister eingeladen, haben
rund hundert Bewohner in den Stadtvier-
teln Jerusalems Komitees gebildet, die
sich um das Wohl der Streuner kümmern
sollen: Sie füllen Schüsseln mit Futter
und bringen verletzte Katzen zum Tier-
arzt. Diese Katzenfreunde haben als erste
Alarm geschlagen wegen des mysteriösen
Verschwindens der Tiere.
Die aufgeschreckte Stadtverwaltung
hat nun die Bewohner Jerusalems aufge-
fordert, sich an die Polizei oder an die Not-
fallnummer 106 zu wenden, wenn sie Kat-
zen vermissen. So wollen die städtischen
Mitarbeiter herausfinden, ob es tatsäch-
lich einen Grund für den Katzenjammer
gibt. alexandra föderl-schmid

von cathrin kahlweit

London– Auch einen Tag nach der Ankün-
digung derbritischen Regierung, das Parla-
ment für fünf Wochen zu schließen und
erst am 14. Oktober mit einer Regierungs-
erklärung zu eröffnen, schlagen die Wellen
hoch. Der Proteststurm gegen die Entschei-
dung von Premier Boris Johnson, die „Pro-
rogation“ (Vertagung) des Unterhauses bei
der Queen zu beantragen, ist dabei eher
noch lauter geworden. Drohungen, Rück-
tritte, Klagen und Widerstandsmaßnah-
men wurden angekündigt, während die Re-
gierung die Entscheidung verteidigt.
Am Donnerstagmorgen hatte etwa der
für das Parlament zuständige Minister,
der Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg, in
der BBC die ungewöhnlich lange Ausset-
zung der Parlamentsarbeit, die mit der Vor-

bereitung einer neuen politischen Agenda
begründet worden war, als „verfassungsge-
mäß und angemessen“ bezeichnet. Er
nannte die Erregung darüber „scheinhei-
lig“; sie komme vor allem von „Leuten, wel-
che die EU sowieso nie verlassen wollten“.
Allerdings hatte Rees-Mogg selbst zwei-
mal gegen den von Ex-Premierministerin
Theresa May ausgehandelten Austrittsver-
trag gestimmt, während viele Kritiker, die
eine Zwangspause für das Parlament als
Anschlag auf die Demokratie bezeichnen,
für den Deal votiert hatten.
Die ZeitungThe Timesberichtete aus ei-
ner Telefonkonferenz des Kabinetts vom
Mittwoch, in der Johnson die überraschten
Minister von seinem Plan informierte. Er
habe diesen, laut Zeugen, auch damit be-
gründet, dass er gegenüber der EU mehr
Glaubwürdigkeit mit seiner Verhandlungs-

position – einem Austritt auch im Falle von
No Deal – habe, wenn das Unterhaus nicht
dazwischenfunken könne.
Derweil haben die Vorsitzende der schot-
tischen Tories, Ruth Davidson, die einen
harten Brexit immer vehement abgelehnt
hatte, und ein einflussreiches Mitglied des
Oberhauses, Lord George Young, ihre Rück-
tritte erklärt. Davidson sagte, sie gebe ihr
Amt aus persönlichen Gründen ab, mahn-
te Johnson aber zugleich, sein Versprechen
zu halten und einen Deal mit Brüssel auszu-
handeln. Lord Young, eine Art Fraktionsge-
schäftsführer der Konservativen im House
of Lords, begründete seinen Rücktritt da-
mit, er sei „zutiefst unglücklich“ über die
Entmachtung des Parlaments. Eine partei-
übergreifende Gruppe von Unterhaus-Ab-
geordneten berät unterdessen, wie die
Schließung des Parlaments aufgehoben

und die Regierung per Gesetz davon abge-
halten werden kann, No Deal am 31. Okto-
ber zu riskieren. Neben einer Klage von Ab-
geordneten vor einem schottischen Ge-
richt und der Klage der Geschäftsfrau Gina
Miller, die schon 2017 mit einem Verfahren
Erfolg gehabt hatte, das dem Parlament
mehr Rechte im Brexit-Prozess verschaff-
te, hat nun auch ein nordirischer Aktivist
gegen die Prorogation geklagt. Er sieht da-
mit das Karfreitagsabkommen gefährdet.
Eine Online-Petition gegen das Vorge-
hen von Downing Street weist weit mehr
als eine Million Unterschriften auf. Das Un-
terhaus tritt am 3. September zusammen.
Dann bleiben den Abgeordneten nur weni-
ge Tage, um ein Gesetz gegen No Deal ein-
zubringen. Aus der Downing Street ist zu
hören, man werde alles tun, um das zu ver-
hindern.  Seiten 3, 4 und 5

München –Der amtierendeMinisterpräsi-
dent Giuseppe Conte hat ein „neues Kapi-
tel“ in der italienischen Regierung ange-
kündigt. „Es ist eine sehr heikle Phase für
das Land, und wir müssen so schnell wie
möglich die politische Unsicherheit been-
den, die diese Regierungskrise ausgelöst
hat“, sagte Conte am Donnerstag, nach-
dem ihn Staatschef Sergio Mattarella mit
der Bildung einer neuen Koalition beauf-
tragt hatte. Es solle eine Regierung im „Zei-
chen der Neuheit“ entstehen. Eine Liste
der Minister wolle er dem Präsidenten be-
reits in den kommenden Tagen vorlegen.
Priorität habe die Ausarbeitung des Haus-
halts für 2020. Dieser muss der EU-Kom-
mission bis Oktober vorgelegt werden.
„Das Land muss so schnell wie möglich ei-
nen Weg aus der politischen Instabilität fin-
den“, sagte Conte. Italien wolle zudem wie-
der ein politisches Gewicht in Europa wer-
den. Conte stand bereits dem Bündnis aus
Fünf-Sterne-Bewegung und rechter Lega
vor, das vergangene Woche zerbrochen
war. Nun soll er eine Koalition aus Sternen
und Sozialdemokraten führen. Conte kün-
digte an, noch am Donnerstag Beratungen
mit allen parlamentarischen Gruppen auf-
zunehmen, um ein Regierungsprogramm
zu erarbeiten. Wenn alles gut gehe, wolle er
in „einigen Tagen“ dann den Vorbehalt auf-
lösen, mit dem er den Regierungsauftrag
angenommen hatte. sz  Seiten 2 und 4

Hannover – Bundeswirtschaftsminister
Peter Altmaier (CDU) will den deutschen
Mittelstand durch eine „umfassende Un-
ternehmensteuerreform“ fördern. Das
geht aus den Eckpunkten einer „Mittel-
standsstrategie“ hervor, die Altmaier am
Donnerstag in Hannover vorgestellt hat.
Demnach soll ein „Steuerdeckel“ verhin-
dern, dass die Steuerlast für die Firmen auf
über 45 Prozent steigt. Der Solidaritätszu-
schlag müsse komplett wegfallen, die Be-
lastung für einbehaltene Unternehmensge-
winne auf 25 Prozent sinken. Reserven in
der Arbeitslosenversicherung will er nut-
zen, um deren Beitragssätze abzusenken.
„Der Mittelstand ist unser Rückgrat“, sag-
te Altmaier. Das Land hänge von ihm ab.
Auch von „unnötiger Bürokratie“ will
der Wirtschaftsminister den Mittelstand

befreien. Ein weiteres Entlastungsgesetz,
mittlerweile das dritte, solle Firmen von
Bürokratiekosten im Umfang von einer
Milliarde Euro entlasten. Künftig solle es
leichter werden, den Schriftverkehr etwa
mit Finanzbehörden elektronisch abzuwi-
ckeln. „Bis 2022 müssen alle Leistungen
der öffentlichen Verwaltung online angebo-
ten werden“, heißt es in dem Strategiepa-
pier. Bis 2025 müssten „zukunftsfeste
Gigabitnetze“ möglichst flächendeckend
ausgebaut werden. Nicht alle Vorhaben
aus dem Papier sind neu.
Aus der Wirtschaft erntet Altmaier den-
noch heftigen Applaus. Der Deutsche In-
dustrie- und Handelskammertag sprach
von „richtigen Akzenten“. Angesichts der
spürbaren Konjunkturabkühlung in
Deutschland kämen sie zur richtigen Zeit,

erklärte DIHK-Präsident Eric Schweitzer.
Ähnlich äußerte sich der Industrieverband
BDI. Der Wirtschaftsrat der Union sprach
von einem „großen Wurf“. Gerade aus den
Reihen des Mittelstands war Altmaier zu-
letzt wiederholt vorgeworfen worden, er
kümmere sich zu sehr um große Konzerne
und zu wenig um Firmen, in denen Fami-
lien oder private Eigentümer noch das Sa-
gen haben.
Die Strategie soll diesen Eindruck zer-
streuen, ebenso eine dreitägige Reise zu
verschiedenen Firmen, zu der Altmaier am
Donnerstag aufbrach. Ziel sei es, die Mittel-
ständler zu stärken und zu entlasten, um
so eine „neue Dynamik“ zu entfachen. So
wolle das Wirtschaftsministerium „akti-
ver als bisher auf ausländische Fachkräfte
zugehen“, um Engpässen in den Firmen zu

begegnen. Viele Mittelständler klagen seit
Jahren über einen Mangel an Fachkräften.
Im Ausland wiederum sollen die Firmen
mehr Unterstützung erfahren, wenn sie
neue Märkte erschließen wollen. Altmaier
will nun in den nächsten Monaten mit Fir-
men und Verbänden über seine Strategie
beraten. Im Laufe des Herbstes solle so
eine finale Version entstehen, kündigte er
an.
Ein Unternehmensstrafrecht dagegen
lehnte Altmaier am Donnerstag explizit
ab. Zuletzt hatte Justizministerin Christi-
ne Lambrecht (SPD) Pläne vorgelegt, nach
denen kriminelle Unternehmen künftig
weitaus härter bestraft werden könnten
als bisher. Dies war auch aus der Wirt-
schaft auf heftige Kritik gestoßen.
michael bauchmüller  Wirtschaft

Hongkong verbietet


Massenprotest


Süddeutsche ZeitungGmbH,
Hultschiner Straße 8,81677 München; Telefon 089/2183-0,
Telefax -9777; [email protected]
Anzeigen:Telefon 089/2183-1010 (Immobilien- und
Mietmarkt), 089/2183-1020 (Motormarkt),
089/2183-1030 (Stellenmarkt, weitere Märkte).
Abo-Service:Telefon 089/21 83-80 80, http://www.sz.de/abo
A, B, ES (Festland, Balearen), F, GR, I, L, NL, P, SLO, SK: € 3,90;
ES (Kanaren): € 4,00; dkr. 31; £ 3,50; kn 34; SFr. 5,20; czk 116; Ft 1040

Xetra Schluss
11839 Punkte

N.Y. Schluss
26362 Punkte

22 Uhr
1,1057 US-$

HEUTE


Zu Tagesbeginn kann es nebelig sein. Spä-
ter ist esin weiten Teilen des Landes heiter
bis wolkig, und es bleibt meist trocken. Im
Süden, in Südthüringen und Südsachsen
können sich Schauer bilden. Tageswerte:
25 bis 31 Grad.  Seite 15 und Bayern

Altmaier ruft Offensive für Mittelstand aus


Weniger Bürokratie, weniger Steuern – der Bundeswirtschaftsminister umwirbt familiengeführte Unternehmen


Katzen-Jammer


In Jerusalem verschwinden massenhaft Streuner – aber wohin?


Gutachter: An Schulen ist


Kopftuchverbot möglich


Proteststurm gegen Johnson


Der Plan des britischen Premiers, das Parlament für fünf Wochen zu schließen, stößt auf breite


Ablehnung. Tories treten zurück, Abgeordnete wollen sich per Gesetz wehren, Aktivisten klagen


Conte will rasch


Minister benennen


Italiens Premier möchte
„politische Instabilität“ überwinden

Hoeneß zieht sich


beim FC Bayern zurück


+ 1,18% + 1,25% - 0,

Die SZ gibt es als App
für Tablet und Smart-
phone: sz.de/zeitungsapp

31 °/8°


MÜNCHNER NEUESTE NACHRICHTEN AUS POLITIK, KULTUR, WIRTSCHAFT UND SPORT


WWW.SÜDDEUTSCHE.DE HMG MÜNCHEN, FREITAG, 30. AUGUST 2019 75. JAHRGANG /35. WOCHE / NR. 200 / 3,30 EURO


FOTO: REUTERS

FOTO: HEATHER STEN | MAGAZIN LIEGT NICHT DER GESAMTEN AUSLANDSAUFLAGE BEI.

Dax▲ Dow▲ Euro▼


Sternenjäger: Brad Pitt als Astronaut beim Filmfestival in Venedig Feuilleton


(SZ)Seltsam, dass der Verband der deutsch-
sprachigen Krähen nicht gegen die zu-
meist diffamierende Darstellung der Krä-
he in den Fabeln vorgegangen ist, zum Bei-
spiel in Gestalt einer Demo vor dem Rat-
haus von Rabenau. Kann es damit zusam-
menhängen, dass Krähen ohnehin auf der
Straße leben und es wenig Aufsehen erre-
gen würde, wenn sie auf die Straße gingen,
um zu demonstrieren? Sie würden ja eh
nur vom Bordstein auf den Asphalt hüp-
fen. Jedenfalls belegt eine Aufstellung der
Eigenschaften, denen Tierarten in Fabeln
zugewiesen werden, dass die Krähe durch-
weg als naiv und einfältig dargestellt wird.
Wenigstens mit ihrem Künstlernamen
kann sie einigermaßen zufrieden sein.
„Merkenau“ klingt klüger als „Pflückebeu-
tel“, so nennt der Fabeldichter den nahe
verwandten Raben.
Wie einfältig die europäische Saatkrähe
(Corvus frugilegus) dargestellt wird, zeigt
die Fabel von der Krähe, die ein Stück Käse
im Schnabel hält und nichts Besseres zu
tun hat, als damit im Baum zu sitzen, an-
statt den Käse zu verspeisen. Dann taucht
der Fuchs auf, der mit den Fabeldichtern
ein Abonnement auf die Eigenschaften
„schlau“ und „durchtrieben“ abgeschlos-
sen hat, und überlegt, wie er an den Käse
rankommen kann. Schließlich schmei-
chelt er der Krähe und sagt ihr, dass sie hin-
reißend aussieht und bestimmt eine fabel-
hafte Singstimme habe. Derart geblendet
von den Lügen des Fuchses, reißt die Krä-
he sofort den Schnabel auf, um ihr punkar-
tiges Gekrächze erschallen zu lassen. Da
fällt der Käse auf den Boden, der Fuchs
schnappt ihn auf und verabschiedet sich
feixend. Kein Wunder, alle glauben, die
Krähe wäre eitel und doof. Aber im Licht
neuer Erkenntnisse der manchmal nervtö-
tenden Ernährungswissenschaften, muss
diese Fabel neu interpretiert werden.
Forscher haben nämlich herausgefun-
den, dass Krähen, die durch ihre unbürger-
liche Lebensweise gezwungen sind, sich je-
de Form von Speiseresten einzuverleiben,
auch ein Problem mit zu hohen Choleste-
rinwerten haben. Prompt fragen sich nun
Tierfreunde, ob der Himmel bald mit Fett-
krähen zugestopft sein wird, schwarzen
adipösen Vögeln also, die sich gegenseitig
mit ihren dicken Bäuchen aus der idealen
Fluglinie boxen? Gemach, schon lange wei-
sen Zoologen darauf hin, dass Krähen zu
den schlauesten Vögeln wenn nicht sogar
Tieren gehören, den Menschen miteinge-
rechnet. Die Krähen wissen, was zu tun ist,
wenn sich eine Nussschale nicht öffnen
lässt. Sie legen dann die Nüsse einfach auf
die Straße, damit die nützlichen Idioten
aus der Nachbarschaft (Autofahrer) sie ka-
putt fahren. So ein Tier soll nicht wissen,
dass es nicht nur schlechtes, sondern auch
gutes Cholesterin gibt? Dem blöden Fuchs
hat die Krähe den 60-Prozent-Fett-Käse
doch nur deshalb vor die Füße geworfen,
damit der auch endlich einmal sein Fett ab-
bekommt.


DAS WETTER



TAGS

NACHTS

202499


Ein israelischer Künstlerlässt


sich in Gedenken an die Opfer


des Holocaust die letzte


Häftlingsnummer tätowieren,


die im KZ Auschwitz gestochen wurde.


Er ahnt nicht, wer sie trug


 SZ Magazin


4 190655 803302

53035
Free download pdf