Süddeutsche Zeitung - 30.08.2019

(Romina) #1

Am 9. Oktober 1989 demonstrierte Axel
Krausein Leipzig, wie etwa siebzigtausend
andere auch. Es war der Wendepunkt des
Revolutionsherbstes, ein Tag, der das Land
veränderte. Krause, 1958 in Halle an der
Saale geboren, hoffte damals auf einen de-
mokratischen Sozialismus in der DDR. In
den Wochen zwischen dem 9. Oktober und
dem 9. November habe es eine „wirkliche
Volksdemokratie“ gegeben, sagte er am
Mittwochabend im Zeitgeschichtlichen Fo-
rum in Leipzig. Nach dem Mauerfall habe
die „Hatz nach dem Westgeld“ begonnen.
Er sei nicht mehr zu den Demonstrationen
gegangen, als dort Deutschland-Fahnen
wehten. Noch heute bedauert er, dass die
Vereinigung nicht auf Augenhöhe, son-
dern als Beitritt nach Paragraf 23 vollzo-
gen wurde.
Axel Krause gehört zu den Künstlern,
die für die AfD werben. Er tut es nicht mit
seinen Bildern, sondern auf Facebook. Des-
wegen wollten Moritz Frei und andere in
diesem Frühjahr nicht gemeinsam mit
ihm in der Leipziger Jahresausstellung ver-
treten sein. Krause schrieb darüber einen
„satirischen Text“, in dem er sich einen
„entarteten Künstler“ und „Volksschäd-
ling“ nannte, woraufhin die Kuratoren
Krause wieder ausluden. Seitdem kennen
auch jene seinen Namen, die sich kaum für
zeitgenössische Malerei interessieren.


Die sächsische Kunstministerin Eva-
Maria Stange (SPD) sagte damals, es gehe
nicht, Menschen wegen ihrer politischen
Haltung zu stigmatisieren und gesell-
schaftlich auszuschließen. Die Ausladung
sei falsch. Am Mittwoch saß die Ministerin
neben Krause auf dem Podium im Zeitge-
schichtlichen Forum Leipzig. Moderiert
von Jürgen Reiche, dem Direktor des Fo-
rums, diskutierten außerdem der eben-
falls in Halle geborene Maler Rüdiger Gie-
bler, der Kurator Christoph Tannert, der in
Berlin das Künstlerhaus Bethanien leitet,
und der Chef der Rostocker Kunsthalle,
Uwe Neumann.

Man rede zu wenig miteinander, meinte
der Moderator. Man wolle über Kunstfrei-
heit in der Demokratie sprechen. Über 200
Leute folgten der Diskussion, es ging gesit-
tet zu, bis die Debatte gegen Ende einen
aufschlussreichen toten Punkt erreichte.
Wenig überraschend: Alle waren für die
verfassungsmäßig garantierte Freiheit der
Kunst. Ein Angriff auf diese, sagte Krause,
schiebe Debatten an, so wie ein richtig do-
siertes Gift das Immunsystem anstachele.

Christoph Tannert erlebte vor Kurzem ei-
nen Proteststurm, weil in der von ihm kura-
tierten Berliner Ausstellung „Milchstra-
ßenverkehrsordnung“ fast ausschließlich
Werke weißer Männer zu sehen sind. Man
warf ihm „institutionellen Rassismus“ vor.
Die Debatte müsse man doch aushalten,
warf Jürgen Reiche ein. Uwe Neumann wur-
de dafür kritisiert, dass in Rostock zu we-
nig Einzelausstellungen von Frauen ge-
zeigt wurden. Er akzeptierte den Vorwurf,
man müsse etwas ändern. Als sein Haus ei-
ne Ausstellung zu Willi Sitte und Fritz Cre-
mer ankündigte, forderteBild, die Ausstel-
lung müsse geschlossen werden. Sitte
stand über Jahre an der Spitze des Verban-
des Bildender Künstler der DDR. Es wur-
den noch manche Beispiele für Kritik, Pro-
teste, Empörung genannt. Es waren so vie-
le, dass man zu ahnen begann, dass Skan-
dale, Polemiken, Provokationen zur Kunst-
freiheit selbstverständlich dazugehören
und für die Kunst ein Lebenselixier sind.
Nicht durch gesellschaftliche Diskussio-
nen, so Eva-Maria Stange, werde die Kunst-
freiheit bedroht, sondern durch Eingriffe
von Politikern. Derzeit sei in der Republik
die Freiheit der Kunst nicht l gefährdet, ver-
sicherte auch Axel Krause. Man könne sich
glücklich schätzen, in einem Land zu le-
ben, in dem es so wenige Einschränkungen
gebe. Allerdings wendet sich die sächsi-

sche AfD in ihrem Wahlprogramm „gegen
politisch motiviertes, propagandahaft-er-
zieherisches Musik- und Sprechtheater“.
Ist das nicht der Wunsch nach Einschrän-
kung künstlerischer Freiheit?
Er sei nicht Mitglied der Partei, wolle
auch nicht, dass Politiker Theaterprogram-
me bestimmen. Leider aber sehe man in
den Theatern kaum „Kritik von rechts“, da

würden meist Positionen „links von der
Mitte“ vertreten. Welche Aufführungen er
gesehen hat, wurde Krause leider nicht ge-
fragt. Ihn ärgert besonders das Förderpro-
gramm „Weltoffenes Sachsen für Demo-
kratie und Toleranz“. Die Menschen, erklär-
te er, wollen beides, offene Türen und eben-
so die Möglichkeit, die Türen zu schließen,
Grenzen zu setzen. Aber die Fenster könne
man doch öffnen, erwiderte Reiche.
Und dann begann, worauf alle gewartet
hatten, die Diskussion des „Falls Krause“.
Jemand hatte ihn für die Jahresausstel-
lung vorgeschlagen. Seine Facebook-Pro-
paganda für die AfD war bekannt, ebenso
seine Mitgliedschaft im Kuratorium der
von Erika Steinbach geführten Erasmus-
Stiftung. Aber er war vorgeschlagen wor-
den, die Jury wählte seine Werke aus. Nach
Darstellung von Krause habe es viel Druck
von anderen Künstlern und Galerien auf
den Verein gegeben, der die Ausstellung or-
ganisiert. Die Kunst sei angenommen wor-
den, der Künstler habe nicht dazu gepasst.
Deshalb habe er den „satirischen Text“ ge-
schrieben. Viele hätten den toll gefunden.
„Entarteter Künstler“ – das erinnere an
die Sprache des Dritten Reiches, an LTI,
sagte Christoph Tannert, witzig sei das
nicht. Giebler sprach von einer „peinlichen
Verirrung“, Reiche warnte vor Verharmlo-
sung, Stange vor „sprachlichen Grenzüber-

schreitungen“. Statt sich zu erklären, griff
Axel Krause an: Man sei jetzt auf der mora-
lischen Ebene, beginne ein „Erziehungs-
programm“, übe „Zurechtweisung in ge-
ballter Form“. Was er getan, sei von der Mei-
nungsfreiheit gedeckt, man könne ihn ja
verklagen. Dies war der tote Punkt. Krause
wollte nun alles streng formal betrachtet
wissen, vermied Inhalte. Der Verein habe
einen „Regelbruch“ begangen.
Kluge Fragen aus dem Publikum klär-
ten auf. Ein junger Mann sagte, Krauses
„satirischer Text“ sei nicht lustig, die Kri-
tik daran aber nicht präzise genug. Krause
suggeriere, ihm werde Ähnliches angetan
wie den von den Nationalsozialisten ver-
femten Künstlern. Statt klarzustellen,
dass ihm derlei Übertreibung fernliege,
empörte sich Krause, dass man über seine
Worte, nicht über den „Regelbruch“ spre-
che. Ein anderer Zuhörer fragte, warum er,
wenn er seinen Kritikern doch das Klagen
nahelege, nicht gegen den Verein geklagt
habe. Er habe das überlegt, antwortete er,
aber der Verein sei ja auch anfangs mutig
gewesen, ihn auszuwählen. Krause selbst
also sah in seiner Einladung zur Jahresaus-
stellung auch einen symbolischen Akt. Aus
dem Ungeschick, den falschen Entschei-
dungen der Kuratoren und der Nervosität
der Öffentlichkeit hat er für sich den größt-
möglichen Gewinn gezogen. jens bisky

Matthias Lilienthal ist ein Mensch, der
weiß,was er wert ist. „Jedes Theater, das
ich leite, wird irgendwann ,Theater des Jah-
res’“, sagte der Intendant der Münchner
Kammerspiele vor Kurzem selbstbewusst
bei einer lokalen Salonveranstaltung. Da
wusste er möglicherweise schon, was jetzt
bekannt gegeben wurde: Die Kammerspie-
le sind tatsächlich zum „Theater des Jah-
res“ gewählt worden. In der jährlichen Kri-
tikerumfrage des FachmagazinsTheater
heuteerhielt das Haus in der Kategorie „Ge-
samtleistung eines Theaters der Saison“
elf von 44 Stimmen. Das sind viele, kann
man bei dieser Umfrage doch gegebenen-
falls schon mit drei, vier Stimmen Sieger in
einer Kategorie werden. Was dann nicht
sonderlich aussagekräftig ist.
Im Fall der Kammerspiele jedoch han-
delt es sich um einen Sieg auf ganzer Linie.
So wurde der zehnstündige Antikenmara-
thon „Dionysos Stadt“ in der Regie von
Christopher Rüping mit 14 Stimmen zur In-
szenierung des Jahres gekürt. Die mitrei-
ßende, von den athenischen Dionysien in-
spirierte Produktion war im Mai auch
schon beim Berliner Theatertreffen vertre-
ten. Sie führt von Prometheus über den
Trojanischen Krieg zur „Orestie“ und en-
det mit einem Fußballsatyrspiel. Nils Kahn-
wald, der in „Dionysos Stadt“ in einem
halbstündigen Prolog glänzt und nach die-
ser Charmeoffensive mehrere Rollen über-
nimmt, wurde zum Schauspieler des Jah-
res gewählt; Gro Swantje Kohlhof zur Nach-
wuchsschauspielerin (beide mit sieben
Stimmen). In der Kategorie „Bühnenbild
des Jahres“ steht Lena Newtons surreale
Guckkasten-Bilderrahmung für Susanne
Kennedys „Drei Schwestern“ obenan (vier
Stimmen). Schauspielerin des Jahres indes
ist die famose Sandra Hüller, früher auch
mal an den Kammerspielen beheimatet,
nun am Schauspielhaus Bochum bei Johan
Simons, in dessen Regie sie als Hamlet tri-
umphierte.
Für Lilienthal, dessen letzte Spielzeit in
München ansteht, dürfte der Umfragetri-
umph nach turbulenten vier Jahren mit
viel Kritik an seinem Haus und deutlichem
Publikumsschwund eine Genugtuung
sein. „Was lange währt, wird endlich gut“,
lautet sein Statement aus den Theaterferi-
en. Nachdem die Münchner CSU eine Ab-
lehnung seiner Vertragsverlängerung si-
gnalisiert hatte, warf Lilienthal im vergan-
genen Jahr den Bettel hin und kündigte für
Sommer 2020 seinen Weggang an. Viele
Münchner hatte er vergrault, weil er zu
stark versucht hatte, die Kammerspiele
neu aufzustellen nach dem Gastspiel- und
Freie-Szene-Prinzip des Berliner HAU, das
er früher leitete. Bei „Dionysos“ zeigten die
Kammerspiele dann ihre Muskeln: eine
Theatersause aus dem Vollen, mit fabelhaf-
ten Schauspielerleistungen.
Noch eine Auszeichnung ist zu vermel-
den, eine vom Bundesverband Schauspiel:
Die wunderbare Angela Winkler, 75 inzwi-
schen, aber eigentlich alterslos, wird beim
Deutschen Schauspielpreis am 13. Septem-
ber für ihre Leistung im Theater geehrt.
Der Preispate Ulrich Matthes würdigt sie
für ihre Irina in Tschechows „Drei Schwes-
tern“ am Deutschen Theater Berlin. Allen
sei gratuliert. christine dössel

von tobias kniebe

D


ieses Gefühl, etwas verstehen zu
wollen, geht es nicht eigentlich dar-
um? Die Suche danach kann an die
seltsamsten Orte führen. Diesmal ging es
durch die endlosen, pseudobyzantini-
schen Gänge des großen, alten Strandho-
tels Excelsior, in einen Raum mit ein paar
Journalisten aus aller Welt. Dann eine lan-
ge Wartezeit, im Fenster ein Stück blauer
Himmel und der auch sehr blaue Golf von
Venedig. Und dann saß da plötzlich Brad
Pitt und strahlte dieses Gefühl aus, voll-
ständig mit sich selbst im Reinen zu sein.
Was immer stark ist, wenn man das in
einem Menschen spürt, aber dann noch
kombiniert mit der Präsenz von Brad Pitt,
kann man sich das ungefähr vorstellen?
Egal, wie auch immer, jedenfalls spricht
er plötzlich über das Älterwerden. Das
eben entweder nur den eigenen egomanen
Irrsinn verschärft oder aber doch zwangs-
läufig zu mehr Weisheit führt. Und dass er
nun, in dieser Phase seines Lebens, unge-
fähr so zu sein versuche wie der Stuntman
Cliff, den er gerade in Quentin Tarantinos
Film „Once Upon A Time in Hollywood“
spielt. „Ich ziehe einen gewissen Stolz dar-
aus, nicht mehr so ... reaktiv zu sein. Zu ak-
zeptieren, was meines Weges kommt. Und
zu wissen, dass Gott ... oder der Geist ...
oder das Universum, wie auch immer du es
nennen willst, nicht gegen dich ist. Dass al-
les eine Gelegenheit ist, größer zu werden.“


Warum wirkt das in diesem Fall plötz-
lich anders als die üblichen Selbsthilfesprü-
che der Stars? Warum spürt man, dass da
mehr dahinter sein könnte? Zunächst
kann man das Gefühl noch nicht recht ein-
grenzen – und doch beginnt man sofort,
die Filme des Festivalbeginns in Venedig
anders zu sehen. Allen voran natürlich „Ad
Astra“ von James Gray, in dem Brad Bitt
selbst die Hauptrolle spielt. Gray macht
sehr persönliche Filme, oft düsterer Natur,
aber die ganz große Hollywoodmaschine
stand ihm bisher nicht zur Verfügung.
Hier ist das nun anders, Brad Pitt hat
„Ad Astra“ mit seiner Produktionsfirma
auf die Skala der großen Weltraum-Epen
hochgepusht. Die Bilder von Weltraumspa-
ziergängen, Mond-, Mars- und schließlich
Neptunflügen brauchen den Vergleich mit
Filmen wie „Interstellar“ oder „Gravity“
nicht zu scheuen. Manchmal streifen die
Szenen sogar die Grenze zum Actionfilm,
wenn etwa zwei Weltraumfahrzeuge auf
den Staubpisten des Mondes unterwegs
sind und von feindlichen Vehikeln ange-
griffen werden. Warum allerdings der
Mond ein Kriegsgebiet à la „Mad Max“ ge-
worden ist, damit will sich James Gray
nicht wirklich aufhalten – denn eigentlich
ist dies eine sehr intime Vater-Sohn-Ge-
schichte.


Clifford McBride (Tommy Lee Jones)
war in dieser nahen Zukunft der berühm-
teste Astronaut der Nasa, bis seine Mission
auf der Suche nach extraterrestrischem Le-
ben in der Nähe des Neptuns verschollen
ging. Zwanzig Jahren später ist sein Sohn
Roy (Brad Pitt) ebenfalls Astronaut, ein
Muster an Effizienz, Pflichterfüllung und
perfektem Ruhepuls, aber unfähig zu wirk-
lichen emotionalen Bindungen, etwa zu
seiner Frau.
Vieles spielt nun in Roys Kopf, in seinen
Gedanken, als er erfährt, dass sein Vater da
draußen vielleicht noch am Leben ist, und


inzwischen verrückt sein könnte, und dass
jemand nachschauen muss, was mit ihm
los ist.
Das ist nun explizit als mythische Reise
angelegt, jener Art, wie Joseph Campbell
sie über alle Kulturen hinweg untersucht
hat, und diese Reise führt immer zum Va-
ter zurück. Es wird also sehr freudianisch
im All, es müssen noch Dinge geklärt und
losgelassen werden – und im Sinn von
Brad Pitts neuem Koordinationssystem of-
fenbart sich, was Roy noch lernen muss.
Seine Unbeirrbarkeit erscheint hier als
Stärke, die allein die Mission zu Ende
bringt, aber er muss schon bis zum Neptun
fliegen, um zu begreifen, dass er sein Inne-
res dabei viel zu wenig gezeigt hat.
Eine Unbeirrbarkeit ganz ähnlicher Art
gibt es in „The Perfect Candidate“, von Hai-
faa Al-Mansour. Im Jahr 2012 war sie die
erste Frau, die je in Saudi-Arabien einen
Film gedreht hat, „Das Mädchen Wadjda“.
Ihre neue Heldin Maryam (Mila Al Zahrani)
ist Ärztin, fährt selbst Auto und kandidiert
gegen viele Widerstände für den Gemein-
derat. Man spürt eine schöne Solidarität in
diesem Film, unter den Frauen, aber auch
von ein paar Männern, einen frohen Glau-
ben an die Zukunft. Dass vieles noch wie
Wunschdenken wirkt, mag man Al-Man-
sour gar nicht ankreiden, genauso funktio-
niert auch das Mainstream-Kino, und hier
sind die Motive ja wenigstens nobel. Nur
spürt man eben hinter allem noch größere,

härtere Fragen, zu denen es eines Tages
vorzustoßen gilt.
Viel zu reaktiv, um bei Brad Pitts schö-
nem Begriff zu bleiben, geht es dagegen in
Noah Baumbachs „Marriage Story“ zu, der
ersten Netflix-Produktion im diesjährigen
Venedig-Wettbewerb, wo Streamingdiens-
te inzwischen schon wie Teil des Kino-All-
tags betrachtet werden. Nicole (Scarlett Jo-
hansson) und Charlie (Adam Driver) waren

ein rechtes New Yorker Traumpaar mit
achtjährigem Sohn, er der Kopf einer unab-
hängigen Theatertruppe, sie seine Muse
und sein Star. Am Anfang schreiben sie auf
Geheiß ihres Therapeuten Dinge auf, die
sie aneinander mögen, und man freut sich

schon auf die bergmanneske Aufarbeitung
einer großen Liebe – und ihres vielleicht
unausweichlichen Scheiterns.
Stattdessen treten dann aber nach zehn
Minuten die Scheidungsanwälte auf und
übernehmen nicht nur das Leben der Prot-
agonisten, sondern auch den ganzen Film.
Das sind zwar tolle Figuren, gespielt von
Laura Dern, Alan Alda und Ray Liotta, aber
ihr Treiben ist in keiner Weise erkenntnis-
stiftend, und die eigentlichen großen Bezie-
hungsfragen, auf die man gehofft hatte,
kommen zu kurz. Wer’s noch nicht wusste,
kann hier lernen, dass es ohne Anwälte im-
mer tausend Mal besser geht, besonders in
Amerika, mehr aber auch nicht. Und das ist
schade für einen Regisseur, dem schon
ganz andere Vorstöße ins Innere seiner
Figuren geglückt sind.
Zurück noch einmal ins Hotel Excelsior,
zurück in den Raum mit dem Golf von Ve-
nedig im Fenster, zurück zu Brad Pitt. War-
um wirkt der so sehr mit sich im Reinen?
Natürlich sei er „der Typ, der in der Lotte-
rie gewonnen hat“, will sagen in Sachen
Geld und Ruhm, aber er sei eben auch noch
der Junge aus den Ozark-Wäldern, der ei-
nes Tages ins Unbekannte aufbrach, nach
L.A. und New York, und 23 war, als er zum
ersten Mal in einem Flugzeug saß. Und
dann erzählt er völlig nebenbei, was die
griechischen Stoiker ihm inzwischen be-
deuten, die antiken Philosophen. „Es ist
überwältigend, wie sehr sie ihrer Zeit vor-

aus waren. Oder aber, wie wenig wir in den
letzten zweitausend Jahren gelernt haben.
Praktisch nichts.“
Und auf einmal ist er da, der Moment
der Erkenntnis. Davor war es nur ein na-
gendes Gefühl im Tarantino-Film, und
jetzt noch verschärft in „Ad Astra“: Brad
Pitt ist der Mann der Stunde. An Frauen
der Stunde mangelt es ja nicht, aber öffent-
liche Männer jeder Art sind entweder ego-
mane Irre oder offensichtlich hilflos oder
vollständig abgetaucht. Nur Brad Pitt, der
ist noch da. Er strahlt etwas aus, das Hoff-
nung macht.

Und plötzlich versteht man, warum.
Weil eben die Welt im Großen und Ganzen
gerade viel zu reaktiv ist. Viel zu hysterisch
und aktionistisch und sauer auf das kom-
plette Universum, das es immer nur böse
meint. Und nein, Brad Pitt, der offenbar
existenziell erfolgreich darin ist, die Stoi-
ker zu lesen und dann wirklich ein biss-
chen ruhiger, akzeptierender, freundli-
cher und größer zu werden, ist nicht über
Nacht zum Giganten geworden. Er wächst
nur jeden Tag ein kleines bisschen, wäh-
rend alles sonst schrumpft, immer schnel-
ler, in Richtung der totalen Verzwergung.

„Ich ziehe einen gewissen Stolz daraus, nicht mehr so reaktiv zu sein“, erzählt Brad Pitt bei der Premiere seines neuen Films. FOTO:FOX

DEFGH Nr. 200, Freitag, 30. August 2019 HF2 11


Fenster auf!


Von der Ministerin verteidigt, im Herzen verfolgt: Eine Diskussion mit dem AfD-nahen Maler Axel Krause im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig


Auf ganzer Linie


Die Münchner Kammerspiele
sind „Theater des Jahres“

Zur Leipziger Jahresausstellung
wurde Krause eingeladen –
und wieder ausgeladen

Literatur
Rafik Schamis Kommissar Barudi
ermittelt im Syrien
vor dem Bürgerkrieg 14

Wissen
Biologen züchten Nervenzellen,
die miteinander
in Kontakt treten 16

 http://www.sz.de/kultur

Während alle hysterisch zappeln
und aufs Universum schimpfen,
probiert Pitt es mit Gelassenheit

Psychoanalyse im Weltall


Brad Pitt stellt beim Filmfestival in Venedig seinen Science-Fiction-Blockbuster „Ad Astra“ vor


und erzählt beim Treffen ein paar seiner Hollywoodstar-Weisheiten übers Älterwerden


Der Vater ist während einer


Nasa-Mission verschollen,


der Sohn reist ihm hinterher


ANZEIGE

FEUILLETON


Plötzlichberühmt: Der Maler Axel Krau-
se am Mittwochabend im Zeitgeschicht-
lichen Forum Leipzig. FOTO: DPA

HEUTE


F

LI

M

F

E

S

T

S

P

IE


L
E
VE

NEDIG (^20)
(^19)

Free download pdf