von till briegleb
S
ie sind die Krampfadern der Stadt,
die Blutvergiftung der Metropolen,
die Migräne des schönen urbanen Le-
bens. Vielspurige Autostraßen, die dem
Einfall und Ausfall von Pendlermassen
und dem Güterverkehr dienen, empfindet
jeder als krankmachende Orte: Fußgänger
und Fahrradfahrer, die sie tunlichst mei-
den, sowieso; Bewohnerinnen und Bewoh-
ner, für die sie eine ständige Barriere aus
Lärm, Abgas, Gefahr und Hässlichkeit
sind, am ärgsten; aber auch die Autolenker
selbst, denen die Tempoversprechung ein
ständiges Ärgernis ist. Denn die Realität
dieser sogenannten Schnellwege ist Kriech-
verkehr in grauen Schluchten, der auch
durch immer weiteren Straßenausbau
merkwürdigerweise nie beseitigt wird.
Trotzdem hat sie jede größere Konglo-
meration im Dutzend, diese Magistralen
und Ringe, Zeugnisse einer Planerideolo-
gie aus der Nachkriegszeit von der autoge-
rechten Stadt. Oft rücksichtslos planiert
durch bestehende Stadtquartiere, immer
wieder ausgebaut auf Kosten des öffentli-
chen Personennahverkehrs und der Geh-
und Fahrradwege. Denn Deutschland ist
Autoland, wo man lieber Feinstaubkrebs
kriegt, als vernünftig zu sein. So jedenfalls
empfinden es die Stadt- und Verkehrs-
planer aus unseren kleineren Anrainerstaa-
ten, die beim Internationalen Bauforum
zum Thema „Magistralen“ in Hamburg
den örtlichen Kollegen ordentlich den
Kopf gewaschen haben, wie es hier eigent-
lich aussieht und wie weit hinterm Mond
die Mobilitätsentwicklung im Land der Ab-
gasbetrüger ist.
Organisiert von der Hamburger Stadt-
entwicklungsbehörde als einwöchiger
Workshop mit rund 200 Architekten und
Verkehrsplanern aus ganz Europa, die in
14 Teams die sieben längsten CO2-Schnei-
sen der Stadt bearbeitet haben, sollte diese
Kraftanstrengung sowohl Visionen als
auch konkrete Lösungen für die Stadträu-
me liefern, die seit Jahrzehnten am Auto-
Lindwurm leiden. Und wenn die Vorschlä-
ge für die Kur und die Transformation der
Magistralen auch wie erwünscht extrem
vielfältig ausfielen, so waren sich wirklich
alle Experten in einer Sache vollkommen
einig: Das Auto muss weg aus der Stadt, je-
denfalls das private Auto mit 1,2 Insassen
pro Fahrt, das bis zu 90 Prozent der Ver-
kehrsflächen allein für sich beansprucht.
Kein Team, das hier Vorschläge präsen-
tierte, verzichtete auf die offensichtlich al-
ternativlose Forderung, den Bewegungs-
raum des Vierrads drastisch einzuschrän-
ken. Und auch bei den Sofortmaßnahmen
herrschte Einmütigkeit. Spurenreduzie-
rung für den motorisierten Individual-
verkehr als Voraussetzung, um Bus und
Fahrrad Vorrang auf der Fahrbahn zu ge-
ben. Abschaffung der Parkzonen für breite
Gehwege sowie ein generelles Geschwin-
digkeitslimit entsprechend des durch-
schnittlichen Fortbewegungstempos der Au-
tos in der Staustadt (in Hamburg 32 km/h).
Das schmutzigste, lauteste, klimaschäd-
lichste und platzraubendste Fortbewe-
gungsmittel, so die Meinung aller Vortra-
genden, auch aller deutschen, soll auch das
unattraktivste und langsamste werden.
Um den Abschiedsschmerz von dem ge-
liebten Statussymbol zu mildern, präsen-
tierten die Teams Mobilitätsalternativen
zum Auto, wie sie nicht nur in Amsterdam
und Kopenhagen, sondern auch in Bogota
längst Standard sind, in Deutschland aller-
dings immer noch sehr stiefmütterlich be-
handelt werden. Busschnellspuren, Car-
Sharing und Cargo-Fahrräder gehören
ebenso zu dem Konzept von „Mobility as a
Service“ wie Sammeltaxis, massiver Rad-
netzausbau auf breiten und gesicherten
Vorfahrtswegen und hoch getakteter Schie-
nenverkehr. „Leihen statt besitzen“ ist die
Lösung, wie es eine Verkehrsplanerin for-
mulierte.
Aber auch vielfältige architektonische
Verbesserungen lassen sich mit einem Mo-
bilitätskonzept anstoßen, das Autos wirk-
lich nur da noch duldet, wo es überhaupt
keine praktikablen und sauberen Alternati-
ven gibt. Attraktive Umsteigepunkte zum
öffentlichen Nahverkehr an der Peripherie
für Umlandbewohner etwa, wo hybride
Parkhäuser vielfältige Funktionen erfül-
len können. Schulen, Kindergärten, Läden
und Serviceeinrichtungen ließen sich an
diesen „Hubs“, wie sie im Fachjargon ge-
nannt werden, unterbringen, um eine
Stadt der kurzen Wege mit vielen gleichbe-
rechtigten Zentren zu entwickeln, die wei-
ter den Verkehr reduziert.
Magistralen müssen in ihrer heutigen
Form aber auch dann überflüssig gemacht
werden, wenn die Langschläfer in der deut-
schen Automobilindustrie endlich klima-
neutrale Antriebe entwickelt haben. Denn
natürlich beseitigen saubere und leise
Fahrzeuge die giftigsten Probleme einer
verfehlten Verkehrspolitik. Und sie ermög-
lichen endlich eine Öffnung der flankieren-
den Gebäude, die dem Lärm und Dreck bis-
her architektonisch den Rücken zukehren
mussten. Wirklich gewonnen für die Stadt
ist aber erst dann etwas, wenn der unge-
heure Platzanspruch, den das Automobil
auf Straßen, Parkplätzen und Garagen er-
hebt, auf ein Minimum reduziert ist.
„Wir müssen den Raum neu verhan-
deln, der heute von den Autos belegt ist“,
war eine zentrale wiederkehrende Forde-
rung dieses Forums. Bewohnergärten und
Spielplätze statt Parkbuchten entwarfen
die Vorschläge der Abschlusspräsentation,
oder neu aktivierte Erdgeschosszonen,
weil die verkehrsarmen Magistralen sich
plötzlich wie Boulevards anfühlen. Verbun-
dene Grünzonen können entstehen, wenn
die massive Barriere einer Stadtautobahn
verschwindet, oder Bauland für gemischte
Quartiere, die nicht mehr von Lärmschutz-
gesetzen in ihrer Entwicklung gehemmt
sind. Der Fantasie ist keine Grenze gesetzt,
wenn einmal die riesigen Straßenflächen
so animiert werden, dass alle Kraftwagen
wegradiert sind.
Aber vor allem bietet die Rückerobe-
rung des Straßenraums auch die Möglich-
keit zu einer neuen Planungskultur, bei
der die örtlichen Bewohner die ersten Ide-
enlieferanten sein müssten, schon allein
als Wiedergutmachung für ihr vorheriges
Leben an der Auspuffkarawane. Von „Gue-
rilla Urbanism“, also der selbständigen An-
eignung der neuen Leerräume, über eigen-
ständige Farbgestaltung der neuen Um-
welt bis zu Agrarflächen zur Selbstversor-
gung könnte eine solche Umkodierung
durch die Anwohner reichen.
Der Fehler der alten Planungsbürokra-
tie, Städtebau von oben nach unten zu de-
kretieren, darf sich bei zurückgebauten
Straßen nicht wiederholen, darin war man
sich in Hamburg bei allen toll ausgedach-
ten Vorschlägen der Kreativen – von Grün-
fassaden über Stelzenhäuser und Volks-
park-Highways – einig. Und auch darin,
dass die alte Top-down-Planung von Be-
hörden nicht durch eine neue Bestimmkul-
tur von Investoren ersetzt werden darf. Die
echte Verkehrswende, die der Stadt zehn
Prozent ihrer Fläche als öffentlichen Raum
und gesunde, schöne Lebensräume zurück-
geben könnte, ist auch eine Chance für die
Demokratie.
Dass dieses Bauforum extrem viele pro-
duktive, aber auch radikale Vorschläge ge-
liefert hat, die einen echten U-Turn in der
Verkehrspolitik und bei den individuellen
Mobilitätsentscheidungen fordern, zeigt,
wie lange in diesem Land auf die Auto-
industrie statt auf die Lebensqualität ge-
setzt wurde. Doch wer eine derartig einmü-
tige Front von Experten erlebt hat, die eine
neue Politik des Autoverzichts als Grund-
lage einer intelligenten, lebenswerten und
klimaneutralen Stadtentwicklung propa-
gierten, der kann die heutigen Magistralen
nur noch als blecherne Lebensgefahr für
Mensch und Klima wahrnehmen. An die-
sen Expertisen muss sich in Zukunft auch
eine Politik messen lassen, die behauptet,
Sorge für das Klima und die Gesundheit
ihrer Bürger zu tragen. Bei allem Ab-
schiedsschmerz.
Volkspark statt Parkplatz
Experten sindsich einig: Das private Auto muss raus aus den Städten. In Hamburg präsentierten
200 Architekten und Verkehrsplaner ihre Visionen für die Rückeroberung der Straßen
Bürgerbeteiligung statt Top-down
- eine Verkehrswende wäre auch
eine Chance für die Demokratie
12 HF2 (^) FEUILLETON Freitag,30. August 2019, Nr. 200 DEFGH
Ohne Autos gäbe es plötzlich Platz für großes Kino in der Nachbarschaft. ABB.: 7B: KARRES EN BRANDS/ BEL/COIDO/LIMBROCK TUBBESING/COPENHAGENIZE/TRANSSOLAR/C. KÖSTER/AREF
Wenn etwas uns fortgenommen
wird,
womit wir tief und wunderbar
zusammenhängen,
so istvielvon uns selber mit
fortgenommen.
Gott aber will, dass wir uns
wiederfinden,
reicher um alles Verlorene und
vermehrt um
jenen unendlichen Schmerz.
Reiner Maria Rilke.
Heinz-Peter Scholz
Diplom-Ingenieur
- 1925 † 24. 8. 2019
In Liebe und Dankbarkeit nehmen wir Abschied von
Maria-Eveline Scholz
und Familie
Prof. Dr. sc. pol.
Lutz Hoffmann
- 1925 † 24. 8. 2019
- Mai 1934 † 23. August 2019
Du fehlst uns sehr!
Helle Hoffmann
Tobias und Ute Hoffmann
Dr. Ilka Hoffmann-Bisinger und Dr. Pit Bisinger
Daniel Hoffmann, Zita Dreher und Elwin Hoffmann
Unser geliebter Ehemann, Vater und Großvater ist am 23. August 2019 in Ruhe
und Frieden von uns gegangen.
Lutz Hoffmann
1934 - 2019
Lange Jahre haben wir mit Lutz für die Ukraine gearbeitet,
diskutiert und in Kiew bei der Regierungsberatung gemeinsame
Erfahrungen gesammelt. Die Zeit des Umbruchs vor Ort
unmittelbar mitzuerleben hat zu einer großen Verbundenheit
innerhalb unseres Teams geführt, dessen Leitfigur Lutz war.
Auch danach blieben wir in regelmäßigem, freundschaftlichem
Kontakt. Lutz war ein herausragender Ökonom und für viele
von uns ein väterlicher Freund, jedem brachte er Achtung und
Empathie entgegen. Wir haben ihm viel zu verdanken, beruflich
und privat. Wir werden Lutz in unserem Kreis sehr vermissen.
Deutsche Beratergruppe Wirtschaft
bei der Regierung der Ukraine 1994 - 2004
Anneli Bücker • Jürgen Conrad • Stephan und Viola
von Cramon-Taubadel • Amélie zu Eulenburg • Richard Frensch • Ricardo Giucci •
Andreas Gummich • Christa Hainz • Lars Handrich • Christian von Hirschhausen •
Felicitas Kotsch • Gerhard Krause • Petra Opitz • Ferdinand Pavel •
Axel Siedenberg • Ludwig Striewe • Ulrich Thießen • Volkhart Vincentz und
im Namen der ukrainischen Mitarbeiter Inna Morgun • Svitlana Shchokina
Bestattungen
Landeshauptstadt München
Waldfriedhof, Neuer Teil, Lorettoplatz:
Erdbestattungen:
9.45 KulhanekGisela, Näherin, 83 Jahre
10.30 MayerleWerner, Beamter, 81 Jahre
11.15 StrohmaierEva Regina, kaufmännische Angestellte, 66 Jahre
12.45 OsunborLucky, Wachmann, 55 Jahre
14.15 StrauchGottfried, Architekt, 94 Jahre
Westfriedhof:
Erdbestattung:
10.30 KraußAdelheid, Hausfrau, 95 Jahre
Nordfriedhof:
Erdbestattung:
9.45 MichailidisMichail, Kaufmann, 78 Jahre
Ostfriedhof, Krematorium:
14.15 LangmeierFranziska, Angestellte, 86 Jahre
Friedhof am Perlacher Forst:
Erdbestattung:
12.45 RiedelsheimerSimon, städtischer Arbeiter, 85 Jahre
Neuer Südfriedhof:
Erdbestattungen:
9.45 SanguinoElke, Schneiderin, 81 Jahre
10.30 VorbuchnerKlara, Hausfrau, 88 Jahre
Friedhof Aubing:
Erdbestattung:
10.30 HeldRosina, Schneiderin, 85 Jahre
Bestattungen im Landkreis München
Waldfriedhof Grünwald:
10.00 WursterIngrid, Kindererzieherin, 89 Jahre
Friedhof Neukeferloh:
10.00 Gottesdienst in St. Ulrich, Grasbrunn, anschließend Beisetzung
KokKatharina, 83 Jahre
Städtische Friedhöfe München – Telefon 2319901
heute, Freitag, 30. August 2019
Hedwig Blümel-Tilli
Frauenhilfe München gGmbH
Geschäftsführung Beratungsstelle Mitarbeiter*innen
Wir trauern um unsere wunderbare Kollegin
Unser Mitgefühl gilt ihrem Mann und der Familie.
Du bleibst unvergessen.
Mit großer Dankbarkeit für ihre Wärme, Herzlichkeit
und den Esprit, den sie verströmt hat.
Mit tiefem Respekt für alles, was sie auf den Weg gebracht hat.
Trauer einen Raum geben.
Abschied nehmen von einem geliebten Menschen ist schmerzlich.
Das Trauerportal der Süddeutschen Zeitung, SZ Gedenken, hilft Ihnen dabei und bietet Ihnen
die Möglichkeit, Ihre Trauer zum Ausdruck zu bringen.
Alle Traueranzeigen aus der Zeitung erscheinen automatisch auf einer persönlichen
Gedenkseite. Hier können Sie virtuelle Gedenkkerzen anzünden, kondolieren und persönliche
Fotos und Erinnerungen mit Verwandten, Freunden und Bekannten teilen.
Besuchen Sie auch das Trauerportal
SZ-Gedenken der Süddeutschen Zeitung.
Erfahren Sie mehr:
[email protected]
http://www.sz-gedenken.de
- Mai 1934 † 23. August 2019