Süddeutsche Zeitung - 30.08.2019

(Romina) #1
Normalerweise sind sie bräunlich-schwarz
gefärbt undweisen auf dem Rücken gelb-
weiße Flecken auf. Dieses Weibchen der Ei-
dechsenart Bahamaanolis hat hingegen al-
le seine Farbpigmente verloren – und zählt
zu den ersten gentechnisch-veränderten
Reptilien überhaupt. Das schreibt ein For-
scherteam um den Genetiker Douglas Men-
ke von der University of Georgia im Fach-
journalCell Reports. Demnach sei die Albi-
no-Echse das Ergebnis eines Experiments
mit der Genschere Crispr-Cas9, ein moleku-
larbiologisches Verfahren, das seit einigen
Jahren aus der Gentechnik nicht mehr weg-
zudenken ist. Durch Crispr können be-
stimmte DNA-Fragmente oder einzelne Ge-
ne gezielt aus der Erbsubstanz herausge-
schnitten werden, weshalb die Schere in
der Pflanzenforschung ebenso weit verbrei-
tet ist wie in Tiermodellen – mit einer Aus-
nahme: Reptilien. Da deren Eier äußerst
zerbrechlich sind, führte das bisherige
Crispr-Verfahren nicht zum Erfolg, wes-
halb Menke und seine Kollegen es etwas
modifizierten. Statt wie sonst üblich bei be-
fruchteten Eizellen, versuchten die Wissen-
schaftler, die Genschere in unreife Eizellen
weiblicher Eidechsen einzuschleusen – mit
Erfolg. Mittels Crispr manipulierten die For-
scher das Enzym Tyrosinase, das für die
Produktion von Farbpigmenten, sogenann-
ten Melaninen, eine essenzielle Rolle spielt.
In den Nachkommen war die Tyrosinase
ausgeschaltet – und die Tiere waren Albi-
nos. tohe

Die


Gentech-Echse


von kathrin zinkant

E


s kommt selten vor, dass Forscher
sich und ihre Arbeit ganz öffentlich
erklären. Dass sie erläutern, warum
sie diese konkrete Fragestellung unter-
sucht haben, wie das gemacht wurde, was
herausgekommen ist, wie die Antworten
zu verstehen sind – vor allem aber, wie
man sie auf gar keinen Fall verstehen soll-
te. Doch es gibt Themen, die erfordern ein
solches Maß an Sensibilität und Verantwor-
tungsgefühl. Das gilt insbesondere, wenn
sich Genetiker mit der sexuellen Orientie-
rung des Menschen befassen und versu-
chen, die erblichen Einflüsse auf die Homo-
sexualität zu beschreiben. Denn was wäre
schlimmer, als wenn Erkenntnisse über
das Genom für die Diskriminierung von
Schwulen, Lesben und anderen anders lie-
benden missbraucht würden?
In der aktuellen Ausgabe des Wissen-
schaftsjournalsScienceveröffentlicht ein
Forscherkonsortium um Andrea Ganna
vom Broad Institute in Cambridge bei Bos-
ton deshalb jetzt nicht einfach nur die Er-
gebnisse der bislang größten und ersten
umfassenden genetischen Bevölkerungs-
analyse zu den Grundlagen der Sexualität.
Das Team schaltet gleichzeitig auch eine
Website frei, auf der sie ihre Resultate allge-
mein verständlich erläutert. Demnach ist
die sexuelle Orientierung eines Menschen
zwar zu etwa einem Drittel durch die Erb-
anlagen bestimmt. Gleichzeitig gibt es je-
doch kein einzelnes Gen und auch keine de-
finierte Gruppe von DNA-Abschnitten, die
darüber bestimmen, wie jemand liebt.
Stattdessen existieren sehr viele Erbanla-
gen mit den vielfältigsten biologischen
Funktionen, die jeweils einen eher kleinen

Beitrag leisten. Man findet sie verstreut im
gesamten Genom. Die zentrale Erkenntnis
der Studie lautet mithin, dass es unmög-
lich ist und absehbar bleiben wird, die sexu-
elle Orientierung eines Menschen aus sei-
nem Erbgut abzulesen.
Sowohl die Studie als auch die Website
geneticsexbehavior.info stellen einen Wen-
depunkt in der Erforschung der Homose-
xualität dar, weil sie erstmals zuverlässige
Ergebnisse liefern und einen wichtigen Bei-
trag zur gesellschaftlichen Wahrnehmung
von Lesben, Schwulen und Bisexuellen leis-
ten könnten. Bisherige Untersuchungen
zur Genetik der Homosexualität hatten
kleine Teilnehmerzahlen und konzentrier-
ten sich oft auf die Suche nach einem ein-
zelnen Gen oder einer Region im Genom,
die Homosexualität erklären sollte. Der
umfassende Ansatz der aktuellen Studie
wurde erst durch genetische Datenbanken
möglich, in denen mittlerweile Hundert-
tausende Menschen mit ihrem vollständig
ausgelesenen Erbgut erfasst sind.
Das internationale Team nutzte für sei-
ne Analyse Daten von 475 000 Personen,
die in der UK Biobank registriert oder ihr
Genom von der kommerziellen Firma
23andMe hatten analysieren lassen. Vor-
aussetzung war in jedem Fall das Einver-
ständnis der Teilnehmer, die ausführliche
Fragebögen über ihre sexuellen Erfahrun-
gen und Neigungen ausfüllten. Auf der
Grundlage dieser enormen Menge an Da-
ten führten die Wissenschaftler schließ-
lich eine genomweite Assoziationsstudie,
kurz GWAS genannt, durch. Solche Stu-
dien fahnden nicht direkt nach Genen, son-
dern suchen nach bekannten Markierun-
gen im Genom, die mit benachbarten Grup-
pen von Erbanlagen – sogenannten Loci –

in einem Zusammenhang stehen. Ganna
und Kollegen haben Hunderttausende sol-
cher Markierungen erfasst und sie mit den
Ergebnissen der Fragebögen verglichen.
Im vergangenen Oktober präsentierten sie
einen Teil der Ergebnisse bereits auf einer
Fachkonferenz in San Diego.
Wie komplex der erbliche Teil der
menschlichen Sexualität ist, wird an ei-
nem der Resultate gut erkennbar: Die For-
scher entdeckten tatsächlich fünf Loci, die
statistisch besonders stark mit Berichten
über gleichgeschlechtliche Liebeserlebnis-
se der Teilnehmer verknüpft waren.
„Stark“ hieß hier allerdings, dass sie gera-
de einmal ein Prozent der sexuellen Verhal-
tensunterschiede innerhalb der gesamten

Teilnehmergruppe erklären konnten. Die
Beiträge anderer Gene oder Gengruppen
war demnach noch geringer. Nur die hohe
Zahl verschiedener genetischer Einfluss-
faktoren ergab zusammengefasst, dass sie
für 8 bis 25 Prozent der Unterschiede im se-
xuellen Verhalten verantwortlich sind.
Neben diesen eher quantitativen Resul-
taten präsentieren das Team auch qualita-
tive Ergebnisse. So stellte sich heraus, dass
Homosexualität bei Frauen und Männern
zu einem geringen Teil von unterschiedli-
chen Erbanlagen beeinflusst wird. Bei
Männern hängt schwule Liebe zum Bei-
spiel mit Genen zusammen, die gleichzei-
tig auch mit dem Verlust des Haupthaars
assoziiert sind. Auch ein Zusammenhang
mit Genen, die den Geruchssinn prägen,

konnten die Forscher entdecken. Jeder die-
ser Einflüsse bleibt jedoch gering – und
nur einer von sehr, sehr vielen.
„Ich denke, dass wir einige wichtige Din-
ge gelernt haben“, sagt Benjamin Neale
vom Broad Institute, der an der Studie be-
teiligt war. „Dazu gehört, dass es eine enor-
me (sexuelle) Vielfalt da draußen in der
Welt gibt. Wir können das in unserer Analy-
se sehen.“ Die Studie zeige auch, dass die
stete Erweiterung der Akronyme in der
LGBTQIA+-Community (englische Abkür-
zung für lesbisch, schwul, bisexuell, trans-
gender, queer, intersexuell und asexuell)
eine reale genetische Grundlage habe. Die
Forscher hatten sich schon im Vorfeld der
Studie ausführlich mit verschiedenen
Gruppen dieser Community beraten, um
bei der Kommunikation der Ergebnisse
keine Fehler zu machen.
Auch andere Experten schätzen die Stu-
die deshalb als beispielhaft nicht nur in der
wissenschaftlichen Qualität, sondern auch
in ihrem Beitrag zur gesellschaftlichen Aus-
einandersetzung mit nicht-heterosexuel-
ler Liebe ein. „Diese Arbeit könnte helfen,
Vorurteile und die Angst vor genetischer
Diskriminierung abzubauen“, sagt Jan Kor-
bel vom European Molecular Biology Labo-
ratory. In vielen Ländern sei Homosexuali-
tät noch immer ein brisantes Thema. „Die
Autoren sind sich im Klaren darüber, dass
sie als Wissenschaftler Gefahr laufen, zu-
gunsten der einen oder anderen Position
instrumentalisiert zu werden“, sagt der
Kommunikationsforscher Hans-Peter Pe-
ters vom Forschungszentrum Jülich.
Durch die öffentlich zugängliche, gut ver-
ständliche Website werde die Gefahr redu-
ziert, dass man den Forschern Meinungen
und Schlussfolgerungen in den Mund lege.

Die Zahl der Masernerkrankungen in Euro-
pa hatin diesem Jahr deutlich zugenom-
men. Die Weltgesundheitsorganisation
(WHO) zählte in den ersten sechs Monaten
bereits rund 90000 Fälle. Damit habe sich
die Zahl der Erkrankungen gegenüber
dem Vergleichszeitraum 2018 verdoppelt,
teilte die WHO am Donnerstag in Genf mit.
Vier Länder – Albanien, Tschechien, Grie-
chenland und Großbritannien – haben ih-
ren Status als masernfrei verloren. Insge-
samt zählen 53 Länder zu dem von der
WHO auf die Verbreitung von Masern und
Röteln untersuchten Gebiet. Davon sei es
in 48 Ländern zu Masernfällen gekom-
men. Besonders betroffen seien die Ukrai-
ne, Kasachstan, Georgien und Russland
gewesen. Dort seien 78 Prozent aller Ma-
sernfälle des ersten Halbjahrs aufgetreten.
In Deutschland kämen Masern noch regio-
nal begrenzt vor.
Eine solche Entwicklung hat es seit Be-
ginn der genauen Überwachung 2012 nicht
gegeben. „Die Rückkehr der Masern ist be-
sorgniserregend“, sagt der WHO-Experte
Günter Pfaff. Seit Januar 2018 seien rund
100 Menschen in Europa an der hochanste-
ckenden Infektionskrankheit gestorben.
Die Entwicklung zeige die Notwendigkeit ei-
ner Impfrate von 95 Prozent in der Bevölke-
rung. Die jahrelangen Anstrengungen hät-
ten die Masern fast ausgerottet. „Aber die
Ausbrüche zeigen, dass noch mehr Mühe
nötig ist“, sagt die WHO-Regionaldirekto-
rin für Europa, Zsuzsanna Jakab. Es sei
Zeit, alles anzusprechen, was dazu geführt
habe, dass sich das mitunter tödliche Virus
hartnäckig halten könne. Es sollte jede Gele-
genheit genutzt werden, Kindern die Routi-
ne-Impfung zu geben, Erwachsene über ih-
ren Impfstatus aufzuklären und gegebe-
nenfalls zu impfen. In Deutschland gab es
nach Angaben des Robert-Koch-Instituts
bereits Ende Juli dieses Jahres mehr als 450
Masernfälle. Im gesamten Jahr 2018 waren
es etwa 540 Fälle, 2017 knapp 930. dpa

Vor mehr als 2000 Jahren waren Stoffe in
der Regel komplett bioabbaubar. Schließ-
lich bestanden sie aus Wolle, Seide oder
Pflanzenfasern, verschönert mit Farben
aus Wurzeln, Blättern, Schnecken oder
Läusen. Gut für die Umwelt, aber schlecht
für die Arbeit von Archäologen und Histori-
kern, denn nur wenig Textiles von damals
ist noch erhalten. Und bei manchen Fund-
stücken lässt sich selbst unterm Mikro-
skop nicht mehr erkennen, aus welchem
Material sie sind und welche Farbe sie
ursprünglich hatten. „Dabei kann man
wichtige Rückschlüsse aus historischen
Textilfunden ziehen. Zum Beispiel, welche
Ressourcen verfügbar waren, ob Handel
betrieben wurde, welchen Status der Besit-
zer hatte und wie weit Textil- und Färbe-
techniken entwickelt waren“, sagt Annema-
rie Kramell von der Universität Halle.
Die Chemikerin untersucht schon seit ei-
nigen Jahren Farbstoffe aus Textilproben,
die zum Teil mehr als 2000 Jahre alt sind.
Bisher mussten die farbigen Substanzen
für die Analysen aber erst aus den Fasern
herausgelöst werden. Eine Variante der
Massenspektrometrie kommt ohne diesen
Zwischenschritt aus und liefert den Chemi-
kern aus Halle nun erstmals ein Bild, wie
Farbstoffe räumlich in Textilproben ver-
teilt sind. „Damit können wir sehen, wie un-
terschiedlich gefärbte Fäden im Material
verlaufen und welche Farben miteinander
gemischt wurden“, erklärt Kramell.


Die meisten Proben für die Untersuchun-
gen sind mehr als 2000 Jahre alt, wie das
Team kürzlich im FachblattScientific Re-
portsberichtete. Sie stammen von Trocken-
mumien aus der Autonomen Region der Ui-
guren Xinjiang in China und aus Peru. Das
Team nahm aber auch jüngere Fundstücke
unter die Lupe, etwa Stoffe aus der Bestat-
tung von Königin Editha, die auf das zehn-
te bis 13. Jahrhundert nach Christus datiert
sind und einem Bleisarg im Dom zu Magde-
burg entnommen wurden. „Die Farben von
manchen Kleidungsstücken der Trocken-
mumien sind zum Teil noch überraschend
brillant, die Proben aus dem Dom hinge-
gen sehen eher braun in braun aus“, berich-
tet die Forscherin.
Für die Messungen mit dem Massen-
spektrometer, etwa so groß wie ein Klein-
wagen, haben die Forscher die Proben in
Kunstharz gebettet und dann in haardün-
ne Scheibchen geschnitten. Nacheinander
untersucht liefern die Scheibchen ein 3-D-
Bild verschiedener Farben im Stoff. Dazu
wird jedes Scheibchen mit einem Laser be-
schossen, um einzelne Moleküle aus der
Probe freizusetzen. Diese Teilchen werden
dann in eine elektrisch geladene Form
überführt, durch eine praktisch luftleere
Röhre beschleunigt und an deren Ende de-
tektiert. Wie schnell sie fliegen, hängt un-
ter anderem von ihrer Masse ab und ver-
rät, um welchen Farbstoff es sich handelt.
Kramell und ihr Team haben die Textil-
proben auf bläuliche Indigo- und rote An-
thrachinon-Farbstoffe geprüft. „Die Me-
thode lässt sich aber auf beliebige Textil-
proben anwenden“, erklärt die Forscherin.
Die Farbstoffe seien ein Indikator für die
technischen Kompetenzen einer Kultur.
Es sei keineswegs trivial, etwa aus den Blät-
tern und Stängeln der Indigopflanze ein
schönes Blau zu machen. Der blaue Farb-
stoff bildet sich nämlich erst durch Enzy-
me und Luftoxidation und ist nicht in Was-
ser löslich. Ähnliches gelte für teures Pur-
pur, gewonnen aus dem Drüsensekret von
Stachelschnecken. Beizenfarbstoffe, etwa
rotes Alizarin und Purpurin aus Pflanzen-
wurzeln, oder das Karminrot aus Cochenil-
le-Läusen, lassen sich wiederum nur mit-
hilfe von Metallsalzen auf Textilfasern
fixieren. Viele der alten Rezepte für Natur-
farben und -stoffe sind heute wieder mo-
dern, denn sie gelten als besonders umwelt-
freundlich. andrea hoferichter


Eine der Proben stammt


aus einem Bleisarg im


Magdeburger Dom


Auch Gene für Geruchssinn und
Haarwuchs beeinflussen, welches
Geschlecht ein Mensch bevorzugt

Die genetischen Wurzeln der Liebe


Zu welchem Geschlecht sich ein Mensch hingezogen fühlt, bestimmt auch sein Erbgut.


Der Einfluss ist aber so vielfältig und komplex, dass sich Homosexualität nicht aus der DNA lesen lässt


90 000 Masernfälle


in sechsMonaten


Die Farben der


Vergangenheit


Wie Forscher das Aussehen
uralter Textilien rekonstruieren

16 HBG (^) WISSEN Freitag,30. August 2019, Nr. 200 DEFGH
FOTO: DOUG MENKE,AFP
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