Süddeutsche Zeitung - 30.08.2019

(Romina) #1

H


underte Zuschauer haben es
sich auf einem Mäuerchen
zwischen Straße und Strand
bequem gemacht und starren
den Hügel hinauf ins Halb-
dunkel, wo sich vom großen Kreisverkehr
schleppend eine kleine Prozession nähert:
an der Spitze in schwarze Spitze gehüllte
Frauen, dahinter ein Priester ganz in Weiß,
und über den Köpfen, auf einem vergolde-
ten Podest inmitten eines Bettes aus
Blüten schwebend: die Jungfrau Maria.
Dumpfe Trommelschläge und die Klän-
ge einer dünn bemannten Blaskapelle be-
gleiten jeden Schritt. Die Gruppe zieht zum
Strand, wo ein Boot aus Reisig in die Fluten
gestoßen wird, das in den Wellen verbren-
nen soll. Spanier und Touristen aus den
Strandhotels klatschen. Die Briten, die in
den umliegenden Siedlungen wohnen, fil-
men. Es riecht streng nach Brennpaste.
Flammen schlagen hoch, Priester, Jung-
frau und Kapelle ziehen unter Trommel-
schlägen davon, während ein honiggelber,
riesiger Mond am Horizont aufsteigt. Über
den endlosen, weiß-gelben Reihenhaus-
siedlungen entlang der Küste, über Pools,
Palmen und schreiende Zikaden geht ein
Feuerwerk nieder. Viva Maria.
Endlich ist mal was los in Orihuela Cos-
ta, 70 Kilometer südlich von Alicante. Ein
bisschen Exotik, spanisches Brauchtum
mit katholischem Dekor. Die Briten sind
begeistert: Die Prozession kommt gut auf
Facebook, was zum Neidischwerden für
die Freunde in Manchester, Bristol und
Sheffield, Eindrücke aus einem Alltag, in
dem die Spanier sonst meist nur als Kell-
ner, Postboten oder Putzfrauen auftau-
chen. Es sind Szenen aus einer Kommune
fern der Heimat, in der die Briten den Ton
angeben. Sie sind in der Mehrheit und die
wahren Einheimischen, mittlerweile.


Die Cafetería Magani oben auf dem Hü-
gel, direkt am großen Kreisverkehr, ist ei-
ner ihrer vielen Treffpunkte, er liegt zwi-
schen irischen Pubs, britischen Makler-
büros, britischen Anwaltskanzleien, engli-
schen Hotels und schottischen Musikknei-
pen. Morgens, wenn die Hitze über der
Stadt liegt, treffen sich hier Jan, Derik,
Brenda und Jean, alle Rentner und – bis
auf Jean – schon eine Ewigkeit hier. Man
duzt sich, man kennt sich in der Communi-
ty. Die Kellnerin stellt Bier und Weißwein-
schorle auf den Tisch. Alkohol ist billig in
Spanien, und der Tag ist lang, keiner von
ihnen hat ein Auto, und wohin sollten sie
auch fahren? „Man sitzt und redet“, sagt
Jan, langweilig sei es hier. Aber vertraut.
Spanien ist Heimat. Oder soll man sa-
gen: Heimat ist das Britannien, das sie mit-
gebracht, mit Sonne und Strand versehen
und eigentlich nie verlassen haben?
Überall in Spanien gibt es solche Kom-
munen: Bewohner aus aller Welt, aber vor
allem viele Briten. Manche dieser Orte sind
ganz in britischer Hand. Und egal, ob man
Sportler, Unternehmer, Kriegsveteranen,
Politaktivisten oder Kneipen besucht, wo-
hin auch immer die Reise durch die große
Community führt, Großbritannien und die
Nachrichten aus der Heimat reisen mit.
Aber mit dem Brexit und einem mögli-
chen No Deal hat sich eine tiefe Unsicher-
heit eingeschlichen in dashappy lifeunter
der Sonne des Südens. Die Fronten verlau-
fen wie daheim, die Debatten gleichen
sich, aber bisher war alles weit weg, irreal
irgendwie. Mittlerweile werden auch die
Brexpats am Mittelmeer, wie überall in Eu-
ropa, nervös: Wie hoch ist der Preis, den sie
zahlen müssen? Nachrichten aus London
werden darauf abgeklopft, was sie für die
Auslandsbriten bedeuten. Der Überra-
schungscoup von Premier Boris Johnson,
das Parlament für Wochen stillzulegen –
ein Aufreger, weil er die Unsicherheit ver-
stärkt. Und weil das Pfund weiter fällt.
Die vier in der Cafetería Magani grüßen
nach links und rechts, sie sind zwischen
siebzig und achtzig, alle Stammkunden.
Das Herz der Runde: Jan Perry, ehemalige
Handelskauffrau, seit 13 Jahren im Land,
Fan britischer Dinnerclubs und spanischer
Zigaretten. Hahn im Korb: Derik Shields,
Ex-Volkshochschullehrer, vor 16 Jahren
eingewandert, spricht fünf chinesische Di-
alekte und lernt gerade einen sechsten, wo-
mit er gern angibt. Außerdem kann er Spa-
nisch. Damit ist er eine Ausnahme unter
den Briten, die sich in Spanien niedergelas-
sen haben. Viele kommen durch, ohne je
die Landessprache zu lernen. Sind die bei-
den ein Paar? „Gott bewahre“, sagt Jan mit
einem Seitenblick auf Derik, „ich hatte seit
20 Jahren keinen Mann und keinen Sex.“
Alterspräsidentin ist Brenda Purnell,
Vorliebe für Modeschmuck in Tierform
und Besitzerin von drei Hunden. „Die sind
besser zu ertragen als Männer.“ Ihr Mann
habe sie, sagt sie, vor 24 Jahren an die Cos-
ta Blanca „verschleppt. Aber der ist lange
tot“. Das Küken, weil erst drei Jahre im
Land und damit noch zu neu für die alten
Geschichten: Jean Hill, schüchtern, ein we-
nig deprimiert. Gekommen war sie, weil
auch die Tochter übersiedelt war, aber
man sieht sich leider selten. Sie wird später
nicht mit aufs Foto wollen, sie schämt sich,
weil sie zurück will, sobald das Haus wie-
der verkauft ist.
Die Themen am Tisch: der Müll, der gro-
ße Rohrbruch vor Kurzem, die Taxis, die
früher immer vor dem Magani standen,
aber jetzt vor dem neuen Einkaufszen-
trum die Kundschaft abfangen. „Zwei Stun-
den habe ich gestern auf ein Taxi gewar-
tet“, sagt Jan. „Zwei Stunden!“ Die vier
schimpfen über ihr Gastland. Sie sind
schließlich Patrioten. Immer noch. Jan
über Brenda: „Sie ist eine wahre Britin, sie
hasst es hier.“ Jan über Jean: „Sie vermisst
ihre Freunde, sie vermisst England, es ist
ihr zu heiß hier.“ Sie lesen englischsprachi-
ge Lokalzeitungen, essen englisches Es-
sen, schauen BBC, sind überzeugte Tories.


Aber zurück? Gott bewahre. Brenda war
seit Jahren nicht mehr in Großbritannien.
„Was soll ich da?“
Zwischen 800 000 und einer Million Bri-
ten leben in Spanien, genau weiß das nie-
mand. Nur etwa 300000 haben sich bisher
bei den Behörden offiziell registrieren las-
sen, sie zahlen Steuern im Land und
können, ohne Zuzahlung, das spanische
Gesundheitssystem nutzen. Der Rest ist
einfach da, EU-Reisefreiheit, EU-Nieder-
lassungsfreiheit und die EU-Gesundheits-
karte, für Notfälle im Urlaub gedacht, ma-
chen es möglich. Für einige ist die Ferien-
wohnung zur Dauerlösung geworden. An-
dere treten die Flucht an, wenn es zu heiß
wird. „Schwalben“ heißen die, die pendeln.
Brexpats – das sind die, die gekommen
sind, um zu bleiben.
Eine knappe Million, das sind dreimal
so viele Briten, wie umgekehrt Spanier im
Königreich leben und mehr Briten als in al-
len anderen EU-Ländern zusammen. Spa-
nien ist das Lieblingsziel britischer Rent-
ner, mehr als hunderttausend sind hierher
gezogen. Die Gründe sind immer die glei-
chen: das Wetter, die Lebenshaltungskos-
ten, die Gemeinschaft. Wer hier Anschluss
sucht, findet ihn. Es gibt jede Menge kon-
taktfreudige Nachbarn, ein reges Vereins-
leben, Gin Tonic, Fish ’n’ Chips. Und 300
Sonnentage im Jahr on top.

Der EU-Austritt sei schon okay, finden
Jan und Brenda: zu viele Immigranten in
England, zu viel Bürokratie in Brüssel.
Aber: „Wenn das heißt, dass ich hier weg
muss, dann starten wir eine Revolution.
Eine Revolution!“ Die spanische Regie-
rung hat zugesichert, dass die Rechte der
Briten unangetastet bleiben, wenn London
mit den spanischen Bürgern im König-
reich ebenso verfährt. „Wäre ja auch noch
schöner“, sagt Derik. „Wir finanzieren hier
in der Gegend schließlich mit unserem
Geld den ganzen Laden.“ Aber der Deal mit
Brüssel ist tot. Johnson steuert auf den
Crash zu.
No Deal? Schon seit dem Referendum
2016 fiel der Wert des Pfunds stetig, aber
jetzt stürzt er regelrecht ab. Jans Rente von
umgerechnet etwas mehr als 1000 Euro
war im Juli nur noch 950 Euro wert.
„Nächsten Monat werden es vielleicht 920
sein“, sagt sie. Das tut weh. Außerdem hat
London angekündigt, dass man den freien
Personenverkehr, den die EU garantiert,

nach No Deal aussetzen werde. Das bedeu-
tet: scharfe Kontrollen, EU-Bürger könn-
ten nicht mehr problemlos auf die Insel rei-
sen und dort leben. Dann dürfte Madrid
umgekehrt auch die Regeln verschärfen.
Vieles, sehr vieles könnte komplizierter
werden für die Briten in der EU, wenn John-
son ernst macht. Sie müssten dann wohl,
wie alle Bürger von Drittstaaten, immer
nach 90 Tagen für drei Monate ausreisen.
Haustiere müssten bei der Einreise in Qua-
rantäne, weil der EU-Haustierpass nicht
gilt. Die automatische Rentenerhöhung,
die auch im Ausland gilt, würde gestoppt.
Das Pendeln würde schwieriger. Es war bis

jetzt ja fast wie Busfahren: Jede Stunde ein
Flieger. Und: Nach No Deal müssten Briten
in der EU für Arztbesuche und Operatio-
nen bezahlen. Das wird teuer.
Der scheidende britische Botschafter in
Spanien, Simon Manley, hat seine Mitbür-
ger kürzlich in einer Abschiedsbotschaft
dringend aufgefordert, sich in Spanien an-
zumelden, um Bleiberecht und kostenlose
Krankenversicherung nicht zu verlieren.
„Das ist meine letzte Botschaft an Sie!“ Vor
Jahresfrist hatte er noch beteuert, man ge-
he nicht von einem harten Brexit aus. Die
Botschaft hatte Dutzende Informations-
veranstaltungen abgehalten über Führer-

scheine, Steuern, Niederlassungsrechte.
Alles Makulatur.
Er könne sich ein Leben in England gar
nicht mehr vorstellen, sagt Derik. Sie kön-
ne sich ein Leben in England heute gar
nicht mehr leisten, stöhnt Jan. Britische
Renten gehören zu den niedrigsten in Euro-
pa. In Spanien könne sie „Steaks kaufen,
essen gehen. Zigaretten kosten hier die
Hälfte“. Kleine Häuser, drei Zimmer,
Küche, Bad, Terrasse, manchmal mit Pool,
kosten hier zwischen 80 000 und 150 000
Euro. Damit käme Brenda mit ihrer Rente
von 800 Pfund hin, die sie als Kneipenwir-
tin angespart hat. In der alten Heimat kä-
me sie damit nicht weit. „Ich will nicht weg.
Aber ich könnte auch gar nicht weg“, sagt
sie, „selbst wenn ich wollte.“

Die Briten kommen und bleiben, trotz
des sinkenden Pfunds, trotz der Unsicher-
heit. Immer noch. Seine internationale
Kundschaft setze darauf, dass die Haus-
preise an der Küste demnächst drastisch
sinken, weil die Brexpats heimgehen, sagt
Immobilienmakler Jamie Percival, der
sein Büro in der Nähe der Cafetería Magani
hat. In der Finanzkrise 2008 hatten viele
Briten, die ihre Hypotheken nicht mehr
zahlen konnte, einfach ihre Häuser abge-
schlossen und den Schlüssel bei der Bank
in den Briefkasten geworfen. Aber jetzt:
„Business as usual. Sie kommen, sie kau-
fen. Eher mehr als weniger.“
Viele Brexpats sympathisieren mit dem
Austritt aus der EU. Obwohl er ihnen scha-
det. Und obwohl sie doch weit weg sind von
den tatsächlichen oder behaupteten Pro-
blemen in der alten Heimat. Es ist eine Hal-
tung, der man auch in Großbritannien stän-
dig begegnet: Ich finde den Brexit gut und
ignoriere, dass er negative Auswirkungen
auf mein Leben haben könnte.
In der Calle de la Paz trifft sich der Vor-
stand der Royal British Legion, des Vetera-
nenverbandes. An der Wand hängt ein Ge-
wehr. Allein in der Provinz Alicante hat der
Verband 1500 Mitglieder. Es gibt Organisa-
torisches zu bereden, aber die News von
der Insel lassen sich nicht ignorieren.
Schließlich kümmert sich der Verband
auch um Versehrte und Bedürftige, spen-
det Rollstühle oder Treppenlifte. Werden
künftig die Renten auch im Ausland ausge-
zahlt, wie ist das mit Versorgungsansprü-
chen von Angehörigen, von Kriegsverletz-
ten? So viele Fragen.

Kevin Reardon, 71, Vorsitzender und ehe-
maliger Soldat, ist Remainer. Aber die an-
deren sind Leave-Fans. Eddie Coleman, 74,
Reservist und Fundraiser der Gruppe, fin-
det Johnsons Taktik super, „der Mann tut
nur, was nötig ist“. Die Brexit-Gegner im
Parlament sind in seinen Augen Verräter.
Raus ist richtig, da sind sie sich einig, „oh-
ne Wenn und Aber“. Sie wollen keine politi-
sche Union, keine illegalen Einwanderer,
keine Fremden, die den Briten auf der Ta-
sche liegen. Obwohl sie selbst Immigran-
ten in Spanien sind – und Profiteure der eu-
ropäischen Idee? Eddie kann es nicht selt-
sam finden, wenn jemand in der EU lebt
und trotzdem gegen die EU stimmt. „Ich le-
be nicht in der EU, die EU ist kein Land. Ich
lebe in Spanien“, sagt er.
Kognitive Dissonanz nennt man das in
der Psychologie: Wahrnehmungen und Er-
kenntnisse, die sich widersprechen, wer-
den mit Selbstbetrug überdeckt, Realitä-
ten verdrängt. Es ist ja auch schwer zu ver-
stehen: Ausländer, die als wohlgelittene
Dauergäste mit vielen Vorteilen in einem
EU-Land leben, können nicht wollen, dass
Großbritannien aus der EU austritt. Oder?

Bei „Eurocitizens“, „Brexpats in Spain“
oder „Bremain in Spain“ wundern sie sich
auch. Brexit? Ein Irrsinn. Sie sind dagegen.
Das gemeinsame Ziel der Initiativen, Face-
bookgruppen und Politaktivisten ist dabei
so idealistisch wie eigennützig: „Wir set-
zen uns dafür ein, dass Großbritannien in
der EU bleibt und die Rechte britischer Mi-
granten in Spanien geschützt werden“,
heißt es bei Bremain.
Vereinschefin Susan Wilson hört sich
täglich die Sorgen ihrer Landsleute an. „Je-
der, der hier für Leave gestimmt hat, und
das war ganz bestimmt die Minderheit,
weiß zu wenig oder glaubt immer noch,
das werde alles nicht so schlimm.“ Über die
jüngsten Nachrichten aus London ist sie
entsetzt. Johnson will das Parlament kalt-
stellen, um seinen No Deal durchzupeit-
schen, fürchtet sie. „Genauso, wie die Re-
gierung uns Briten im Ausland von der De-
batte über den Brexit ausgeschlossen und
unsere Interessen ignoriert hat, so schließt
sie jetzt die Abgeordneten aus.“
Was tun? Einen Pass beantragen? Spani-
er werden? Madrid verbietet die doppelte
Staatsbürgerschaft, das wäre also ein Ent-
weder-oder. Für die meisten Briten un-
denkbar.
Andy Theaker und Sharon Whyler leben
in Dolores, einem Dorf in der staubigen
Ebene hinter dem Meer. Ihr Geld verdie-
nen sie mit einem Parkplatz für Wohn-
mobile, die ihre Besitzer abstellen, wenn
sie außer Landes sind. Die beiden hassen
den Gedanken, dass ihr Leben, das friedli-
che Zusammenleben, das unkomplizierte
Geldverdienen, die Freunde in Spanien
und die Eltern in England gefährdet sind
durch „diesen Hass auf Ausländer, auf Mi-
granten, dieses Anti-Muslim-Ding“. Bre-
xit, sagt Sharon, sei „doch nur die Besessen-
heit von Briten, die glauben, Ausländer
nähmen ihnen die Jobs weg“. Und John-
sons Politik mache alles nur noch schlim-
mer. Andy ist wirklich wütend. „Er zerstört
die Demokratie.“
Von ihrem Haus aus sieht man in der Fer-
ne eine karstige Bergkette, der Garten: ei-
ne Ansammlung von Töpfen mit Kakteen.
Tristesse mit Ausblick, die Nachbarschaft
besteht auch hier vor allem aus Briten. Wie
die nach Dolores gekommen sind? „Keine
Ahnung.“ Die meisten sind Leaver. „Irre,
oder? Wie kann man sich freiwillig selbst
in den Fuß schießen?“ Sharon hat die
schlimmsten Hardliner aus der Nachbar-
schaft auf Facebook geblockt. Auf der Stra-
ße grüßt man sich. Mehr nicht.
Andy und Sharon sind integriert, soweit
man das in ihrer vom Tourismus dominier-
ten Welt sein kann: gehen in spanische
Restaurants, haben spanische Freunde,
zahlen Steuern an den spanischen Staat.
Sie geben sich Mühe – aus Überzeugung. Er
ist sieben, sie acht Jahre im Land. Aber Spa-
nisch sprechen können sie nicht. Und einen
spanischen Pass würden sie nicht wollen.
Er möge die Idee nicht, dass er seine briti-
sche Identität negieren soll, sagt Andy.
Die britische Identität wird entlang der
spanischen Küste begeistert gepflegt, ge-
lebt, zelebriert. Im „Emerald Isle la Flori-
da“, wenige Kilometer nördlich vom Maga-
ni, schwimmen und spielen britische Fami-
lien, es gibt täglich ein Unterhaltungspro-
gramm, Schlager, Charity. An der Bar wer-
den Pimm’s, britische Sommercocktails,
serviert. Gleich neben Pool und Klubhaus
trainiert die Seniorenmannschaft des Eme-
rald Isle Lawn Bowls Club Costa Blanca.
Es hat ungefähr 35 Grad, aber das stört
die alten Herren wenig. Stundenlang spie-
len sie eine Art Boule mit Kugeln, die auf ei-
ner Seite schwerer sind als auf der anderen
und mit Schlagseite rollen. Das erfordert
besondere Finesse beim Zielen mit dem
„Holz“ auf den „Jack“, wie das hier fach-
männisch heißt. Es gibt Dutzende Bowls-
Teams entlang der Küste. Weiß zu tragen
ist Pflicht, über Politik zu reden erlaubt.
Auf dem Grün stehen Remainer, Leaver,
Nicht-Wähler, gestritten wird freund-
schaftlich. Immerhin.
Ein Mitspieler sagt, dass er vor dem Bre-
xit-Datum, dem 31. Oktober, keinen Ter-
min bei der Stadtverwaltung bekommen
habe, um sich registrieren zu lassen, alles
ausgebucht. Allgemeine Zustimmung: Ja,
zu spät, leider, hätte man früher machen
müssen, dumm gelaufen, aber es werde
schon nicht so heiß gegessen, wie es ge-
kocht wird. „Dann musst du heim und
kannst uns nicht mehr die Spiele versau-
en“, scherzt einer.
Mel O’Dell, der Teamwart, schaut in die
Gesichter seiner Freunde und sagt schließ-
lich etwas, worauf sich alle einigen kön-
nen: „Egal wie es ausgeht: Bringt es zu En-
de. Irgendwie. Aber schnell.“

No Deal, und dann? Einen Pass
beantragen,Spanier werden?
Für die meisten undenkbar

Langsam merken sie, dass vieles
komplizierter werden könnte.
Vor allem das mit dem Hundepass

Fremde wollen sie in England
nicht. Dass sie selbst Immigranten
in Spanien sind: so what

Klar vermisst sie England.


Aber zurückgehen?


Gott bewahre. „Was soll ich da?“


Little Britain


Hunderttausende Engländerwohnen in Spanien, schauen BBC, essen Fish ’n’ Chips


und leben bestens in und von der EU. Für den Brexit haben trotzdem viele gestimmt.


Was Boris Johnson jetzt treibt, macht sie aber doch nervös


von cathrin kahlweit


Dass Boris Johnson das Parlament für Wochen stilllegen will,
istfürDerik Shields, Jan Perry, Brenda Purnell (von li.)
und viele Brexpats in den Bettenburgen Spaniens nicht so toll.
Vor allem, weil das Pfund immer weiter fällt.FOTOS: REUTERS, CK

DEFGH Nr. 200, Freitag, 30. August 2019 (^) DIE SEITE DREI 3
Gekommen, um zu bleiben: Die Briten lieben die Costa Blanca. Das Leben ist bezahlbar, und es gibt 300 Sonnentage im Jahr. FOTO:PABLO BLAZQUEZ DOMINGUEZ / GETTY IMAGES

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