Süddeutsche Zeitung - 30.08.2019

(Romina) #1
Brasília– Angesichtsder verheerenden
Waldbrände in Brasilien will die Regierung
das Abbrennen von Flächen während der
Trockenzeit verbieten. Für einen Zeitraum
von 60 Tagen sollen zunächst keine Feuer
mehr gelegt werden dürfen, heißt es brasili-
anischen Medienberichten vom Mittwoch
(Ortszeit) zufolge in einem entsprechen-
den Dekret. Ausnahmen sollen aber für in-
digene Gemeinden gelten, die Selbstversor-
ger seien. Das Dekret sollte am Donnerstag
im Amtsblatt veröffentlicht werden. Beob-
achter halten das Dekret für ein Ablen-
kungsmanöver, da es schon strenge Geset-
ze zu Waldschutz und Brandrodung gebe,
sie aber nicht immer angewendet würden.
Das ganze Amazonasgebiet leidet derzeit
unter Waldbränden. Nach jüngsten Anga-
ben der brasilianischen Weltraumagentur
INPE ist die Zahl der Feuer und Brandro-
dungen im Vergleich zum Vorjahreszeit-
raum um 77 Prozent gestiegen. dpa, sz

New York– Die USA haben in der „Tanker-
krise“ laut einem Medienbericht militäri-
sche Computersysteme Irans mit einer Cy-
berattacke lahmgelegt. Der Angriff auf
Kommunikationsnetze der Iranischen Re-
volutionsgarden sei bereits am 20. Juni er-
folgt, berichtete dieNew York Timesam
Mittwoch (Ortszeit). Mit der Cyberattacke
habe die Regierung in Washington irani-
sche Angriffe auf den internationalen
Schiffsverkehr in der Straße von Hormus
verhindern wollen. Laut der Zeitung arbei-
tet Iran noch immer daran, seine digitale
Infrastruktur ganz wiederherzustellen.
Die USA und Iran führen seit Langem ei-
nen inoffiziellen Cyberkonflikt. Von Seiten
Irans habe es regelmäßig Angriffe auf US-
Regierungsnetze und die digitale Infra-
struktur von US-Unternehmen gegeben,
heißt es in dem Medienbericht unter Beru-
fung auf amerikanische Regierungsbeam-
te. dpa

Helsinki– Die Bundeswehr muss sich vor-
erst nicht auf einen Marineeinsatz vor der
Küste Irans einstellen. Bundesaußenminis-
ter Heiko Maas sagte am Donnerstag bei ei-
nem EU-Treffen in Helsinki, sein Vor-
schlag für eine EU-Mission zum Schutz
des Schiffsverkehrs in der Straße von Hor-
mus müsse erst einmal im Lichte der Er-
gebnisse des G-7-Treffens in Biarritz be-
wertet werden. Alles, was zur Deeskalation
in der Krise mit Iran beitragen könne, sei
jetzt hilfreich. Bundesverteidigungsminis-
terin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte:
„Wir wollen auf der einen Seite die Freiheit
der Seewege gewähren, aber auf der ande-
ren Seite haben wir ein besonderes diplo-
matisches Interesse mit Blick auf den
Atomvertrag, den es mit dem Iran gibt.“
Die USA teilten mit, ihre Militärmission in
der Straße von Hormus sei angelaufen.
Kräfte aus Großbritannien, Australien und
Bahrain seien beteiligt. dpa

von isabel pfaff

Bern– Die jüngere Schweizer Geschichte
istarm an Gewalt. Seit Mitte des 19. Jahr-
hunderts herrscht im Großen und Ganzen
gesellschaftliche Kontinuität, aus den Welt-
kriegen hielt sich die neutrale Eidgenossen-
schaft weitgehend heraus und auch sonst
gelten die Schweizer als friedliebend und
kompromissorientiert. Auch deshalb ist
der Jura-Konflikt ein merkwürdiges Kapi-
tel in der Geschichte des Landes: ein Jahr-
zehnte alter Kampf einer Schweizer Regi-
on um Unabhängigkeit, oft gewaltsam aus-
getragen – und in seiner Gesamtheit bis
heute nicht gelöst. Nun hat das Verwal-

tungsgericht des Kantons Bern am Don-
nerstag entschieden, dass die jüngste Ab-
stimmung in der Jura-Frage nicht gültig
ist. Der alte Kampf geht also in eine neue
Runde.
Dabei hatte es schon 1979, vor 40 Jah-
ren, so ausgesehen, als sei der Jura-Kon-
flikt beendet – und zwar, typisch schweize-
risch, mit Hilfe von direktdemokratischen
Instrumenten. Kurz zuvor hatte das Volk in
einer Abstimmung ja gesagt zur Gründung
eines neuen Kantons namens Jura. Das Ge-
biet hatte zuvor zum Kanton Bern gehört,
obwohl das historisch nicht so recht pass-
te: Der Schweizer Jura ist mehrheitlich
französischsprachig und katholisch, Bern

eher deutschsprachig und reformiert. Seit
die Jurassier 1815 einfach dem Kanton
Bern unterstellt wurden, schwelte deshalb
die Unzufriedenheit.
Mitte des 20. Jahrhunderts eskalierte
die Spannung: Als einem jurassischen Ber-
ner Regierungsmitglied ein wichtiges Mi-
nisterium verweigert wurde, schlossen
sich radikale Kräfte aus dem Jura zu einer
separatistischen Bewegung zusammen.
Insbesondere die militante Jugendorgani-
sation „Béliers“ (Widder) hielt die Schweiz
in den Sechziger- und Siebzigerjahren mit
lauten Störaktionen, Randale bei Politiker-
auftritten und sogar Sprengstoffanschlä-
gen in Atem. Schließlich gab Bern nach.

Der Kanton ließ die sechs jurassischen Be-
zirke darüber abstimmen, ob sie einen Kan-
ton Jura gründen wollten. Die drei nördli-
chen Bezirke sagten deutlich ja, die drei
südlichen lehnten ab. Es folgte noch ein
bundesweites Votum, und dann, 1979, die
Kantonsgründung. Nur: Die südliche Hälf-
te des Jura gehörte weiterhin zu Bern. In
den Augen der Pro-Jurassier war das Ziel al-
so nur halb erreicht.
Und so beschäftigte die Jura-Frage die
Schweiz weiter. Es gibt bis heute eine Sepa-
ratistenbewegung, das Mouvement auto-
nomiste jurassien (MAJ), und auch die „Bé-
liers“ existieren weiter, getragen von einer
neuen Generation Jugendlicher, die das

Ziel eines vereinigten, unabhängigen Jura
ähnlich leidenschaftlich vertreten wie ihre
Eltern und Großeltern.
1993 starb ein junger Separatist in der
Berner Innenstadt, als der Sprengsatz ver-
früht explodierte, der für das Berner Rat-
haus gedacht war. Da schaltete sich die
Schweizer Bundesregierung ein und nahm
noch einen Anlauf zur Lösung des Kon-
flikts. Sie initiierte die interjurassische Ver-
sammlung, eine Gesprächsplattform zwi-
schen den beiden betroffenen Kantonen,
die Lösungen erarbeiten sollte. In den fol-
genden Jahren fanden wieder Abstimmun-
gen statt, auf kantonaler und kommunaler
Ebene. Am Status Quo änderten sie wenig,
die Bewohner des Berner Jura wollten ih-
ren Kanton mehrheitlich nicht verlassen.

Bis auf eine Ausnahme: Von drei bernju-
rassischen Gemeinden, die 2017 einzeln
über ihre Zugehörigkeit abstimmten, ent-
schied sich eine, mit hauchdünner Mehr-
heit, für den Jura – Moutier. Das war nicht
unbedingt verwunderlich, in Moutier, ei-
nem Städtchen von etwa 7500 Einwohnern
an der Kantonsgrenze, nahm die Separatis-
tenbewegung einst ihren Anfang, hier re-
gieren schon lange pro-jurassische Bürger-
meister. Und doch gilt rund die Hälfte der
Bevölkerung als berntreu.
Als die Abstimmung im Juni 2017 für
den Jura ausging, reichten berntreue Krei-
se mehrere Beschwerden ein. Unter ande-
rem kritisierten sie, dass die Gemeinde,
die die Abstimmung organisierte, sich
über ihren Bürgermeister sehr deutlich po-
sitioniert habe. Mehr als ein Jahr später, im
November 2018, erklärte die Regierungs-
statthalterin, Vertreterin der Berner Regie-
rung auf Bezirksebene, die Abstimmung
für ungültig. Der Aufschrei im Jura-Lager
war groß – und der Konflikt, nun herunter-
gebrochen auf eine einzige Gemeinde, wie-
der so präsent wie 1979.
Als der Jura im Juni dieses Jahres sein
40-jähriges Bestehen feiert und jeder Kan-
ton eine Fest-Delegation entsendet, ent-
scheiden sich die Berner Regierungsvertre-
ter, lieber zu Hause zu bleiben. Die Sicher-
heitsbedenken sind zu groß.
Jetzt hat das Berner Verwaltungsgericht
den Entscheid der Regierungsstatthalterin
bestätigt. Und Moutier? Hängt weiter zwi-
schen den Welten. Die Separatisten sind er-
bost, bezeichnen das Urteil als politisch,
das Gericht sei ja schließlich ein berni-
sches. Sie haben noch nicht entschieden,
ob sie den Fall bis vors Bundesgericht zie-
hen oder noch einmal abstimmen lassen.
Fest steht: Dieser untypische Schweizer
Krimi wird weitergehen.

Wien– Unverwechselbar wollen die Partei-
enim österreichischen Wahlkampf sein,
doch nun setzen ausgerechnet die Kontra-
henten Sebastian Kurz von der ÖVP und
Herbert Kickl von der FPÖ auf denselben
Wahlslogan: „Einer, der unsere Sprache
spricht“, steht auf einem diese Woche vor-
gestellten Plakat, das den Ex-Kanzler Kurz
beim Wandern im zwanglosen Austausch
mit zwei Bürgerinnen zeigt. Mit eben die-
sem Spruch wird aber auch Ex-Innenminis-
ter Kickl in der Social-Media-Kampagne
der FPÖ auf einem Foto im Gespräch mit
zwei Polizisten präsentiert. Nun werfen
sich die beiden Parteien, deren Koalition
im Mai wegen des Ibiza-Videos krachend
gescheitert war, gegenseitig vor, vom ande-
ren abgekupfert zu haben.


Tatsächlich ist Kickl mit diesem Slogan
schon ein paar Tage vor der ÖVP-Plakatvor-
stellung online gegangen. FPÖ-Generalse-
kretär Christian Hafenecker wirft den Kon-
trahenten deshalb einen „schamlosen“
Ideen-Diebstahl vor. „Nachdem Sebastian
Kurz im letzten Wahlkampf und auch jetzt
wieder die FPÖ-Themen kopiert hat, neh-
men seine Werber nun sogar deutliche An-
leihen bei FPÖ-Slogans“, erklärt er. ÖVP-
Generalsekretär Karl Nehammer kontert,
dass die ÖVP-Plakate schon lange vor der
FPÖ-Kampagne gedruckt gewesen seien.
Seine Erklärung: Es gebe nur eine Drucke-
rei im Raum Wien, die solche großflächi-
gen Plakate drucken könne – und eben-
dort habe die FPÖ wohl die ÖVP-Poster ge-
sehen und sogleich für ihre Kampagne ge-
klaut.
Da geht es also auf beiden Seiten wieder
mal um die ganz große Verschwörung, da-
bei ist der Slogan in Wahrheit weder origi-
nell noch neu. Schon vor 20 Jahren hatte
der FPÖ-Urvater Jörg Haider mit Ähnli-
chem geworben, das Copyright bean-
sprucht Haiders damaliger Verseschmied
Kickl. Auch der frühere FPÖ-Chef Heinz-
Christian Strache war schon vorgestellt
worden als „Der Einzige, der unsere Spra-
che spricht.“
Jenseits des aktuellen Streits könnten
die Protagonisten der Sache allerdings
auch am Ende noch etwas Positives abge-
winnen. Denn wenn Kurz und Kickl die glei-
che Sprache sprechen, könnte das nach der
Wahl die Verständigung auf eine neue Koa-
lition erleichtern. peter münch


München– Die Fassaden der Lehmhäuser
sind verkohlt, ein Geländewagen brennt,
als das Video aufgenommen wird. Zu se-
hen ist ein Dorf ohne Menschen. In Ogossa-
gou nahe der Grenze zu Burkina Faso fie-
len am 25. März in der Morgendämmerung
bewaffnete Männer ein und ermordeten
157 Menschen, Angehörige der Fulani, ei-
ner ethnischen Gruppe in der Sahelzone
und muslimischen Minderheit.
Für das blutige Massaker von Ogossa-
gou machten die Behörden die Dogon-
Volksgruppe verantwortlich. Es gilt als bis-
heriger Höhepunkt einer Reihe ethnischer
Kämpfe in Zentralmali. Präsident Ibrahim
Boubacar Keïta sagte, er habe gedacht, was
er in Ogossagou gesehen hat, sei der Tief-
punkt gewesen. Doch die Gewalt nahm
kein Ende: Wieder überfielen Milizen Dör-
fer, ermordeten Dutzende. Auf die Massa-
ker folgten stets Vergeltungsmorde.
In diesem Jahr verging kaum ein Monat
ohne Blutbad. Die Zahl der Binnenvertrie-
benen in der Region war zwischen 2018
und 2019 von 18000 auf 70 000 gestiegen.
Anfang August einigten sich Fulani und Do-
gon auf einen Friedensvertrag. Dass die Ge-
meinschaften ihren blutigen Konflikt nun
ruhen lassen, ist jedoch Wunschdenken
der Regierung. Bereits 2018 waren Abkom-
men geschlossen worden, welche die To-
ten von Ogossagou nicht verhindern konn-
ten. Kürzlich wandte sich deshalb Außen-
minister Tiébilé Dramé mit einem Appell
an den UN-Sicherheitsrat: Die Mission Mi-
nusma, an der sich auch die Bundeswehr
beteiligt, müsse ausgeweitet werden.
Die Konflikte zwischen den Volksgrup-
pen sind inzwischen ebenso zur Sicher-
heitsbedrohung für den Staat geworden
wie die Sezessionsbestrebungen der ab-
trünnigen Tuareg und der Kampf gegen

die Islamisten, die den Vielvölkerstaat läh-
men. Zudem überschneiden sich die Kon-
flikte zwischen ethnischen Gemeinschaf-
ten, zwischen Islamisten und der Regie-
rung und zwischen bewaffneten Milizen.
Die Spannungen gehen auf Machtkämp-
fe zwischen Hirten und Bauern zurück.
Von den 40 Millionen Fulani sind etwa ein
Viertel Viehhirten. In Zentralmali leben zu-
dem Dogon und Bambara. Weil die Dogon-
Bevölkerung wächst, steigt ihr Bedarf an
Weideflächen und Wasser. Dass Hirten
und Bauern im Kampf um knapper wer-
dende Ressourcen ganze Dörfer auslö-
schen, greife als Erklärung allerdings zu
kurz, meint Andrew Lebovich vom Euro-
pean Council on Foreign Relations (ECFR).

Vielmehr gehe es dabei um politische Re-
präsentation. Der Klimawandel und Waf-
fen, die durch den Bürgerkrieg in Umlauf
kamen, verschärften den Konflikt.
Die schlechte Sicherheitslage geht auf
das Jahr 2012 zurück, als eine Koalition aus
Rebellen, radikalen Islamisten und Tuareg-
Separatisten erfolgreich das Territorium
im Norden eroberte. Sie erklärten die Unab-
hängigkeit des Azawad, des Nordens. Die
militanten Islamisten wussten die Abwe-
senheit des Staates auszunutzen und brei-
teten sich im dicht besiedelten Landesinne-
ren aus. Innerhalb eines Jahres wurde dort
ein Anstieg der Gewalt um mehr als 600
Prozent dokumentiert. Heute gilt Mali als
Rückzugsort für Islamisten aus der gesam-
ten Sahelregion und Westafrika.
Mali droht der Staatszerfall, und die Re-
gierung trägt daran Mitschuld. Angesichts
der eigenen schwachen Armee unterstütz-
te sie Milizen, die die Islamisten zurück-
drängen sollten. Der Pragmatismus erwies
sich als gefährlich. Der Staat habe in Nord-
und Zentralmali schon immer mithilfe von
Stellvertretern regiert, sagt Lebovich. Die-
se aber sind abhängig von bewaffneten
Gruppen. Der Staat unterstützt also indi-
rekt die Milizen, die nun die Bevölkerung
terrorisieren, um seinen Einfluss in um-
kämpften Regionen durchzusetzen. „Die
Strategie hatte das Ziel, die Gewalt einzu-
dämmen“, sagt Lebovich. Nur funktioniert
habe das nicht. Bei dem Versuch, die Krise
im Norden zu lösen, trug die Regierung da-
zu bei, die Gewalt zu verlagern. Im April de-
monstrierten 15 000 Malier in der Haupt-
stadt Bamako gegen die Untätigkeit der Re-
gierung. Zwar versprach Präsident Keïta
mehr Sicherheitskräfte. Doch das Dilem-
ma des Staates offenbart einmal mehr des-
sen Schwäche. anna reuß

Einst war sie bei Bern, seit 1979 gehört die Gemeinde Les Breuleux zum französischsprachigen Kanton Jura. FOTO: FLAURAUD/KEYSTONE/DPA

Brasilien limitiert Zeit


für Brandrodungen


Bericht über


Cyber-Attacke auf Iran


Maas stellt Bedingungen


für Einsatz am Golf


Demonstranten in Mali errichten eine
Straßenblockade. FOTO: MICHELE CATTANI/AFP

Der Spruch ist allerdings


weder originell noch neu


8 HMG (^) POLITIK Freitag,30. August 2019, Nr. 200 DEFGH
Schweizer Krimi
Zerrissenzwischen Kanton Bern und Kanton Jura: Ein Gericht hat nun entschieden, dass die Stadt
Moutier vorerst bei Bern bleibt. Über einen jahrzehntelangen Konflikt, der noch längst nicht vorbei ist
Zwei Parteien,
ein Slogan
„Einer, der unsere Sprache spricht“,
so werben FPÖ und ÖVP für sich
Die Separatisten sind erbost,
bezeichnen das Urteil als politisch.
Das Gericht sei ja ein bernisches
Gefährlicher Pragmatismus
Mali setztim Kampf gegen Islamisten auf Milizen – die Gewalt nimmt dadurch eher zu
brand eins. Das Magazin für alle,
die ihr Leben selbst gestalten.
Jetzt im Handel oder unter kiosk.brandeins.de

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