Süddeutsche Zeitung - 30.08.2019

(Romina) #1
von alan cassidy

Washington– Plötzlich diese Übersicht,
zumindest ein Stück weit: Das Feld der de-
mokratischen Präsidentschaftskandida-
ten, die gegen den Republikaner Donald
Trump antreten wollen, beginnt sich zu
lichten. In der Nacht zum Donnerstag lief
die Frist ab, bis zu der die Bewerber gewis-
se Kriterien erfüllen mussten, um sich für
die nächste Fernsehdebatte der Demokra-
ten am 12. September zu qualifizieren. Ei-
nen Platz auf der Bühne hat nur erhalten,
wer erstens mindestens 130000 verschie-
dene Wahlkampfspender vorweisen konn-
te und zweitens in vier verschiedenen Mei-
nungsumfragen mindestens zwei Prozent
Zustimmung erreichte.

Diese Hürden waren zwar alles andere
als hoch. Aber sie waren doch hoch genug,
um für ein klareres Bild zu sorgen: Zur
nächsten Fernsehdebatte von ABC News
werden nach dem jetzigen Stand bloß noch
zehn Demokraten erscheinen, um sich zu
präsentieren. In den ersten beiden Runden
waren es noch doppelt so viele Teilnehmer
gewesen, sie mussten sich daher auf zwei
Abende verteilen.
Froh über diese Lichtung des Feldes
sind besonders die etablierten Kandida-

ten. Von den bis dahin zahlreichen Außen-
seitern wird einzig noch der Unternehmer
Andrew Yang dabei sein. Bei den übrigen
Teilnehmern handelt es sich um die be-
kannten Namen der Demokraten, das
heißt vor allem: der frühere Vizepräsident
Joe Biden, die Senatoren und Senatorin-
nen Elizabeth Warren, Bernie Sanders und
Kamala Harris, Bürgermeister Pete Butti-
gieg oder Ex-Minister Julián Castro. Damit
startet nun so etwas wie die zweite Phase
des demokratischen Wahlkampfs um die
Nominierung – eine Phase, in der sich her-
ausschälen dürfte, in welche Richtung sich
die Demokratische Partei im Hinblick auf
die ersten Vorwahlen im kommenden Fe-
bruar bewegt.
Zwar steht es jedem Demokraten frei, so-
lange an seiner Bewerbung festzuhalten,
wie er oder sie es will. Doch wer die gestri-
ge Deadline verpasst hat, der wird es sehr
schwierig haben, weiterhin Spenden sam-
meln zu können. Denn alle mediale Auf-
merksamkeit richtet sich nun auf jene Leu-
te, die am 12. September in Houston auf
der Bühne stehen werden. Ohne Bericht-
erstattung gibt es aber kaum Spenden,
und ohne Spenden lassen sich keine Wahl-
kampfmitarbeiter beschäftigen, keine An-
zeigen und Werbespots schalten, über-
haupt lässt sich kein richtiger Wahlkampf
betreiben.
Zu diesem Schluss kam nun Kirsten Gil-
librand, die Senatorin aus New York, die als
eine der ersten Demokratinnen in den Prä-
sidentschaftswahlkampf eingestiegen

war. Sie zog ihre Bewerbung am Mittwoch
zurück, nachdem klar wurde, dass sie die
Qualifikation für die kommende Fernseh-
debatte verpassen würde. In den US-Medi-
en waren Gillibrand zunächst durchaus
Chancen eingeräumt worden, weil sie mit
ihrem Fokus auf Frauenrechten und
Gleichstellungsthemen eine Nische zu be-
setzen versuchte. Ihre Umfragewerte blie-
ben aber stets mickrig, und Trump kom-
mentierte ihren Rückzug nun mit einem
hämischen Tweet. Bereits vergangene Wo-
che hatte Jay Inslee, Gouverneur des Bun-
desstaats Washington, seine Kandidatur
abgebrochen. Er hatte sich auf den Kampf
gegen den Klimawandel konzentriert.

Bei den meisten Bewerbern, die nun
nicht zur Debatte antreten dürfen, handelt
es sich allerdings um Vertreter des modera-
ten Flügels der Partei. Progressive bis links-
populistische Wähler haben nach wie vor
eine Auswahl an Kandidaten, die Forderun-
gen wie kostenlose Ausbildung für alle
oder eine staatliche Einheitskrankenkasse
vertreten. Die Hoffnungen der Moderaten
konzentrieren sich hingegen auf den
76-jährigen Joe Biden, den früheren Vize-
präsidenten unter Barack Obama.
Biden führt die allermeisten Umfragen
nach wie vor an – vor Elizabeth Warren

und Bernie Sanders. Das schien sich An-
fang dieser Woche kurzzeitig zu ändern,
nachdem Meinungsforscher der Mon-
mouth University eine Umfrage veröffent-
lichten, die Biden erstmals hinter seinen
Konkurrenten zeigte. In den TV-Studios
diskutierten sie daraufhin zwei Tage lang
fieberhaft, ob nun der Moment gekommen
sei, an dem Biden seine Rolle als Spitzenrei-
ter verliere. Der Appetit der amerikani-
schen Kommentatoren nach einer neuen
Story, nach einem neuen Dreh in diesem
Wahlkampf: er war nicht zu übersehen.
Schließlich setzte sich dann aber doch
noch die Erkenntnis durch, dass die Umfra-
ge mit nur gerade 289 Teilnehmern viel-
leicht doch nicht ganz so aussagekräftig
war. Und in Erhebungen, die kurz darauf
veröffentlicht wurden, lag Biden wieder
vorne.
Merklich groß ist auch das Interesse an
dem Umstand, dass Joe Biden und Eliza-
beth Warren, die beiden Schwergewichte,
bei der nächsten Fernsehdebatte in Hous-
ton erstmals gemeinsam auf einer Bühne
stehen werden – ein „Royal Rumble“, wie
es dasWall Street Journalin Anspielung
auf einen beliebten Wrestling-Showdown
nennt. Warren, die Senatorin aus Massa-
chusetts, ist derzeit vielleicht die Kandida-
tin mit dem größten Auftrieb, sie füllt auf
ihrem Wahlkampf Hallen und Arenen mit
Tausenden von Anhängern. Schlägt sie
sich vor den Kameras im September gegen
Biden gut, werden es vielleicht bald noch
mehr werden.

Tel Aviv– Yair, der Sohn von Israels Premi-
erministerBenjamin Netanjahu, mischt
sich gerne in die Politik ein. Normalerwei-
se zieht er auf Facebook über politische Ri-
valen seines Vaters oder regierungskriti-
sche Organisationen her. Diesmal plauder-
te er aus, sein Vater werde nach der Parla-
mentswahl am 17. September eine Regie-
rung mit der zentristischen Partei Blau-
Weiß bilden.
Bereits als Signal für eine Annäherung
war von Beobachtern gewertet worden,
dass der Regierungschef Anfang dieser Wo-
che erstmals den Spitzenkandidaten von
Blau-Weiß, Benny Gantz, eingeladen hat.
Israel sieht sich von Iran bedroht, die Span-
nungen haben nach Militäraktionen Isra-
els in Syrien und mutmaßlich auch im Irak
und Libanon zugenommen. Die Einladung
Netanjahus brachte Gantz, der vor seiner
politischen Karriere Generalstabschef der
Armee war, in eine Zwickmühle. Anders als
andere Oppositionspolitiker warf Gantz
dem Regierungschef nicht vor, die derzeiti-
ge Sicherheitslage politisch auszunützen.
Andererseits hat Gantz hat erklärt, einen
unter Korruptionsverdacht stehenden Mi-
nisterpräsidenten nicht unterstützen zu
wollen.


Netanjahu scheint sich mit Blick auf die
Umfragen Möglichkeiten für Verhandlun-
gen mit der größten Oppositionspartei
nach der Wahl in knapp drei Wochen nicht
verbauen zu wollen. Denn es könnte sein,
dass keine andere Regierungskonstellati-
on möglich ist. Seine rechtsnationale Li-
kud-Partei und Blau-Weiß hatten im April
jeweils 26 Prozent und 35 Sitze erreicht, Ne-
tanjahus Partei hatte etwas mehr Stimmen
bekommen.
Aber Netanjahu dürfte wie schon nach
der Wahl im April nicht in der Lage sein, ei-
ne Mehrheit für eine rechte Koalition zu-
standezubringen – ohne den Vorsitzenden
der säkular-nationalen Partei Unser Haus
Israel, Avigdor Lieberman. Die rechten
und ultraorthodoxen Parteien, der soge-
nannte rechte Block, kommt ohne Lieber-
mans Partei auf 56 der 120 Sitze in der
Knesset. Der linke Block inklusive Blau-
Weiß kommt nur auf 44 Sitze. Zählt man
die erstarkenden arabischen Parteien der
gemeinsamen Liste dazu, sind es 55 Sitze.
Der ehemalige Verteidigungsminister
Lieberman hatte die Koalitionsverhandlun-
gen mit Netanjahu platzen lassen, weil er
zu viel Einfluss der ultraorthodoxen Partei-
en in der Regierung sah. Bisher sind seine
Stammwähler vor allem russischstämmi-
ge Israelis. Mit seiner religionskritischen
Positionierung gewinnt er Anhänger für


seine Partei. Laut Umfragen könnte seine
Partei die Anzahl ihrer fünf Sitze sogar ver-
doppeln. Damit könnte Lieberman erneut
die Rolle des Königsmachers zukommen.
Lieberman hat bereits kundgetan, dass
er eine Regierung mit Likud und Blau-
Weiß bilden will – auf jeden Fall ohne die ul-
traorthodoxen Parteien. Die große Koaliti-
on wird in Israel Einheitsregierung ge-
nannt. Lieberman spricht von einer „Not-
fall-Regierung, einer national-liberalen
Koalition“. Mit Blau-Weiß hat er bereits ein
Abkommen geschlossen. Es sieht vor, dass
beide Parteien nach der Wahl überschüssi-
ge Stimmen zusammenlegen, um einen
weiteren Knessetsitz herauszuholen. Das
ist möglich durch eine Besonderheit im is-
raelischen Wahlrecht: Wenn für einen Sitz
100000 Stimmen notwendig sind und eine
Partei 120000 Stimmen erhält, bleiben
20000 übrig. Hat eine andere Partei
80 000 übrige Stimmen, können diese zu-
sammengelegt werden und ergeben einen
weiteren Sitz.
Sollte es zu Verhandlungen über eine sol-
che Einheitsregierung kommen, wird Ne-
tanjahu den Anspruch stellen, weiter Regie-
rungschef zu sein. Sein Ziel, David Ben Gu-
rion als am längsten dienenden Minister-
präsidenten des Landes abzulösen, hat er
im Juli bereits erreicht. Lieberman behaup-
tet, viele Politiker des Likud würden „be-
ten“, dass Netanjahu zurücktreten müsse.
Mitten in den Koalitionsverhandlungen
muss Netanjahu am 2. Oktober zu einer An-
hörung vor Gericht. Danach wird entschie-
den, ob Anklagen in drei Korruptionsfällen
gegen ihn erhoben werden. In den vergan-
genen Tagen sickerten Zeugenaussagen
durch, die den Regierungschef belasten.
Aber noch hat Netanjahu nicht aufgege-
ben, für einen möglichst starken rechten
Block zu kämpfen. Er verhandelte persön-
lich mit der extremistischen Partei Jüdi-
sche Kraft und mit Mosche Feiglin. Er
brachte ihn dazu, sich mit seiner nationalis-
tischen-libertären Zehut-Partei von der
Wahl zurückzuziehen. Er bot ihm unter an-
derem einen Ministerposten und die Libe-
ralisierung von Cannabis an. Damit will Ne-
tanjahu verhindern, dass rechte Stimmen
an Parteien gehen, denen nicht zugetraut
wird, die 3,25-Prozent-Hürde für den Ein-
zug in die Knesset zu überspringen.
Im Likud gibt es auch Überlegungen für
eine Gesetzesänderung, um Kameras in
Wahllokalen zu ermöglichen. Likud-An-
hänger hatten im April mit mehr als tau-
send Kameras vor allem solche Lokale auf-
gesucht, wo arabische Israelis ihre Stim-
men abgaben. Ihre Hoffnung war, mög-
lichst viele durch diese Überwachung vom
Urnengang abzuhalten. Die Wahlkommis-
sion hatte den Einsatz von Kameras durch
Parteien verboten, weshalb nun das Gesetz
geändert werden soll.
alexandra föderl-schmid Seite 4

Da waren’s nur noch zehn


Bei derdemokratischen Partei lichtet sich das Feld der Bewerber, die sich zutrauen, bei der Wahl
im kommenden Jahr gegen US-Präsident Donald Trump anzutreten. Ein Außenseiter ist im Rennen geblieben

Krisen schweißen


zusammen


Israels Premier geht auf Herausforderer Benny Gantz zu


DEFGH Nr. 200, Freitag, 30. August 2019 (^) POLITIK HF3 9
Jeder versucht es auf seine Art bei den Demokraten (im Uhrzeigersinn): Bernie Sanders besucht die vor einem Jahr durch Waldbrände zerstörten Siedlungen in Kalifornien;
Senatorin Kamala Harris wirkt auch als Pappfigur; der frühere Vizepräsident Joe Biden auf dem Weg zu einer Rede in New Hampshire; Senatorin Elizabeth Warren füllt
große Hallen in Los Angeles. FOTOS: BLOOMBERB, AFP, GETTY
Avigdor Lieberman könnte
erneut die Rolle des
Königsmachers zukommen
Die meiste Auswahl bleibt
noch progressiven bis
linkspopulistischen Wählern
Eine Wahl, viele Gesichter: Die Israelis gehen am 17. September zum zweiten Mal
dieses Jahr zur Parlamentswahl. FOTO: SEBASTIAN SCHEINER, AP
Fast nur noch bekannte Namen
sind übrig:Biden, Warren,
Sanders, Harris, Buttigieg, Castro
Lösungen vom Donnerstag
8 4 5 1 2 3 7
3
1
9
6
8
SZ-RÄTSEL
9148 35762
8376 21945
6529 7 4318
7 4 15638 29
2984176 53
56 32891 7 4
18534 6297
4267 9 8531
3791 52486
Die Ziffern 1 bis 9 dürfen pro Spalte und Zeile
nur einmalvorkommen. Zusammenhängende
weiße Felder sind so auszufüllen, dass sie nur
aufeinanderfolgende Zahlen enthalten (Stra-
ße), deren Reihenfolge ist aber beliebig. Weiße
Ziffern in schwarzen Feldern gehören zu kei-
ner Straße, sie blockieren diese Zahlen aber in
der Spalte und Zeile (www.sz-shop.de/str8ts).
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Schwedenrätsel Sudokumittelschwer
4 2 5
3 5 6
7 2 3
9 3
9 6
5 7 1
1 6 8
4 1 6
8 6 7 2
Str8ts: So geht’s
89 43 21
67825143
57623
76 534 98
45 32 87
54 87
34 867
126875943
21 76 54
6 4 1 9 2 3
Str8tsschwer

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