Handelsblatt - 30.08.2019 - 01.09.2019

(Jeff_L) #1
Silke Kersting Berlin

D


ie Bananenschale in
die Biotonne, Plastik in
den Gelben Sack, Ta-
schentücher in die
Restmülltonne. Die
Deutschen sind Weltmeister beim
Sammeln und Trennen von Abfall.
Nach dem Trennen aber wird gerade-
zu verschwenderisch mit dem Müll
umgegangen.
Während die Koalition am 20. Sep-
tember ein Maßnahmenpaket für
mehr Klimaschutz vorlegen und bis
Ende des Jahres ein Klimaschutzge-
setz beschließen will, könnte mit der
Wiederaufbereitung von Kunststoffen
längst jede Menge klimaschädliches
Kohlendioxid (CO 2 ) eingespart wer-
den. „Wissenschaftler haben berech-
net, dass mehr als 50 Prozent klima-
schädlicher Emissionen vermieden
werden könnten, wenn Unterneh-
men hochwertige Recyclingkunststof-
fe verwenden würden statt neue, öl-
basierte Kunststoffe“, sagte Peter

Kurth, Präsident des Bundesver-
bands der Deutschen Entsorgungs-,
Wasser- und Rohstoffwirtschaft
(BDE), dem Handelsblatt. „Was wir
brauchen, ist eine konsequente Kreis-
laufwirtschaftspolitik.“

Ungenutztes Potenzial
Das Potenzial bleibt weitgehend un-
genutzt. Zwar hat die Bundesregie-
rung vergangenes Jahr neue Recyc-
lingquoten für die in der Gelben Ton-
ne oder im Gelben Sack
gesammelten Abfälle beschlossen.
Für die steigende Menge dieses recy-
celten Materials, kurz Rezyklate ge-
nannt, fehlen aber nach wie vor Ab-
satzmärkte. „Wir schaffen es in
Deutschland mittlerweile, sehr hoch-
wertige Rezyklate herzustellen, die in
vielen Bereichen einsetzbar wären“,
sagte Bundesumweltministerin Sven-
ja Schulze (SPD) vor einem Jahr. „Tat-
sächlich bleibt ihr Einsatz aber weit
hinter unseren Erwartungen zurück.“

Seitdem hat sich nicht viel geän-
dert. „Die Bundesregierung muss
sich etwas einfallen lassen, um den
Einsatz von Rezyklaten gezielt zu för-
dern“, forderte Kurth. „Ansonsten
werden die Klimaschutzpotenziale,
die das Recycling bietet, auch weiter-
hin nicht ausgeschöpft – und zwar
bei Weitem nicht.“
Der Aufbau einer Kreislaufwirt-
schaft wäre deutlich ambitionierter
als Schulzes jüngste Forderungen
nach einem Plastiktütenverbot oder
ihre Ankündigung, die Hersteller von
Einwegplastik an den Kosten der öf-
fentlichen Müllentsorgung zu beteili-
gen. Eine funktionierende Kreislauf-
wirtschaft würde voraussetzen, dass
Hersteller schon bei der Produktidee
und der Konzeption auf die spätere
Recyclingfähigkeit ihrer Produkte
achten und auf Verbundmaterialien
weitestgehend verzichten. So beste-
hen Kunststoffverpackungen gerade
für Nahrungsmittel häufig aus vielen

verschiedenen Schichten, die später
nicht oder nur schwer voneinander
gelöst werden können und deswegen
in der Verbrennung landen.
Die Menge an Kunststoffprodukten
wird in Zukunft eher weiter zuneh-
men, sind Experten überzeugt. Da ist
es wichtig, die Kunststoffe möglichst
wieder aufzubereiten und neu zu ver-
wenden. „Wir können und werden
nicht auf Plastik verzichten“, sagt
Kurth, „aber wir sagen dem Plastik-
müll den Kampf an.“ Schätzungen zu-
folge steckt heute nur durchschnitt-
lich ein Rezyklat-Anteil von zehn Pro-
zent in Kunststoffprodukten.

Nein zum Mindesteinsatz
Viele Unternehmen sind durchaus
willens, mehr Rezyklate einzusetzen.
„Recycling kann helfen, Material-
kreisläufe zu schließen und stellt eine
wichtige Rohstoffquelle für die Indus-
trie dar“, meint Hermann Hüwels,
Umweltexperte beim Deutschen In-
dustrie- und Handelskammertag
(DIHK). Er warnte jedoch davor, „all-
zu schnell über detaillierte Rezyklat-
Einsatzquoten nachzudenken“.
So ist eine entsprechende Ver-
pflichtung zwar noch nicht spruch-
reif, doch im Umweltministerium
denkt man durchaus darüber nach.
Auch im Rahmen der EU-Kunststoff -
strategie wird darüber diskutiert, ob
es einen verpflichtenden Anteil von
recycelten Kunststoffen geben soll,
um auf diese Weise einen Sekundär-
rohstoffmarkt zu fördern. Erst im Mai
hatte die EU eine Richtlinie erlassen,
die einen Mindestanteil von Rezykla-
ten in Getränkeeinwegflaschen vor-
schreibt. Verbände sind jedoch skep-
tisch, dass eine weiter gehende Ver-
pflichtung eine Lösung für das
Problem wäre. Denn der Grund, wa-
rum Unternehmen häufig auf neue
Kunststoffe setzen statt auf Rezyklate,
liegt in erster Linie nicht an fehlen-
den Absatzmärkten, sondern an feh-
lenden Qualitätskriterien für das re-
cycelte Material.
So können Rezyklate, die aus den
Abfällen aus dem Gelben Sack ge-
wonnen werden, zwar für Folien
oder Farbeimer verwendet werden,
nicht aber neu für Verpackungen für
Nahrungsmittel und nur sehr be-
grenzt für Waschmittel oder Sham-
poo. Das bremst Unternehmen wie
den Konsumgüterproduzenten Proc-
ter & Gamble regelmäßig aus. Ein
Ausweg aus dem Dilemma bieten der-
zeit nur die separat gesammelten und
recycelten PET-Getränkeflaschen, so-
genannte Premium-Rezyklate. Doch
die sind oft teurer als Neuware.

Treiber öffentliche Hand
Die Bundesregierung hätte es also in
der Hand, mit entsprechenden Quali-
tätskriterien den Einsatz von Rezykla-
ten zu vergrößern und damit CO 2 ein-
zusparen. Selbst hinkt die Koalition
seit Jahren dem Thema hinterher,
meinen Kritiker, trotz geltender Rege-
lungen des Green-Public-Procure-
ment, der umweltfreundlichen Be-
schaffung. „Die öffentliche Hand“,
sagt BDE-Präsident Kurth, „ist der
entscheidende Treiber beim Einsatz
von Recyclingrohstoffen – sei es als
Rezyklate in Produkten oder als Er-
satzbaustoffe bei Bauprojekten.“
Deutschland kaufe jährlich Material
für mehr als 350 Milliarden Euro ein,
„da tun klare Kriterien für die Liefe-
rantenauswahl unter Nachhaltigkeits-
aspekten not“.

Kreislaufwirtschaft


Wertvolle Abfälle


Während die Koalition an einem Maßnahmenpaket für mehr Klimaschutz


arbeitet, bietet das Recycling jede Menge Potenzial, klimaschädliches CO 2


einzusparen.


Kunststoff-Ballen:
Die Deutschen sind Meister beim
Sammeln und Trennen von Müll,
aber nicht beim Recycling.

Stefan Wermuth/Bloomberg

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PROZENT
Emissionen könnten
vermieden werden,
wenn Unternehmen
Recyclingkunststoffe
verwenden würden.
Quelle: BDE

Wirtschaft & Politik


(^12) WOCHENENDE 30./31. AUGUST / 1. SEPTEMBER 2019, NR. 167
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