Handelsblatt - 30.08.2019 - 01.09.2019

(Jeff_L) #1

Kreative


Software


75 000 Berichte über Männer-, Frauen- und Ju-
gendspiele, jedes Wochenende – das hat sich der
Deutsche Fußball-Bund (DFB) für die kommende
Saison vorgenommen. Wie viele Journalist*innen
er dafür einstellt? Keine*n einzige*n. Die Arbeit
übernimmt ein Algorithmus von Retresco.
Das Berliner Unternehmen hat sich auf auto -
matisierte Textgenerierung
spezialisiert, auch für Fußball-
meldungen. Dafür füttern Mit-
arbeiter*innen einen Algorith-
mus zunächst mit Fußballflos-
keln. Etwa: „kassierte die dritte
Niederlage in Folge“ oder „Das
Spiel war eine knappe Angele-
genheit“.
Nun muss der Algorithmus
nur noch lernen, wann welche
Formulierung passend ist –
und warum bei einem 5:0-Sieg
die Aussage „eine knappe
Angelegenheit“ nicht funktio-
niert. Anhand der Daten des
Fußballspiels wählt er dann
die passenden Bausteine aus
und fügt die Zahlen ein. So
kann die Software 60 Sekun-
den nach Abpfiff einen ferti-
gen Artikel präsentieren, auf

Tex t
Camilla Flocke

Künstliche Intelligenz kann inzwischen
Texte schreiben, Reden verfassen und
sogar Komponisten erkennen. Manchmal
ist das selbst den Erfindern unheimlich.

#spracherkennung

6
 Wunsch sogar in mehreren Sprachen. Was bei
Amateurspielen schon praktisch funktioniert, ist
theoretisch ebenfalls bei Bilanzpressekonferen-
zen denkbar.
Datenbasierte und einfach strukturierte Fuß-
ballmeldungen schreibt Sprachsoftware schon
länger, genauso wie Wetterberichte oder Produkt-
beschreibungen. Doch inzwischen sind die Algo-
rithmen so gut, dass sie sich in immer kreativere
Bereiche vorarbeiten. Und zwar sowohl wenn es
darum geht, einen Text zu erstellen – als auch des-
sen Urheberschaft zu klären.
Ein Forscherteam der US-Universität Harvard
und der kanadischen Dalhousie-Universität setzte
neulich maschinelles Lernen für Beatles-Lieder
ein. Das Problem war bislang, dass für viele Songs
„Lennon/McCartney“ als Autoren genannt wer-
den. Die Forscher um Mark Glickman von der Har-
vard-Universität entwickelten einen Algorithmus,
der mit Passagen aus 70 Songs gefüttert wurde,
bei denen die Urheberschaft feststeht. Daraus
wurde ein Erkennungsmodell, das auf die unge-
klärten Songs angewendet werden kann. Für „Do
you want to know a secret“ liegt die Wahrschein-
lichkeit einer Urheberschaft von Paul McCartney
demnach bei nur 0,8 Prozent. Am Song „In my life“
hat er wiederum einen deutlich größeren Anteil
als angenommen. Offenbar hat Musik erstaunlich
viel mit Mathematik zu tun.

Videotipp

Was hat es mit maschinellem
Lernen auf sich? Wie funktioniert
Deep Learning? Und was
hat künstliche Intelligenz mit
unserem Gehirn zu tun? Das
erklärt Damian Borth, Professor
für Artificial Intelligence and
Machine Learning an der Univer-
sität St. Gallen, in diesem Video.

ADA & DAS BALD

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