Handelsblatt - 30.08.2019 - 01.09.2019

(Jeff_L) #1

Die Suche nach


dem richtigen


Maß


Irland ist immer für eine Überraschung gut. Als
das nationale Statistikamt im Juli 2016 das neue
Bruttoinlandsprodukt (BIP) veröffentlichte, glaub-
ten viele Beobachter*innen an einen verspäteten
Aprilscherz: Die Statistiker*innen meldeten für
2015 ein buchstäblich unglaubliches Wachstum
von 26,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Was passiert war? Internationale Konzerne hat-
ten damals Patentrechte zu ihrer Niederlassung
nach Irland verschoben, um Steuern zu sparen –
und hatten das Land damit per Knopfdruck zur dy-
namischsten Volkswirtschaft der Welt gemacht.
Der US-Ökonom und Nobelpreisträger Paul Krug-
man spottete daraufhin beim Kurznachrichten-
dienst Twitter über „Leprechaun Economics“, in
Anlehnung an die irischen Kobolde, die der Legen-
de zufolge Goldmünzen am Ende des Regen bogens
horten.
Das irische Wirtschaftswunder veranschaulicht
einen Streit, den Ökonom*innen in diesen Tagen
leidenschaftlich führen: Können wir dem BIP noch
trauen? Oder hat es im Zeitalter einer global ver-
netzten, digitalisierten Wirtschaft ausgedient?

Wie sollen, können, müssen sich Dienste von Goo-
gle, Facebook oder Wikipedia im BIP niederschla-
gen? Werden digitale Produkte wie das Smart -
phone angemessen erfasst? Oder muss ein neuer
Indikator her – und wenn ja, wie könnte er ausse-
hen? Kurz gefragt: Kann das BIP digital?
Fakt ist: Keine wirtschaftliche Messgröße ist
einflussreicher als das BIP, das den Wert der in
einem Land produzierten Güter und Dienstleis-
tungen bestimmt (siehe Kasten Seite 68). Alle Re-
gierungen werden an dem Indikator gemessen,
der oft über Kreditspielräume und Staatsausga-
ben entscheidet. Hat das Inlandsprodukt diese
einflussreiche Rolle zu Recht?
Um die Idee des Konzepts zu verstehen, hilft ein
Blick zurück zu den Anfängen: Im 17. Jahrhundert
versuchten Länder wie England und Frankreich,

Tex t
Elke Pickartz

Illustrationen
Julia Schwarz

Der Erfolg digitaler Plattformen hat
unter Ökonomen eine Debatte
entfacht: Ist das Bruttoinlandsprodukt
(BIP) noch zeitgemäß?

#konjunktur

ADA & DAS BALD




Elke Pickartz
studierte VWL
an der Uni Bonn.
Damals wunderte
sie sich über die
Macht des BIPs.
Inzwischen
weiß sie: Es gibt
keine echte
Alternative.

Foto Privat

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