sehen den Einfluss des Informationszeitalters
überall, außer in den BIP-Statistiken“, kritisierte er
bereits vor Jahren in einem Beitrag für die „Sloan
Management Review“. Seitdem versucht Bryn-
jolfsson dies in seiner Forschung zu belegen – et-
wa am Beispiel des Fotografierens.
Im Jahr 2000 wurden ihm zufolge weltweit rund
80 Milliarden Fotos geschossen, damals zu einem
Preis von etwa 50 Cent pro Stück. Dann kam das
Smartphone, und bis zum Jahr 2015 stieg die Zahl
der Fotos weltweit um das 200-Fache. Zugleich
sank jedoch ihr Preis gegen null. Denn die meisten
Fotos wurden nun nicht mehr analog entwickelt,
sondern nur noch digital verwaltet. Das
Smartphone habe den Menschen also mehr und
bessere Güter zu geringeren Kosten gebracht, so
Brynjolfsson – und das BIP eigentlich gesenkt.
Insgesamt unterschätze das Inlandsprodukt die
digitalen Produktivitätsgewinne, ebenso wie die
Nutzengewinne aus der digitalen Revolution.
Wie sich diese messen las-
sen, zeigen Laborversuche
von Brynjolfsson. Für eine
2018 veröffentlichte Studie
fragte er europäische Stu-
dent*innen, wie viel Geld man
ihnen geben müsse, damit sie
einen Monat lang auf be-
stimmte Onlinedienste ver-
zichten. Im Schnitt gaben die
Freiwilligen an, für 536 Euro
einen Monat lang WhatsApp
zu entsagen. Für 97 Euro woll-
ten sie von Facebook die Fin-
ger lassen, für 59 Euro von di-
gitalen Landkarten (siehe Gra-
fik Seite 69).
Brynjolfssons Fazit: Durch
die Nutzung der digitalen
Dienste entsteht den Ver-
braucher*innen ein Wert, der
nirgends erfasst wird. Daher
sei das BIP als Messgröße
nicht mehr zeitgemäß. Aber
stimmt das?
Auf keinen Fall, meint Stefan Hauf: „Das BIP bleibt
für das, was es messen soll, ein sehr guter Indika-
tor“, sagt der Ökonom vom Statistischen Bundes-
amt. Er leitet bei der Behörde jene Gruppe, die das
deutsche BIP berechnet. Wichtig sei, Wirtschafts-
leistung und Wohlfahrtsgewinn – also den Nut-
zenzuwachs – eines Gutes zu unterscheiden.
Anders formuliert: Student*innen im Labor wol-
len zwar theoretisch 536 Euro dafür haben, wenn
sie einen Monat auf WhatsApp verzichten sollen.
Doch umgekehrt würden sie diesen Betrag nie-
mals ausgeben, wenn sie WhatsApp abonnieren
müssten. Auch der Internationale Währungs-
fonds (IWF) verteidigt das BIP in einem aktuellen
Bericht: „Es ist kein Maß für die Wohlfahrt, und es
sollte auch nicht damit verwechselt werden.“
Genauso wenig finden die wenigsten Statisti-
ker*innen, dass Onlinedienste die Größe des BIPs
verzerren. „Es wäre falsch, zu sagen, dass Face-
book und Google nicht im BIP enthalten sind“, sagt
Hauf. Denn die meisten Onlineplattformen oder
Suchmaschinen stellen ihre Dienste de facto nicht
umsonst bereit, sondern vermarkten im Gegenzug
die Daten ihrer Nutzer*innen.
Falsche Zuordnung
Google, schätzt die Organisation für wirtschaftli-
che Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), er-
wirtschaftet rund 90 Prozent seiner Einnahmen
aus Werbung. Die Suchmaschine ist damit ein
Phänomen, das vom BIP ähnlich erfasst wird wie
das werbefinanzierte Privatfernsehen: Auf der
Ausgabenseite werden im BIP die Kosten erfasst,
die den Anzeigenkunden für Werbung entstehen.
Auf der Produktionsseite finden sich diese Werbe-
kosten in den Umsätzen der Onlineplattformen
wieder.
Auch das Beispiel vom Smartphone und der Fo-
tokamera zeigt entgegen der ersten Intuition, dass
auch hier das BIP nicht sinkt: Smartphones und
Onlinedienste haben die Fotokameras und Film-
rollen zwar verdrängt. Doch die Menschen geben
das so gesparte Geld meist wieder aus und kurbeln
damit die Produktion an anderer Stelle an.
Problematisch ist jedoch: Die durch das
Smartphone geschaffene Wertschöpfung kann
nicht mehr der Digitalbranche zugeordnet wer-
den, sondern verliert sich mit dem weiteren Kon-
sum im Inlandsprodukt. „Das BIP hat wenig Pro-
bleme, die Größe und Entwicklung einer Volks-
wirtschaft zu messen“, sagt Hauf, „aber es ordnet
die digitalen Güter im Detail nicht richtig zu.“ Bild-
lich gesprochen: Die Größe des Bildes stimmt,
aber die Konturen sind nicht immer scharf.
Schwierigkeiten kann dies vor allem Politi-
ker*innen und Manager*innen bereiten. Denn
nur wer die Zusammenhänge und Wertschöp-
fungsketten tatsächlich kennt, kann steuernd
eingreifen.
»Wir sehen den Einfluss
des Informationszeitalters
überall, außer in den
BIP-Statistiken«
Erik Brynjolfsson, Professor am MIT
Die BIP-Berechnung
Es gibt zwei bekannte Methoden.
Beim Produktionsansatz
wird der Wert aller Waren und
Dienstleistungen addiert, die
Unternehmen im Inland herstel-
len. Davon subtrahiert werden
jene Waren und Dienstleistun-
gen, die für die Herstellung
nötig sind. Der Ausgabenansatz
betrachtet, wofür die produ -
zierten Waren und Dienstleistun-
gen verwendet werden. Dazu
addiert man die Ausgaben der
privaten Haushalte und des
Staats sowie die Investitionen
der Unternehmen in ihre Betriebe
und ihre Exporte ins Ausland –
und zieht die Importe ab.
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ADA & DAS BALD
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