DOSSIER
Und tatsächlich, ausgerechnet der Staatskon-
zern, dessen Züge selten pünktlich abfahren und
noch seltener pünktlich ankommen, könnte zu ei-
nem der zukunftsfähigsten Unternehmen des
Landes werden. Alle Zutaten sind da: eine klima-
schonende Infrastruktur für die Mobilität der
Massen, handfeste Digitalisierungspläne und eine
Eignerstruktur, die selbst Juso-Chef Kevin Küh-
nert befrieden würde. Die Bahn muss niemand
mehr vergesellschaften. Vor allem aber hat der
Konzern Top-Managerin Jeschke. Von ihr wird
maßgeblich abhängen, ob der Sprung gelingt.
Die Vision
Man darf sich Jeschke nicht wie die typischen
Digitalisierungs-Erklärer*innen vorstellen, die der-
zeit Dax-Vorständen das Internet beibringen.
Jeschke trägt keine Sneaker, sondern Schuhe mit
Absätzen, dazu stets eine lange weiße Perlenkette.
Vor der Station bei der Bahn war sie Professorin
für Maschinenbau an der RWTH Aachen und lei-
tete dort das Kybernetik-Labor. Erzählt Jeschke
von der Zukunft der Mobilität, kann man sich
diese sofort vorstellen. Das hat sie manchem
Konzernmanager voraus.
Für die Bahn sieht ihre Vision so aus: Der Kon-
zern verwandelt sich zum Betriebssystem der
Mobilität, einer Plattform, die Kund*innen hilft,
jederzeit auf die beste verfügbare Weise vom Aus-
gangspunkt ans Ziel zu kommen. Integriert sind ei-
gene Angebote, aber auch solche von der Konkur-
renz: S-Bahnen und Busse, Car-Pooling, E-Scooter
und Fluggesellschaften. Kund*innen kaufen für
ihre Reise dann nur noch ein Ticket. Die Anbieter
verrechnen im Hintergrund untereinander, wer
welchen Teil bekommt. Reisende bekommen
davon nichts mit, möglich macht das die dahinter
liegende Blockchain-Technologie.
Einen Plan, wie sich Deutschlands größter
Staatskonzern im Wettlauf gegen Google und
Amazon behaupten kann, hat Jeschke auch schon.
Die US-Plattformbetreiber versuchten, ganze
Märkte an sich zu reißen: „Das entspricht nicht
unserer Vorstellung von wirtschaftlicher Ethik“,
sagt Jeschke. Sie will mit einem Gegenmodell
punkten, einem „föderalistischen Plattformansatz,
der in ganz Europa funktioniert“. Jeder Betreiber
von Mobilitätsdiensten, der mitmacht, behält sei-
ne Autonomie. Bis es aber morgen so weit ist,
muss sie vor allem im Heute aufräumen. Hunderte
Stellwerke aus der Kaiserzeit betreibt die Bahn
derzeit noch. Geht etwas daran kaputt, bekommt
das zunächst niemand mit.
Und selbst bei einem ans Internet angeschlosse-
nen Werk hat niemand den Überblick: Rund 2500
verschiedene Datenbanken fand die Digitalchefin
vor, als sie im November 2017 im Bahn-Tower in
Berlin anfing. Jede Abteilung hatte sich ihr eige-
nes Informationsreich aufgebaut, zumal sie davon
▶ Viel Licht,
viel Platz und
hoffentlich
viele Ideen. Die
„Base“ der Bahn
ist nur ein paar
Gehminuten von
der Zentrale am
Potsdamer Platz
entfernt
8
◀ Steve Jobs trug
stets Rollkragenpulli,
Sabina Jeschkes
Markenzeichen
ist eine lange weiße
Perlenkette
ausgingen, eines Tages abgespalten und an die
Börse gebracht zu werden.
Als Erstes hat sich Jeschke einen Thinktank
eingerichtet. Eines der wichtigsten Projekte, die
dieser seither angestoßen hat: Alle Datenbanken
werden so miteinander verbunden, dass die Daten
verglichen und gemeinsam analysiert werden
können.
Erste Fortschritte gibt es schon. Die Bahn kann
für viele Strecken exakter voraussagen, um wie
viele Minuten sich ein Zug verspäten wird und
genauere Prognosen zu Umstiegen und Anschlüs-
sen erstellen. Jeschke spricht von „Verspätungs-
fortpflanzungsgesetzen“, und wie man aus Daten
der Vergangenheit Prognosen für die Zukunft er-
stellt. Sie geht mit dem Pragmatismus einer Wis-
senschaftlerin an die Aufgabe heran: „Natürlich
würde ich lieber darüber sprechen, dass die Züge
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