nicht mehr zu spät kommen“, sagt sie. So weit sei
man noch nicht. Dafür sei der Weg klar kommuni-
ziert: In den kommenden Jahren werden Schie-
nen digitalisiert, Daten erhoben, Analysemetho-
den mit künstlicher Intelligenz darüber gelegt –
und dann kommen effizientere Dienste und neue
Geschäftsmodelle heraus. „Wenn man das
schafft“, sagt Jeschke, „revolutioniert man das ge-
samte System.“
Die Utopie
Gelingt dieser Plan, fahren alle Züge in Deutsch-
land im Takt. Niemand muss mehr Verbindungen
raussuchen, wenn jede*r weiß, dass der Zug von
Berlin nach München von morgens früh bis spät
in den Abend stündlich zur selben Zeit abfährt.
Schienen funken alleine um Hilfe, wenn auf ihnen
ein Baum liegengeblieben ist. Der Waggon gibt von
unterwegs Bescheid, dass er gerade kaputtgeht.
Im nächsten Bahnhof springt der 3-D-Drucker an,
der das Ersatzteil fertig hat, noch bevor der Zug
eingefahren ist. Ist das schon Utopie – oder noch
deutsche Konzernwirklichkeit?
Jeschke und die Bahn, das ist eine Fügung, wie
es sie selten in der deutschen Wirtschaft gibt. In
der Wissenschaft hat sie sich weltweit den Ruf
einer Expertin für Robotik, künstliche Intelligenz
und Mensch-Maschine-Interaktion erarbeitet –
und dennoch brauchte es eine Krise, damit dem
Bahn-Aufsichtsrat bewusst wird, dass Technik
auch Digitalkompetenz bedeutet. Jeschke hatte
schon in Projekten mit der Autoindustrie zusam-
mengearbeitet und sich mit der Zukunft der Mobi-
lität beschäftigt. Im Sommer 2017 machte sie gera-
de ein Sabbatical bei Volvo in Schweden. Ein
Personalberater sprach sie an, sie sagte zu: „Die
Aufgabe ist ein großer Vertrauensbeweis.“
Die KI-Vordenkerin legt einen großen, in
schwarzes Leder eingebundenen Notizblock vor
sich. Darin malt sie gerne Skizzen und Strategien.
Ein Blatt ist mit „Schlaue Schiene“ überschrieben,
eine Anspielung auf die neue Konzernstrategie
„Starke Schiene“. Die Bahn soll die Fahrgastzahlen
verdoppeln, eine Milliarde mehr Kunden im Nah-
verkehr transportieren, 70 Prozent mehr Güter-
transport abwickeln und ab 2038 nur noch mit
Ökostrom fahren. Neue Züge sollen hinzukom-
men, Schienen ausgebaut werden. 30 Prozent
mehr Effizienz bringt in dem Plan alleine die Digi-
talisierung. Es ist ein ambitionierter Plan, den der
Vorstand seinem Aufsichtsrat vorgelegt hat – und
seine Lebensversicherung zugleich.
Zu den Gesetzmäßigkeiten der Bahn gehört,
dass über Top-Personal Kritik immer nach außen
getragen wird. Das durchlebte zuletzt vor allem
Vorstandschef Richard Lutz. Seine Bilanz ist
durchwachsen: Verluste, Schulden, Pannen häuf-
ten sich unter seiner Führung an. Über Jeschke,
die das Geld ausgeben will, das der Konzern kaum
verdient, steht nirgendwo ein schlechtes Wort. Zu-
fall? Wohl kaum. Sie ist die Einzige im Vorstand,
die sich mit Technik auskennt. „Künstliche Intelli-
genz, Robotik – ich kann’s eben“ sagt sie und lacht.
Und man findet bei der Bahn niemanden, der dem
widerspricht.
Ihr zweiter Wohnsitz liegt in Schweden. Sie
schwärmt von dem „unglaublich transparenten
Land“, in dem Digitalisierung für die Bürger selbst-
verständlich ist. Jeder bekomme bei der Geburt
eine Personennummer, an die von der Geburts -
urkunde über den Mobilfunkvertrag alles digital
gekoppelt ist. Das erleichtere Behördengänge, An-
meldungen, Umzüge. Von den Deutschen wünscht
sie sich vor allem einen entspannteren Umgang
mit Daten.
Scheitern könnte Jeschke dennoch: An der Un-
beweglichkeit, die ein Konzern mit 316 000 Mit -
arbeiter*innen mit sich bringt; an Befindlichkeiten
in Berlin und der Investitionsangst in einem Land,
das seit Jahrzehnten Infrastruktur behandelt, als
erneuere die sich schon irgendwie von selbst; und
an ihr selbst. Jeschkes Ressort soll die Zukunft
vorbereiten, hat aber keinen direkten Zugriff auf
die Digitalisierung der Infrastruktur, auf War-
tungsthemen oder Apps für die Kunden – das sind
Zuständigkeiten ihrer Vorstandskollegen.
Ein Problem sieht Jeschke darin nicht. Sie habe
ihren Bereich als eine Art Nukleus konzipiert, der
den anderen Ressorts dabei hilft, neue Techno -
logie zu implementieren. Der beste Digital-Chef
eines Konzerns sei doch der, der sich innerhalb
von fünf Jahren „selbst überflüssig macht, weil
die Digitalisierung alle Bereiche des Konzerns
durchdringt“.
Im Studium hat Jeschke mal im Silicon Valley
für die US-Weltraumbehörde Nasa nach men-
schenähnlichem Leben im All geforscht. Da
scheint die Bahn vergleichsweise beherrschbar. n
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Mehr davon ...
Beim Körber-Forum in Hamburg
sprach ada-Reporterin
Astrid Maier live auf der Bühne
mit Sabina Jeschke – über
grüne Teppiche im Büro, einen
Roboter namens Hartmut und
Innovationen im Konzern.
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