Technologiekonzern Thyssenkrupp
testet das „Multi“-Projekt seit dem
Jahr 2017 in Rottweil. 246 Meter hoch
ragt dort ein eigens errichteter Test-
turm in die schwäbische Landschaft.
Der Fahrstuhl ist an Schienen statt an
Seilen aufgehängt und wird angetrie-
ben durch die Linearmotortechnolo-
gie, ein Überbleibsel der Transrapid-
Entwicklung. Dank drehender Moto-
ren kann er zwischen vertikaler und
horizontaler Fahrt wechseln.
Aktuell hofft der kriselnde Konzern,
im Laufe des nächsten Jahres eine
Zertifizierung für die neue Technik zu
erhalten. Dann könnten die ersten
Architekten damit beginnen, den Multi
tatsächlich zu verbauen – und die Fan-
tasie von Investoren und Stadtplanern
anregen.
Die grundsätzliche Funktionsweise
des Aufzugs hat sich seit seiner Er -
findung im Jahr 1835 nicht mehr
grundlegend verändert. Eine Kabine
hängt an einem Umlaufseil und ist mit
9
◀ Im chinesischen
Chongqing ent-
steht gerade das
Hochhausprojekt
Raffles City – mit
einem 300 Meter
langen Korridor
einem Gegengewicht im Schacht ver-
bunden. Der Antrieb muss in der Regel
nur das zusätzliche Gewicht der Fahr-
gäste bewegen. Deshalb arbeiten Auf-
zugbauer wie Kone oder Otis heute
vor allem daran, die Menschenmassen
intelligenter zu steuern. Dank Chipkar-
ten können neue Fahrstühle schon am
Gebäudeeingang sofort erkennen, in
welchem Stockwerk die Wohnung oder
das Büro eines Nutzers liegt. Verlassen
große Gruppen einen Raum, schicken
Bewegungssensoren vorsorglich Auf-
züge in die Etage. Das traditionelle
Transportmittel werde so zum „Gehirn
eines Gebäudes“, formuliert es der
finnische Hersteller Kone. Grenzen
gibt es bei der vertrauten Technik bis-
lang auf dem Weg in die Höhe. Mit her-
kömmlichen Aufzugseilen ist spätes-
tens bei 500 Meter Höhe Schluss, dann
werden die Stahlseile durch ihre Länge
zu schwer für Antrieb und Statik.
Viele Architekten zerlegen Hoch-
häuser heute daher in vertikale Ab-
schnitte und planen auf Zwischeneta-
gen Shuttle-Verbindungen ein.
Die kühnsten Visionen eröffnet die
Möglichkeit, horizontal fahren zu kön-
nen. Aus einem traditionellen Aufzug
wird so eine Transportkabine, die sich
quer durch ein Gebäude bewegt. Das
könnte auch in flacheren Gebäuden
sinnvoll sein. CTBUH-Forscher Dario
Trabucco denkt etwa an Krankenhäu-
ser, in denen ein Patient samt lebens-
notwendiger Geräte in einer Kabine
von der Notaufnahme in die Station
gefahren werden kann.
Aufzüge für die First Class
Auch Thyssenkrupp erreichen unter-
schiedliche Anfragen. Ein Flughafen-
betreiber würde gerne First-Class-
Passagiere unter der Decke seines
Terminals direkt zum Gate schweben
lassen, Städte wollen oberirdische
Busstationen mit U-Bahnhöfen ver-
knüpfen – und müssen wegen knapper
Fläche oder einem dichten Leitungs-
netz um die Ecke fahren.
Sogenannte Skybridges gewinnen
dabei an Bedeutung. Die Studierenden
im CTBUH-Wettbewerb etwa haben
ein Gebäude auf zwei Seiten eines
Flusses verteilt und mit einer Brücke
verbunden. „So könnte ein innerstädti-
scher Transitverkehr entstehen“, sagt
Architekt Safarik, der in Chicago an
dem neuen Projekt arbeitet.
Im chinesischen Chongqing entsteht
gerade das Projekt Raffles City. Dort
soll in 250 Meter Höhe ein 300 Meter
langer Korridor entstehen, der vier
Hochhaustürme miteinander verbin-
det. Es sei wahrscheinlich, dass diese
Brücken zuerst zwischen Immobilien
desselben Eigentümers entstehen,
sagt Safarik – weil dann klar ist, wer
sich zwischen den Gebäudeteilen be-
wegen darf.
Viele der globalen Megastädte, New
York oder Hongkong etwa, liegen un-
mittelbar an der Küste oder sind von
Wasser umschlossen. Wenn Wasser-
spiegel steigen oder Sturmfluten zu-
nehmen, werden unterirdische Metro-
linien als Lebensader unbrauchbar.
Safarik: „Umso sinnvoller ist es, die
Infrastruktur einer Stadt in die Höhe
zu heben.“ n
Foto Picture-Alliance/DPA
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