dem anderen schaden. Aber was dem einen scha-
det, kann dem anderen auch helfen. Das gilt auch
für diese fünf bitteren Wahrheiten.
- Disziplin wird idealisiert
Manchmal ist aufgeben klüger als weitermachen
Karrieretipps hatte Hermann Hesse sicher nicht
im Sinn, als er eine seiner berühmtesten Zeilen
schrieb: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber in-
ne“, heißt es im Gedicht „Stufen“. Doch tatsächlich
passt dieser Satz bestens zu einer strategischen
Klemme, in die sowohl Angestellte als auch Unter-
nehmer oder Freiberufler irgendwann geraten
können. Heute vielleicht sogar mehr als je zuvor.
Angeblich leben wir im Zeitalter der Meritokra-
tie. Leistung soll, muss, nein: wird sich lohnen.
Misserfolg ist in dieser Weltanschauung niemals
Pech oder Zufall, sondern immer die Strafe für Un-
fähigkeit, Schwäche und Faulheit. Da verwundert
es kaum, dass die Menschen in den sozialen Netz-
werken ständig irgendwelche kitschigen Aphoris-
men teilen, die das Hohelied der Hartnäckigkeit
singen. „Es ist schwer, jemanden zu besiegen, der
nicht aufgibt“ (Baseball-Legende Babe Ruth). Oder
auch: „Gewinner geben niemals auf, und Leute,
die aufgeben, gewinnen nie“ (Football-Trainer Vin-
cent Lombardi).
Nun ist gegen Stehvermögen und Ausdauer erst
mal nichts einzuwenden. Wer etwas gut können
will, muss es üben – und so wie Kinder, die laufen
lernen, zunächst eben ständig hinplumpsen, macht
jeder Anfänger Fehler. Weitermachen garantiert
zwar keinen Erfolg, Aufgeben verhindert den Erfolg
aber garantiert. Und so lange es zumindest eine
theoretische Möglichkeit gibt, doch noch ins Ziel zu
finden – warum sollte man es sein lassen? Ich verra-
te es Ihnen: Nur weil man mit dem Kopf durch die
Wand will, gibt der Beton nicht nach.
Flugexperten bezeichnen das Problem
als „get-there-itis“, was frei übersetzt so
viel heißt wie „Ankommeritis“:
Der Pilot will unter allen Um-
ständen das Ziel erreichen, wes-
halb er sämtliche Gegenargu-
mente ignoriert, Sicherheits-
aspekte zum Beispiel oder das
schlechte Wetter.
Nun hat das im Berufs -
leben selten so schwerwie-
gende Folgen wie bei einem
Flug. Doch auch im Büro
oder an der Werkbank ver-
setzt der Glaube eben längst nicht immer Berge.
Im Gegenteil: Wer sich auf ein in Wahrheit un -
erreichbares Ziel versteift, riskiert Frustration,
Depression und Isolation. Erfolgreiche Menschen
wissen, wann man dranbleibt – aber eben auch,
wann man aufgibt.
Tatsächlich sind in den vergangenen Jahren ei-
ne Reihe von Studien erschienen, die die Vorteile
des Aufgebens betonen. Eine Untersuchung
stammt von Carsten Wrosch, Psychologieprofes-
sor an der Concordia University in Montréal. Er
befragte knapp 300 Erwachsene. Wer sich von un-
realistischen Zielen gelöst hatte, empfand weniger
Stress und mehr Entspannung, schlief besser, war
besser gelaunt und fühlte sich seltener überfor-
dert. Und die Motivationspsychologin Veronika
Brandstätter von der Universität Zürich hat fest-
gestellt: Sich von einem unrealistischen Ziel zu
verabschieden, führt letztlich zu mehr Zufrieden-
heit – weil es neue Perspektiven eröffnet, Raum
und Zeit schafft für die wirklich wichtigen Dinge
und die Chance vergrößert, doch noch seine
wahre Bestimmung zu finden.
Natürlich klingt das leichter geschrieben als
getan. In Wahrheit fällt es schwer, ein lieb gewon-
nenes Projekt aufzugeben. Da ist die Angst vor
der Scham, wenn wir das Scheitern eingestehen
müssen. Da ist das Problem der sunk-cost fallacy,
die uns dazu verleitet, ein Vorhaben nur deshalb
fortzusetzen, weil wir bereits Zeit, Kraft, Energie
und Mühen investiert haben. Und da ist unsere
Persönlichkeit, die das Projekt bereits als Teil von
sich betrachtet. Wer gibt so was schon gerne frei-
willig auf? Doch genau dieses Ende mit Schrecken
ist bisweilen langfristig besser als der Schrecken
ohne Ende. Woran Sie das erkennen? Daran,
dass Sie keine Fortschritte machen, dass Sie
Körper und Seele über Gebühr belasten.
Und daran, dass die Qual die Freude
überwiegt.
Natürlich sollen Sie nicht gleich
beim ersten Rückschlag alles
hinschmeißen. Fragen Sie
sich vielmehr in aller Ruhe,
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