was sinnvoller ist – aufgeben oder weitermachen?
Zwingen Sie sich zur Vogelperspektive: Gibt es
messbare Indizien dafür, dass Sie vorankommen
oder stillstehen? Was sagen gute Freunde, ver-
trauenswürdige Verwandte und kompetente Kol-
legen? Wenn Sie irgendwann doch zum Schluss
kommen, dass die Flinte im Korn am besten aufge-
hoben ist, suchen Sie sich am besten direkt ein
neues Ziel. Ein Medizinstudium lässt sich leichter
abbrechen, wenn man eine Ausbildung zum Phy-
siotherapeuten anstrebt. Wer die Aufnahme an
der Schauspielschule verpasst, kann es bei einer
Produktionsfirma probieren, der gescheiterte
Konzertpianist findet sein Glück vielleicht als
Musikschullehrer.
Aufgeben ist kein Zeichen der Schwäche, son-
dern der Stärke. Es erfordert Mut, einen Fehler
einzugestehen und die Konsequenzen zu ziehen.
In der Hoffnung, künftig auf das richtige Ziel zu
setzen – und sich an dem Zauber zu erfreuen, den
schon Hermann Hesse den Tapferen prophezeite:
„Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, mag
lähmender Gewöhnung sich entraffen.“
- Experten werden überbewertet
Generalisten sind erfolgreicher als Spezialisten
Anfang der Neunzigerjahre hatte IBM ein Pro-
blem. Der amerikanische Traditionskonzern
machte erstmals Verluste, die Umsätze sanken
ebenso wie der Aktienkurs. Es kam, wie es immer
kommt in solchen Situationen: Zuerst mussten
einfache Angestellte gehen, dann der Chef. Doch
anstatt der Tradition zu folgen und erneut einen
internen Kandidaten zum CEO zu
küren, machte das Kontrollgremi-
um dieses Mal alles anders –
und betraute einen ehemali-
gen Unternehmensberater,
Kreditkartenexperten und
Keksverkäufer mit der Aufga-
be, den damals weltgrößten
Computerkonzern wieder auf
Kurs zu bringen: Louis Gerstner,
einst Berater bei McKinsey, Top-
Manager bei American Express
und zuletzt Chef des Nahrungsmit-
telkonzerns RJR Nabisco.
Ein Risiko? Könnte man meinen, immerhin hat-
te Gerstner keine Expertise im Technologiesektor.
Tatsächlich jedoch erkannte der Branchenneu-
ling, dass das Betreuen von Hardware lukrativer
ist als deren Produktion und Verkauf. Also leitete
er den Kurswechsel ein und verwandelte das
Unternehmen vom Hard- und Softwareanbieter
zum Dienstleister in Technologieberatung und
Systemintegration.
Ist Gerstner, der Generalist, nur eine große Aus-
nahme? Diesen Eindruck konnte man in den ver-
gangenen Jahren durchaus gewinnen. In Zeiten
des Fachkräftemangels betonen Arbeitsmarktex-
perten in schöner Regelmäßigkeit, wie wichtig die
Fokussierung, Individualisierung und Spezialisie-
rung ist. Das Erfolgsrezept der Unternehmen – Sei
ein König in der Nische! – soll angeblich ebenfalls
für Arbeitnehmer gelten, egal, ob Freiberufler oder
Angestellter.
Aber wer ist wirklich besser dran – der Genera-
list, der sich in vielen Branchen gut auskennt, aber
in keiner davon herausragend? Oder der Spezia-
list, der sich in seiner Nische auskennt wie kein
Zweiter, jedoch in keiner anderen?
Cláudia Custódio hat dazu eine klare Meinung.
Die außerordentliche Professorin für Finanzwirt-
schaft am Imperial College in London hat eine
Reihe von Studien veröffentlicht, die das Dogma
der Spezialisierung als Mythos entlarven. Dafür
entwickelte sie den General Ability Index (GAI),
der sich aus fünf Kategorien speist: Wie viele un-
terschiedliche Positionen ein Manager im Laufe
seines Berufslebens schon bekleidet hat; wie viele
Arbeitgeber er hatte; in wie vielen Branchen er
tätig war; ob er schon einmal bei einer anderen
Firma Vorstandschef war, noch dazu
in einem Großkonzern mit verschie-
denen Einheiten.
Vor einigen Jahren untersuchte die
Professorin, ob ein Zusammenhang
besteht zwischen der Erfahrung
des Vorstandschefs und dem
Innovationsgrad des Unterneh-
mens. Und siehe da: Wer von
einem CEO mit breitem Erfah-
rungshorizont geführt wurde,
war wesentlich innovativer.
Außerdem stellte Custódio fest:
Die Patente wurden wesentlich
Lieber alles ein bisschen können, aber nichts davon richtig
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