Handelsblatt - 30.08.2019 - 01.09.2019

(Jeff_L) #1
diese aufdringliche Autokorrektur. Sie macht un-
gefragt sehr schlechte Vorschläge, und dann tut
sie auch noch so, als hätte man die angenommen.
Die Autokorrektur führt sich auf, als würde sie
mich kennen, dabei weiß sie im Grunde überhaupt
nichts von mir“, schimpfte mein Vater, „die Auto-
korrektur ist wie deine Mutter.“
Manchmal rief mein Vater auch an, um sein
neues Telefon zu preisen. „Golling“, sagte er dann,
„es ist herrlich. Wusstest du, dass man automati-
sche Abwehrnachrichten versenden kann, wenn
einer anruft? Sie heißen Bin in einer Besprechung
oder Bin im Kino, oder so. Man kann auch seine ei-
gene erstellen.“
„Und, hast du eine eigene Abwehrnachricht er-
stellt?“
„Ja“, sagte mein Vater, „pass auf, sie geht so:
Jetzt nicht.“
„Schön“, sagte ich, und dann schwiegen wir eine
Weile, als stecke in dem Satz Jetzt nicht irgendeine
Schönheit, der man erst mal schweigend nachspü-
ren müsse.
„Aber wer ruft dich eigentlich immer an, den du
abwimmeln möchtest?“, fragte ich dann.
„Keiner im Moment“, sagte mein Vater, „aber
falls. Und sag mal, kennst du eigentlich Apps? Es
gibt sehr eigenartige Apps. Mit einer kann man
beispielsweise überprüfen, ob sich in der Umge-
bung Geister befinden.“
„Es gibt auch lustige Apps“, sagte ich, und als ich
ihn das nächste Mal sah, führte ich ihm eine App
vor, die Bilder so bearbeiten konnte, dass man viel
älter oder viel jünger aussah, und mein Vater erb-
leichte. Er erbleichte, als ich ihm sein greisenhaf-
tes Gesicht vorführte, und er erbleichte fast noch
mehr, als er sein viel jüngeres Gesicht sah. „Lass
uns schnell ein paar Wüstenbilder anschauen“,
sagte er. Ich googelte „Sandwüste“, ich hielt mei-
nem Vater die Bilder hin, und er bekam langsam
wieder Farbe.

Kurze Zeit später hielt er mir sein Smartphone
unter die Nase wie ein Kommissar einem Verdäch-
tigen seine Dienstmarke. „Es geht nicht mehr an“,
sagte er. Ich drückte auf Knöpfe, nichts geschah.
„Papa“, sagte ich, „so gut kenne ich mich mit diesen
Dingern auch nicht aus.“
„Dann komm mit“, sagte mein Vater.

Wir fuhren ins Einkaufszentrum, auf dem Weg
sprach mein Vater von der Reise, die er bald antre-
ten würde. Er plante, nach Ägypten zu reisen,
erstens, weil es dort die Wüste gab, und zweitens,
weil er die Sprache nicht verstand und nicht Gefahr
lief, sich mit irgendwem unterhalten zu müssen.
„Wann kommst du eigentlich wieder?“, fragte
ich, weil ich mich das letzte Nacht lange gefragt
hatte.
„Wenn mir langweilig wird“, sagte er. Ich ver-
drehte die Augen, ich sagte: „Sag doch mal: Wenn

ich dich zu sehr vermisse“, und jetzt verdrehte
mein Vater die Augen. „Ich komme wieder, wenn
ich dich zu sehr vermisse“, sagte er weisungsge-
mäß und leiernd, „zufrieden?“
„Nein“, sagte ich und dann schwiegen wir, ich
schaute auf meine Finger auf dem Lenkrad, die ge-
nauso aussahen wie die Finger meines Vaters,
dick und kurz, und nach einer Weile sagte ich: „Du
bist ein sehr seltsamer Vater.“
Mein Vater strahlte mich an. „Ja, nicht wahr?“,
sagte er, als sei es ein steiniger Weg gewesen
zu dem anspruchsvollen Ziel, ein seltsamer Vater
zu sein.

ADA & FICTION

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»Die Autokorrektur führt


sich auf, als würde sie


mich kennen, dabei weiß


sie im Grunde überhaupt


nichts von mir«


Im Einkaufszentrum griff sich mein Vater den
erstbesten freistehenden Mitarbeiter. „Was kann
ich für Sie tun?“, fragte er. Der Mitarbeiter trug ei-
ne rote Fleecejacke, er war ungefähr Mitte 30, er
war so groß wie mein Vater und ich, nur viel
schmaler, und er hatte eine Stimme, mit der man
verbunden werden möchte, wenn man in einem
Aufzug feststeckt.
„Golling mein Name“, sagte mein Vater. „Und Sie
sind?“
„Wilbert“, sagte Wilbert.
„Was ist denn das für ein Name?“, fragte mein
Vater entrüstet, „Sie Ärmster.“
„Und Sie sind?“, fragte Wilbert und sah mich an.
„Sie ist auch Golling“, sagte mein Vater.
„Dagmar“, sagte ich.
Wilbert sah meinen Vater lange an. „Also, ich
find’s schön“, sagte mein Vater.
„Was kann ich denn nun für Sie tun?“, fragte
Wilbert.
„Es geht um mein Telefon und meinen Compu-
ter, die gehen nicht mehr an“, sagte mein Vater,
und Wilbert sagte: „Ich bin da eigentlich nicht zu-
ständig“, obwohl er sehr zuständig aussah, er sah
aus, als sei er für ausnahmslos alles zuständig,
„aber zeigen Sie mal her.“
Wilbert besah sich die beiden Geräte, drückte
Knöpfe und Tasten, und alles, was vorher schwarz
gewesen war, erhellte sich. „Meisterhaft“, sagte
mein Vater, „das ist meisterhaft.“
Mein Vater und ich standen vor Wilbert wie ein
sehr überschaubares Volk, ein Volk, das aus zwei-
en besteht, das schon lange niemanden mehr von

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