gen“, sagte mein Vater, ohne das Handgelenk des
Mitarbeiters anzusehen, „das ist ein Sommer-
sprösschen.“ Er tätschelte den Mitarbeiter, der
kein bisschen wütend war, dass man ihn reinge-
legt hatte, sondern ausschließlich heilfroh.
Auf dem Rückweg im Auto schrieb mein Vater
eine SMS. Er hatte seine Tastentöne nicht ausge-
schaltet, jedes Mal, wenn er ein Zeichen eintippte,
ertönte ein Quietschgeräusch wie von Schritten
auf Linoleumboden. „Soll ich dir die Tastentöne
mal ausschalten?“, fragte ich an einer Ampel. „Mo-
ment“, sagte mein Vater und schrieb seine SMS zu
Ende.
Ich nahm sein Handy und stellte die Tastentöne
ab. Dabei sah ich, dass die einzige App meines Va-
ters die war, mit der man Geister aufspüren konn-
te. Ich tippte auf sein Adressbuch. Darin waren
zwei Einträge: Eigene Rufnummer, Golling.
„Das ist alles?“, fragte ich, „das sind all deine
Nummern?“
Mein Vater zuckte die Achseln. „Jetzt sag nicht,
dass ich einsam bin und einem Gesangsverein bei-
treten soll.“
Mein Handy piepte und zeigte eine neue SMS
an. Danke dass du mich fährst, stand da.
„Ich bin nicht einsam“, sagte mein Vater, „du
reichst mir an Menschlichkeit vollkommen“, und
ich stellte mir vor, wie mein Vater nachts durch
seinen Garten ging, mit erhobenem leuchtendem
Telefon, und die Gesellschaft von Geistern suchte.
Wir fuhren jetzt sehr oft zu Wilbert. Manchmal
glaubte ich, dass mein Vater seine Geräte nur ver-
wahrlosen ließ, um sie Wilbert bringen zu können,
und meistens, wenn ich gerade dachte, ob er wohl
heute klingelt, ob wir wohl heute wieder fahren
werden, stand Minuten später mein Vater mit ei-
ner defekten Gerätschaft vor der Tür und sagte:
„Komm mit.“ Wir standen im Einkaufszentrum
und warteten auf Wilbert, entweder schickte mein
Vater jemand mit einer falschen verheerenden
Verdachtsdiagnose auf die Suche oder wir warte-
ten einfach so. Ich sagte dann nach einer langen
Weile: „Papa, er kommt nicht“, und wollte ihn weg-
ziehen, aber mein Vater war sicher, dass Wilbert
noch erscheinen würde, als sei Wilbert der Mond.
So standen wir da und sahen auf endlose Regale
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fons war voller Dreck. „Sie sollten etwas pflegli-
cher mit Ihren Geräten umgehen“, sagte er.
„Er liebt sein Telefon, aber er geht selten pfleg-
lich mit Sachen um, die er liebt“, platzte es aus mir
heraus, und mein Vater sagte: „Ich hasse es, wenn
sie von mir in der dritten Person spricht.“
Wilbert reinigte den Innenraum des Handys.
Wir sahen ihm schweigend zu, bis mein Vater
fragte: „Wilbert, leben Sie eigentlich im Hier
und Jetzt?“
Wilbert sah hoch und lächelte. „Sie lassen mir ja
keine Wahl“, sagte er.
Wieder sahen wir ihm lange nach, als er ver-
schwand, bis jemand meinem Vater auf die Schul-
ter klopfte. Es war der erschrockene Mitarbeiter,
er hatte hinter uns gewartet und hielt meinem Va-
ter jetzt eine Lupe hin. „Machen Sie sich keine Sor-
»Erinnern Sie sich an die
Wählscheibe?«, fragte
mein Vater, »es klang
geheimnisvoll, oder? Wie
ein Fuchs im Gebüsch«
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