Handelsblatt - 30.08.2019 - 01.09.2019

(Jeff_L) #1
zinsen zu schützen. Diese Prüfung ist aber kompli-
ziert und wird etwas dauern.“
Wenn Geldhäuser privaten Kunden heute schon
Strafzinsen berechnen, dann für Summen ober-
halb von 100 000 Euro, oft sind sogar 500 000
oder eine Million Euro die Grenze. Derzeit verlan-
gen etwa 30 der rund 1 600 deutschen Kreditinsti-
tute laut Daten der Vergleichsportale Verivox und
Biallo einen Negativzins von meist 0,4 Prozent für
hohe Einlagen auf Giro- oder Tagesgeldkonten.
Gäbe es flächendeckend solche Regelungen, wä-
re allerdings nur ein Bruchteil der Kunden betrof-
fen. Die meisten Deutschen haben nämlich viel we-
niger Geld auf dem Konto. So ergab die Umfrage
auch, dass 34 Prozent der Befragten maximal über
einen Anlagebetrag von 2 500 Euro verfügen, bei
weiteren 36 Prozent sind es gut 2 500 bis höchstens
30 000 Euro. Auf mehr als 100 000 Euro
kommen nur acht Prozent.
Die Umfrage von Investors Mar-
keting zeigt auch, dass reichere
Kunden auf Minuszinsen nur
wenig anders reagieren wür-
den als Sparer mit weniger
Geld. Unter Befragten mit
mehr als 50 000 Euro Anla-
gebetrag würden ähnlich
viele wie im Durchschnitt
die Bank wechseln oder
mehr Bargeld halten. Nur bei
einem Punkt gibt es einen
deutlichen Unterschied: Gut 40
Prozent der etwas Vermögende-
ren geben an, im Fall von Negativzin-
sen in Wertpapiere umzuschichten. Im
Schnitt sind es nur gut 20 Prozent.
Banken versuchen seit Längerem, Kunden zu
mehr Anlagen in Wertpapieren zu bewegen. Das
würde nicht nur zu weniger Kurzfristeinlagen füh-
ren, sondern ihnen auch Provisionserträge besche-
ren, mit denen sie Rückgänge im Zinsergebnis teils
auffangen könnten.
Insgesamt sind die Kunden indes unsicher bei
der Frage, ob es künftig vermehrt Minuszinsen
oder extra Gebühren für höhere Guthaben geben
wird. Etwa die Hälfte bezieht keine eindeutige Po-
sition dazu. Ein Viertel der Befragten hält es für un-
wahrscheinlich, ein anderes Viertel für wahr-
scheinlich. „Es gibt einen gewissen Grad der Ver-
unsicherung“, sagt Mihm. Das bedeute für die
Banken, dass sie bei diesem Thema sehr gut kom-
munizieren und sich in die Position der Kunden
versetzen müssten.

Schließlich sind die langfristen Folgen der Ein-
führung von Strafzinsen schwer einzuschätzen.
„Für Banken gibt es das Risiko, dass sie Kunden,
die ihre Bankverbindung wechseln, auch nicht wie-
dergewinnen“, meint Mihm. „Zurzeit hätten die
Banken und Sparkassen gerne weniger Einlagen.
Aber sie brauchen auch Einlagen, um Kredite ver-
geben zu können.“ Hinzu komme, dass Wettbewer-
ber, wahrscheinlich künftig auch große Tech-Kon-
zerne, in das Bankengeschäft einsteigen würden.
Mihm verweist darauf, dass schon jetzt Finanz-
Start-ups wie Raisin – im deutschen Sprachraum
eher unter dem Namen Weltsparen geläufig – um
die Einlagen der Kunden werben.
Obendrein müssen Banken, die Minuszinsen in
der Breite einführen, mit Gegenwind von Verbrau-
cherschützern rechnen – und mit weiteren Klagen.
Aus Sicht von Klaus Müller, Chef des Ver-
braucherzentrale Bundesverbands,
sind Strafzinsen bei bestehenden
Verträgen rechtswidrig. Viele Be-
obachter rechnen damit, dass
ein Rechtsstreit um Minuszin-
sen letztlich irgendwann
vom Bundesgerichtshof,
dem obersten deutschen
Zivilgericht, entschieden
wird.
Das Landgericht Tübin-
gen hatte vor gut einem Jahr
bereits geurteilt, dass ein Ent-
gelt für die Einlagenverwah-
rung bei einem Girokonto mit
Kontoführungsgebühr nicht erlaubt
ist (Az. O 225/17). Bei Tagesgeldkonten,
so die Richter, dürfen Banken privaten Kunden
im Nachhinein keine Minuszinsen auferlegen (Az. 4
O 187/17). Für neue Verträge wäre es demnach aber
zulässig.
Geklagt hatten in dem Tübinger Fall die Verbrau-
cherzentralen aus Sachsen und Baden-Württem-
berg, die Klarheit bei der Frage haben wollten. Ver-
braucherschützer würden auch erneut den Rechts-
weg beschreiten, sollte ein Kreditinstitut
Minuszinsen auf Girokonten oder Tagesgeldkonten
ab dem ersten Euro oder ab einer niedrigen
Schwelle von beispielsweise 10 000 Euro veran-
schlagen: „Wenn eine Bank einen solchen Minus-
zins einführt, würden wir wieder klagen“, kündigte
Kay Görner, Finanzexperte bei der Verbraucher-
zentrale Sachsen, an. Er meint, dass Strafzinsen
selbst bei einer höheren Freigrenze, etwa 100 000
Euro, eigentlich nicht zulässig sind.

2019 2019

30 %
Ja

38 %
Ja, doch keine
Details bekannt

32 %
Nein

7 %
Ja

25 %
Weiß nicht

68 %
Nein

Wie private Kunden auf Minuszinsen reagieren würden

Was würden Sie tun, wenn Ihre Bank* Strafzinsen einführt, von denen ein erheblicher Teil
der persönlichen Kontoguthaben betroffen wäre?

Wahrscheinlich

Keine (klare) Haltung
Unwahrscheinlich

(Sehr) (Sehr)

Wissen Sie, dass Banken* für Einlagen bei der
EZB -0,4 % Zinsen zahlen?

Finden Sie es nachvollziehbar, dass Banken*
Minuszinsen an Privatkunden weitergeben?

Wechseln zu einer anderen Bank
Umschichten in Bargeld
Umschichten in Sachwerte
Umschichten in Wertpapiere
Kauf hochwertiger Konsumgüter
Umschichten in Versicherungen
Gar nichts

52 %
36 %
30 %
22 %
12 %
9 %
10 %

22 %
30 %
35 %
45 %
5
%
6
%
64 %

HANDELSBLATT • 2 032 Befragte, 19.8 bis 26.8.2019; *Banken und Sparkassen • Quelle: Investors Marketing

23


PROZENT
der Verbraucher halten es für
wahrscheinlich, dass ihre Bank bald
Strafzinsen für hohe Guthaben von
Privatkunden verlangt.
Quelle: Umfrage von Investors
Marketing

Ikon Images/Getty Images

Bulle & Bär

Pfandbrief


vor schweren


Zeiten


D


er Pfandbrief feiert Geburtstag.
Gestern vor 250 Jahren, am 29.
August 1769, hatte der preußische
König Friedrich der Große die Cabinets
Ordre zur Gründung der Schlesischen
Landschaft erlassen. Ein rechtlicher Rah-
men, der als Geburtsstunde des Pfand-
briefrechts gilt. Mit dem heutigen Pfand-
briefgesetz hat das Ganze allerdings nur
noch wenig zu tun.
Heute gilt die Anleihe als einer der we-
nigen Exportschlager der deutschen Fi-
nanzindustrie. Eine neue Dimension er-
reichte der Markt, als die Banken unter
Führung des damaligen Depfa-Vorstands
Gerhard Bruckermann in den 1990er-Jah-
ren den sogenannten Jumbo-Pfandbrief
einführten. Er entwickelte sich zum Glo-
bal-Pfandbrief, der überall auf der Welt
handelbar ist. Wichtig waren vor allem die
USA als Mutter der Finanzmärkte, wo die
Anleihegattung als Privatplatzierung ver-
wertbar war.
Danach folgte eine Standardisierung,
damit die Qualität der „Jumbos“ nicht ver-
wässert werden konnte. Dazu gehörte das
Volumen von wenigstens einer Milliarde
D-Mark, für eine Mindestliquidität zur
Handelbarkeit wurde über Marketmaker
ebenfalls gesorgt. Inzwischen gibt es auch
einen „Grünen Pfandbrief “, der mit Blick
auf eine nachhaltige Finanzierungspolitik
sicher viel an Gewicht gewinnen wird. Un-
bestritten ist zudem die Krisenfestigkeit
des oftmals mit Hypothekendarlehen un-
terlegten Wertpapiers.
Doch für Anleger sind die Zeiten auch
beim Pfandbrief schwierig geworden. Die
Anleihen rentieren nur noch mit Minus-
zinsen, gleichgültig, ob es sich um ein-
oder zehnjährige Papiere handelt. Auch
hier spiegelt sich die Notenbankpolitik wi-
der. Bald stellt sich zudem die Frage, wie
Banken mit Krediten für Immobilien um-
gehen, für die keine Zinsen mehr verlangt
werden oder sogar noch Geld zu bezahlen
ist. Ist das dann noch der stabile, sichere
Deckungsstock für Pfandbriefe?
Aber noch ist es nicht so weit. Ange-
sichts einer in Deutschland schrumpfen-
den Wirtschaft im zweiten Quartal und
eingetrübter Wirtschaftsaussichten wer-
den die Renditen sicher weiter fallen, was
zu guten Erträgen für in Pfandbriefe in-
vestierte Anleger führt. Voraussetzung:
Sie steigen zum richtigen Zeitpunkt wie-
der aus. Damit tun sich viele schwer.

Der tägliche Kommentar
des Handelsblatts analysiert
die Entwicklung
an den Finanzmärkten.
Von Robert Landgraf

Private Geldanlage


WOCHENENDE 30./31. AUGUST / 1. SEPTEMBER 2019, NR. 167^31


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