Handelsblatt - 30.08.2019 - 01.09.2019

(Jeff_L) #1
Damit steht er stellvertretend für einen Trend,
der im wahrsten Sinne des Wortes disruptives Po-
tenzial hat – weil er dabei behilflich sein kann, ei-
nes der größten Probleme der Menschheitsge-
schichte zu lösen.
Davon ist zumindest David Rolnick überzeugt.
Der Mathematiker von der Universität von Penn-
sylvania ist einer der Autor*innen eines kürzlich
veröffentlichten Arbeitspapiers. Eine Gruppe von
Informatiker*innen und Mathematiker*innen be-
schreibt darin 13 Felder, in denen künstliche Intel-
ligenz (KI) den Klimawandel bekämpfen kann: bei
der Energieversorgung und im Frachtverkehr, im
Gebäudemanagement und der Stadtplanung, in

der Meteorologie und in der Forstwirtschaft.
„Künstliche Intelligenz verleiht uns neue Super-
kräfte“, sagt Andrew Ng, Co-Autor des Papiers,
Stanford-Professor und einer der renommiertes-
ten KI-Expert*innen weltweit.
Darauf baut man auch bei Microsoft: „Es gibt
nur wenige gesellschaftliche Bereiche, in denen
künstliche Intelligenz mehr Wirkung zeigen kann
als bei den dringenden Aufgaben, die für die Über-
wachung und Verwaltung der natürlichen Syste-
me der Erde erforderlich sind“, sagt Microsoft-Prä-
sident Brad Smith. Der Konzern hat 50 Millionen
Dollar in Aussicht gestellt, um entsprechende KI-
Projekte rund um den Globus zu finanzieren.
KI? War sie nicht eben noch eine ferne Zu-
kunftsvision, die irgendwann einmal Jobs über-
nehmen, medizinische Diagnosen stellen oder Au-
tos fahren könnte? Die uns aber doch eher das
Fürchten lehrte als Hoffnung schenkte? Wie wur-
de sie vom Jobkiller zum Klimaretter?
Man könnte verstehen, wenn Jürgen Kurths
schlechte Laune hätte, gereizt wäre oder verzwei-

felt. Aber wer ihn in diesen Tagen in seinem Büro
besucht, erlebt einen freundlichen, ausgegliche-
nen und fröhlichen Menschen – obwohl ihm die
Welt da draußen eigentlich genug Grund für Mi-
santhropie und Zynismus liefert.
1992 gründete der deutsche Klimaforscher Hans
Joachim Schellnhuber das Potsdam-Institut für
Klimafolgenforschung (PIK). Vor zehn Jahren
fragte er den Mathematiker und Physiker Kurths,
ob er nicht die neue Abteilung Komplexitätsfor-
schung übernehmen wolle. Er wollte.
Damals deutete sich schon an, was heute unter
Fachleuten Allgemeinwissen ist. KI ist dem Men-
schen in vielen Bereichen überlegen – etwa wenn
es darum geht, Muster zu erkennen, Vorhersagen
zu präzisieren und Daten auszuwerten. „Und diese
Potenziale“, sagt Kurths, „werden auch bei der Be-
kämpfung des Klimawandels von entscheidender
Bedeutung sein“ (siehe Interview Seite 24).

Frühe Warnungen
Schon Mitte der Siebzigerjahre prophezeiten Me-
teorologen eine folgenschwere Aufheizung der
Erdatmosphäre durch den steigenden Kohlendi-
oxidgehalt in der Luft. Unterstützung erhielten sie
vom obersten Klimaforscher der US-Raumfahrtbe-
hörde Nasa. James Hansen präsentierte im Juni
1988 in einer Anhörung vor dem amerikanischen
Senat die Ergebnisse seiner Studien: „Der Treib-
hauseffekt ist inzwischen eindeutig“, sagte Han-
sen, „und er verändert unser Klima schon jetzt.“
Damals schickte sich das Jahr 1988 an, das
wärmste aller Zeiten zu werden – der Rekord wur-
de seitdem sechs Mal gebrochen. Gegenüber dem
britischen „Guardian“ äußerte sich Hansen kürz-
lich eher pessimistisch: „Wir sind uns jetzt einig,
dass es ein Problem gibt“, sagte Hansen, „aber
nicht, wie wir es lösen sollen.“
Auch die internationale Politik kennt kaum
noch ein anderes Thema. Mitte September treffen
sich Staats- und Regierungschefs mit Konzernver-
treter*innen und Jugendlichen auf Einladung des
Uno-Generalsekretärs zu einem Sondergipfel in
New York. Der Gastgeber António Guterres hat es
schon klargemacht: Wem die Sache nicht ernst
sei, der solle bitte zu Hause bleiben. Wie ernst es
Greta Thunberg ist, wurde schnell klar: Die schwe-
dische Aktivistin kündigte an, mit einem emissi-
onsfreien Boot nach New York zu segeln.
Sicher, man könnte die 16-Jährige als störri-
sches Mädchen abkanzeln. Und doch zeigt ihre
globale Anziehungskraft, dass aus etwas Kleinem
manchmal etwas sehr Großes werden kann. Denn
von ihrem Beispiel lassen sich derzeit sehr viele
Menschen inspirieren: Sie entscheiden sich gegen
das Meckern – und für das Machen.
So wie der Gründer Robert Heinecke. Im Winter
2014 stand der damalige Unternehmensberater
auf einem Bürgersteig und konnte die gegenüber-

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KI


verleiht


uns neue


Super-


kräfte


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