Interview
»Ohne Daten
keine Vorhersage«
ada: Herr Kurths, ist die Erde noch zu
retten?
Jürgen Kurths: Ich bin immer noch
optimistisch. Die Erde hat im Laufe
ihrer Geschichte viel erlebt. Selbst
wenn das Klima völlig kippt, wird sie
einen stabilen Zustand finden – bloß
werden dort dann eben nur noch we-
nige Menschen leben können.
Das klingt ja sehr optimistisch ...
JK: Es ist inzwischen gut erforscht,
dass der Meeresspiegel mit der glo-
balen Erwärmung steigt. Viele Regio-
nen werden künftig überschwemmt,
Hunderte von Millionen Menschen
auf der Flucht sein. Aber ich bin fest
überzeugt, dass wir die Situation
noch verbessern können.
Wieso?
JK: Vor allem wegen des technologi-
schen Fortschritts. Zum einen glau-
be ich, dass wir sehr bald über effi-
ziente Technologien verfügen wer-
den, die CO 2 gewissermaßen einfan-
gen. Zum anderen gibt es große Fort-
schritte in der Zusammenarbeit zwi-
schen KI und Klimaforschung.
Warum beschäftigen sich Mathema-
tiker*innen mit KI und dem Klima-
wandel?
JK: Ich habe mich ursprünglich mit
der Analyse komplexer Systeme be-
schäftigt, da gibt es eine enge Ver-
bindung zur theoretischen Physik
und auch zur Erforschung von Kli-
masystemen. Vor gut zehn Jahren
hat mir PIK-Gründer Hans Joachim
Schellnhuber das Angebot gemacht,
eine eigene Abteilung zu gründen –
weil er damals schon davon über-
zeugt war, dass Mathematik und
Physik für die Klimaforschung wich-
tig sind. Damals gab es auch in Fach-
kreisen etliche Kolleg*innen, die an
der Klimaerwärmung zweifelten. Die
sind inzwischen in der Minderheit.
Wie sieht die Arbeit Ihres Bereichs
konkret aus?
JK: Es geht uns vor allem darum,
Kausalketten zu verstehen: Bei Hit-
zewellen kommt es zu starken Dür-
ren, dann ist die Wahrscheinlichkeit
von Waldbränden viel höher. Starke
Niederschläge resultieren in Über-
schwemmungen, daraufhin kommt
es oft zu Hangrutschungen. Maschi-
nelles Lernen hilft dabei, bessere
Vorhersagen zu treffen.
Inwiefern?
JK: Die Datenmenge ist inzwischen
so riesig groß, dass wir mit bisherigen
Methoden nur bis zu einem gewissen
Punkt kommen. Neuronale Netzwer-
ke analysieren Bilder und Wetter -
lagen einfacher und zuverlässiger, als
der Mensch es jemals könnte. Das er-
laubt uns schnellere, günstigere und
präzisere Vorhersagen. Zum Beispiel
im Falle des indischen Monsuns, des-
sen Beginn wir nun zwei Wochen
früher prognostizieren können.
Wie kam es dazu?
JK: Der Monsun ist eines der wich-
tigsten Themen in der Klimatologie,
wir wollten den Mechanismus bes-
ser verstehen. Bei der Analyse der
Daten fiel auf, dass zwei wenig be-
achtete Gebiete entscheidend für
seinen Beginn sind, das östliche
Ghat-Gebirge sowie Nord- und Zen-
tralpakistan. Dort konnten wir erste
Frühindikatoren identifizieren.
Viele Projekte im Bereich KI und Kli-
maforschung entstehen nur durch
großzügige Spenden von Techkon-
zernen. Finden Sie das gut?
JK: Ich begrüße es, dass auch bei vie-
len Unternehmen ein entsprechen-
des Bewusstsein entstanden ist.
Gleichwohl ist das ein schmaler Grat,
weil sich manche Konzerne einmi-
schen und andere die Daten nicht
freigeben. Aber genau das ist essen-
ziell – ohne Daten keine Vorhersage.
Viele Menschen fahren inzwischen
lieber Bahn, statt zu fliegen. Finden
Sie auch, dass das Thema in der Be-
völkerung angekommen ist?
JK: Ja, da sind wir zumindest in
Deutschland deutlich weiter als an-
dere Länder.
Was tun Sie ganz persönlich?
JK: Ich esse vor allem weniger
Fleisch.
Und was ist mit Flugreisen?
JK: Ich versuche, sie zu vermeiden.
Allerdings muss ich zugeben: Bei Te-
lefonkonferenzen entstehen selten
brillante Ideen. Deswegen ist es un-
vermeidlich, sich ab und zu von An-
gesicht zu Angesicht treffen.
Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) gehört zu den weltweit einflussreichsten Denkfabriken für Umweltschutz,
Jürgen Kurths leitet dort die Abteilung Komplexitätsforschung. Im Gespräch mit Daniel Rettig erzählt er,
warum er aus der Zusammenarbeit von Informatiker*innen, Mathematiker*innen und Physiker*innen neuen Optimismus zieht.
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