Berliner Zeitung - 30.08.2019

(Michael S) #1

B e rlin


Berliner Zeitung·Nummer 201·Freitag, 30. August 2019 15 * ·························································································································································································································································································

NahverkehrundsibirischeEichhörnchen


INGMAR STADELMANN
muss alsComedian immer darauf
achten, dass selbst die schrägsten
Geschichten, die er in seinenSolo-
programmenaufderBühneerzählt,
noch etwas mit dem Leben zu tun
haben.Wennerdermaßenübertrei-
benwürde,dassniemandmehrdas
Leben,sondernnurnochpsychoak-
tiveSubstanzenalsQuellefürseine
Nummervermutenwürde,hätteer
ein Glaubwürdigkeitsproblem. So
gesehenmussersichgenauüberle-
gen,oberseinErlebnisimStraßen-
verk ehr,überdasergeradevordem
Amtsgericht als Zeuge aussagen
musste,tatsächlichauf der Bühne
erzählt: „Das glaubt mir kein
Mensch!“
Angefangenhatte es wie ein her-
kömmlicherAutounfall,sogar eher
wie ein leichter.Ein fremdes Auto
rollte beim Rückwärtsfahren gegen
das vonStadelmann. Unddann
wurdeeskriminell:„DerFahrerfuhr
einfachdavon.“MitseinemVersuch
einerFahrerfluchthatteersichaller-
dings den Falschen ausgesucht,
dennStadelmannfährtgernschnell
und lenkt auf dem Wegzuseinen
Auftritten einen außergewöhnlich
flottenWagenmitgroßemHeckspoi-
ler:„Deutlich stärker motorisiert
habeichdenTypenandernächsten
Ampel gestellt. Mithilfe eines ande-
renBerliners,derdasallesbeobach-
tethatteundsichmitseinemWagen
dem des Unfallflüchtlingsin den
Wegstellte.“ Stadelmannstieg aus
und sprach den Unfallverursacher
an:„Kollege,dubistgegenmeinAuto
gebummst!“DieAntwortdesFahrers
kamihmziemlichgelalltvor.„Besof-
fenUnfälle–dermitmirwarandie-
sem Tagnicht der einzige –bauen
unddannabhauen.“AlsStadelmann
erfuhr,welchen Berufsein Unfall-
gegner ausübt, war er auf eine Ader
vonpurem Comedy-Gold gestoßen:
„Was macht der Mann beruflich?
Berliner Taxifahrer!Besserhätte ich
mir das auch nicht ausdenkenkön-
nen.“ Stadelmannwirft die Gagma-
schine an:„Besoffen zwei Autos an-
fahren und dann abhauen–ist das
dieneuePrüfungfürdenBerlinerTa-
xischein?“
Seit einiger Zeit macht eine an-
dereStadelmann-Nummer über
Berliner Busfahrerdie große Runde
durchs Internet. Wasinzwischen
auchwirkt:„WennichallepaarMo-
nateals Autofahrerpausiere,weilich
zuflottunterwegswarunddenFüh-
rerschein abgeben musste,begrü-
ßen mich dieBusfahrersehr he rz-
lich.Neulichg abesimNachtbus so-
gareineDurchsage,ind erichdirekt
undfast richtigals,Herr Stadelmeier’
angesprochen wurde.“Fahrscheine
kauftStadelmannsichnichtimmer:
„IchhabeganzguteFähigkeitenent-
wickelt,Kontrolleurezue rkennen.
Bauchtasche und Adidas-Turn-

IngmarStadelmannverarbeitet


ErlebnisseimÖPNVundTomSaller


tauchtefürseinenneuenRomantief


indieGeschichtederKPMein


vonAndreas Kurtz
[email protected]

Findet die besten Stoffe für sein Programm oft im echten Leben: Stand-up-Comedian
Ingmar Stadelmann. CHRISTIAN SCHULZ (2)

Hat seinen zweiten Roman geschrieben, der hoffentlich so erfolgreich wird wie der ers-
te: der AutorTomSaller.

schuhe kombiniertsonst nämlich
niemand.“
WerStadelmann demnächst se-
hen möchte,hat dazu am 20.Sep-
temberimSchlossparktheaterGele-
genheit.Da teilt er sich die Bühne

unter demMotto„Apfelstrudel trifft
Baklava“ mitJilet Ayse.Ab2 7. Sep-
tembergibtesStadelmanndannso-
gar international: „Amazon Prime
Video hat in Deutschland sechs
Shows,daruntereinevonmir,aufge-

zeichnet. Dielaufen weltweit mit
englischen Untertiteln.“ –Eri st
schon gespannt, ob ihn dann auch
BusfahrerinLondon,ParisundNew
Yorkerkennen.

TOM SALLER
gelang mit seinem Romandebüt
„Wenn Marthatanzt“2018gleichein
Bestseller.Umden nächsten Ro-
manvertrag musste derPsychothe-
rapeutalsonichtbetteln.Essollte
wiederetwasHistorischeswerden.
„IchwollteüberdieFliegerinElly
Beinhornschreiben,binabermit
demStoffnichtwarmgeworden.“
Während der Recherchen stieß
Saller auf eine Arbeit der Porzellan-
gestalterin und Bauhaus-Künstlerin
Marguerite Friedlaenderund wurde
auf derenZusamm enarbeit mit der
Königlichen Porzellan-Manufaktur
Berlinaufmerksam,inderenVerlauf
1929 das Kaffee- und Teeservice
„Hallesche Form“enstand. Die
Künstlerin mit jüdischenVorfahren
musste1933vordenNazisflüchten.
TomSaller hatte dieIdee zu seiner
Romanfigur Lili, die in „Ein neues
Blau“als KindermädchenfürdieFa-
milie des KPM-Direktors arbeitet
und ger nPorzellanmalerinwerden
möchte.
Während derRecherchen erhielt
Saller vonPorzellanmalerin Claudia
Tetzlaff, seit 37Jahren be ider KPM,
einedreistündigeFührungdurchdie
Manufaktur.Sallergibtzu,dasssiein
ihm einen lernbegierigen,vonjegli-
chemVorwissenunbelastetenSchü-
ler hatte: „Ich hatte keine Ahnung
vonPorzellan und keineBeziehung
dazu.Ichwusst enochnichteinmal,
was die KPM ist.“ An denErzählun-
gen vonClaudia Tetzlaff erfreuten
ihn immer wieder einzelne Wörter,
dieimAlltagderKPMoftverwendet
werden, innerhalb derMauern des
Hauses,abereineandereBedeutung
haben als draußen.Auch fr eute er
sich über dieInformation, dass die
Porzellanmaler Pinsel mit Haaren
des sibirischenEichhörnchens be-
vorzugen.SolcheDetailsmachenei-
nenRomanlebendig.DiealteOfen-
halle,ind erheutePorzellanverk auft
wird,fandSallersofortfaszinierend.
AuchwegenderfrüherüblichenArt,
mit der dortPorzellan gebrannt
wurde: Manbrachte es in dieO fen-
kammern,died annzugemauertund
ansc hließend angefeuertwurde n.
Erst nachzehn Tagen, bei derÖff-
nungderKammern,konntemanse-
hen,obdasWerkgelungenwar.Sal-
ler: „Faszinierend. Deshalb findet
das Finale desRomans in derOfen-
hallestatt.“
Sallers neuer Romanerscheint
am heutigenFreitag. ClaudiaTetz-
laff,seine Muse in allen fachlichen
Fragen,durfteihnvorallenanderen
lesen.Vorfastallenanderen:„Meine
Frauis tmeineersteLeserin.“

490Totedurch


Hitzesommer


inBerlin


Robert-Koch-Institut
bilanziertdasJahr

A


nden Folgen der großenHitze-
welleim verg angenenJahrsindin
Berlinetw a490Menschengestorben.
In den ungewöhnlich heißenSom-
mertagen derJahre2006 und 2015
gabes rund390beziehungsweise
Hitzetot einderHauptstadt.Dasgeht
ausBerechnungendesRobert-Koch-
Instituts (RKI) hervor. „Als Folge des
KlimawandelstreteninDeutschland
seitetwa der JahrtausendwendeHit-
zewellen in einer ungewöhnlichen
Häufigkeitauf“, schreibt das Institut
in einem Bulletin. „Starke und/oder

längereHitzewellen führen dabei re-
gelmäßigzu einer erhöhten Mortali-
tät, besondersin den älteren Alters-
gruppen.“BeieinerDebatteüberKli-
maschutzimBerlinerAbgeordneten-
haus bekräftigten die Grünen am
DonnerstagihrZiel,Benzin-undDie-
selautosbis2030ausderCityzuver-
bannen.„DerKlimanotstandistRea-
lität“, sagte der Grünen-Parlamenta-
rier GeorgKössler.Die Politikmüsse
nunradikal umsteuern.Berlinbrau-
cheauchmehrAbkühlung,mehrEnt-
siegelung im Straßenland, Bäume
undGründächer.
Derumweltpolitische Sprecher
derFDP-Fraktion, Henner Schmidt,
warfRot-Rot-GrünundUmweltsena-
torin Regine Günther(Grüne)Versa-
genbeimKlimaschutzvor.„Wirbrau-
chen schnell konkrete Maßnahmen
für die Gebäudesanierung und für
mehr erneuerbareWärme sowie
mehr attraktiveAngebotefür den
ÖPNV“,forderte er.AfD-Fraktions-
chefGeorgPazderskiwarfdemSenat
und Rot-Rot-Grün „Klimahysterie“
vor.„Ja,esstehtaußerFrage,dasssich
das Klima ändert.Vor10000 Jahren
war das so,und es wirdauchinZ u-
kunftsobleiben.“Esseifalsch,dafür
„zwanghaft“dieSchuldbeidenMen-
schen suchen. Während derParla-
mentsdebatte entrollten Klima-Akti-
visten auf derBesuchertribüne ein
Transparent, aufdemstand:„Klima-
notstand Berlin“. Sicherheitsperso-
nal begleitete dierund ein halbes
Dutzend Protestiererhinaus. (dpa)

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Nochmehr


Bau-Chaosin


Köpenick


InderSeelenbinderstraße
platzteeinWasser rohr

W


er Köpenick mit demAuto er-
reichen will, hat es ohnehin
schonschwer–weildie marodeSal-
vador-Allende-BrückeseitJanuarge-
sperrtistunddieLangeBrückeals Be-
helfsbrücke nur mit 10 km/h befah-
renwerdendarf.AmDonnerstagkam
ein neuesHindernis hinzu:In der
Seelenbinderstraße platzte eine ma-
rode gusseiserne Wasserleitungmit
einemDurchmesservon20Zentime-
tern.DasWasserüberspültedieFahr-
bahn. Undesunterspültedie Stra-
ßenbahngleise.
DieStraße musste deshalbkom-
plett gesperrtwerden, die Straßen-
bahnlinien60 und 61 nach Fried-
richshagen wurden unterbrochen.
AlsMitarbeiterderWasserbetriebean
einemAbzweiganderEckeBahnhof-
straße den Schieberder Leitung zu-
drehenwollten,hättensiefestgestellt,
dass dieser sich nicht bewegen ließ,
sagteStefanNatz,SprecherderWas-
serbetriebe.DieArbeitermusstenei-
nen weiter entfernt liegendenSchie-
berbenutzen.
Verkehrsteilnehmermüssensich
jetzt auf eine weitereBaustelle ein-
stellen: In der Seelenbinderstraße
müssennachdenWortenvonNatz
bis 50 MeterWasserrohr ausgewech-
selt werden. Auch an der Bahnhof-
straßewirdderSchieberausgewech-
selt–eineweitereBaugrubeentsteht.
DieWasserbetriebe vermuten, dass
dortdie40ZentimeterdickeLeitung
unterderrechtenFahrspurliegt.Also
dürfte es ab jetzt in der Bahnhof-
straßenochlangsamergehen.
Für die Bauarbeiten haben die
Wasserbetriebe nach einer ersten
Schätzung zwei Wochen veran-
schlagt.ObdieGleisederStraßen-
bahnlinien 60 und 61 ausgewechselt
werdenmüssen,istnachAngabenei-
nesBVG-Sprechersnochunklar.Die
BVGhabeeinenSchienenersatzver-
kehrmitBusseneingerichtet. (kop.)


Die Seelenbinderstraße wurde am Don-
nerstag überflutet. MORRIS PUDWELL


LesenSieamWochenende

Reise


Stippvisite inKuala Lumpur:Gott
Murugan und dieWolkenflüsse

43 Leuchttürme: Das Delta des
Sankt-Lorenz-Stroms in Québec

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