Berliner Zeitung - 30.08.2019

(Michael S) #1
Berliner Zeitung·Nummer 201·Freitag, 30. August 2019–Seite 20*
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S p ort

BesteRenditeaussichten


Nochistunklar,welcheVerwendungCoachLucienFavrefürJulianBrandthat.DennochmachtdieVerpflichtungdesNationalspielersfürdenBVBallemalSinn


VonDanielTheweleit, Dortmund

D


ie alten Geschichten
über denTrainer Lucien
Favrehaben sie in Dort-
mund beinahe schon
verg essen. Derschlaue Fußballtüft-
lerleideuntereinerlegendärenEnt-
scheidungsschwäche bei derSuche
nach neuenSpielern, hieß es bei-
spielsweiseinehemaligenKlubsdes
Schweizers.Ihm wurde zudem
nachgesagt, sich inweniger erfolg-
reichen Phasen einemGefühl der
Mutlosigkeit hinzugeben.DieMen-
schen, die beimBVBmit Favrezu-
sammenarbeiten, haben derartige
Eigenheiten, bisher nie als beson-
ders störend wahrgenommen.Die
SachemitdemMutistabertrotzdem
ein Thema beimBVB, ganz beson-
ders in dieserWoche vorder Partie
beiUnionBerlin.
In Köln am vorigen Spieltag
drehte dasTeam einen 0:1-Rück-
stand in einen 3:1-Sieg, nachdem
FavreMittederzweitenHalbzeitsein
bevorzugtes 4-2-3-1-System aufge-
geben,undeinenSechserdurchden
offensiven Julian Brandt ersetzt


hatte.„Wirhabendanacheinfachin
eineranderenArtundWeiseFußball
gespielt und neue Lösungen gefun-
den“, sagtMarcoReus.Daher stellt
sich dieFrage,obF avreamS onn-
abend (18.30Uhr) bei Union Berlin
die Courage hat, seinTeam vonBe-
ginn an in einem offensiveren 4-3-
mitnureinemdefensivenMittelfeld-
spielerantretenzulassen.

SchwierigeKonstellation
DahintersteckenÜberlegungen,die
vielmit Julian Brandt zutun haben.
DerdeutscheNationalspieler,des-
senVerpflichtung als besonders ge-
lungenerCoupgefeiertwurde ,istin
den vier Pflichtspielen nur zweimal
jeweils in der Schlussphase einge-
wechseltworden.„Dafürsitzenwirja
draußen, dass wir nachlegen kön-
nen, wenn wir gebrauchtwerden“,
sagt der 23-Jährige tapfer.InK öln
war seineIntegration ins Offensiv-
spiel der Schlüssel zumSieg, seine
Lieblingspositiongabesabervorder
Systemumstellung gar nicht: die
Doppelacht voreinem einzelnen
Sechser.InK öln änderteFavresein
System nur unter denZwängen des

Rückstandes,Brandt konnte in sei-
ner bevorzugtenRolle nebenReus
und vorAxel Witsel agieren, genau
dortwoerimFrühjahrbeiBayerLe-
verk usen glänzte.„Grundsätzlich
fühle ich mich da wohl“, sagt er,
„wenn du ein halbes Jahr dort
spielst, und dich an all dieAbläufe
gewöhnt hast, dann ist es quasi

Quatsch,wennmansichaufeinean-
derePositionumgewöhnt.“Offenist,
obFavreind iesemJahrmitdemof-
fensivformuliertenSaisonzielMeis-
terschaft öfter eine offensivereHer-
angehensweisewagt.
Weil der Flügelstürmer Thorgan
HazardimS pielbei Unionaufgrund
einer Rippenverletzung ausfallen

wird, kannBrandt sich am dritten
Spieltag auch ohneSystemumstel-
lung Hoffnungen auf einen ersten
Startelfeinsatzmachen.Aberwelche
RolleerbeimGroßprojektMeisterti-
telmittelfristigimneuenTeamspie-
lensoll, weißder zeitnochniemand.
Zwar kann er als alleinigerZehner
spielen, dortmüsste er allerdings
denAnführerReusausdessenLieb-
lingsrolleverdrängen, und auf den
offensivenFlügeln istJadon Sancho
gesetzt. Um sich hier zu etablieren,
müssteBrandtHazard, JacobBruun
Larsen sowie Raphael Guerreiro
überflügeln.UndMarioGötzesucht
inähnlichenBereichennachWegen
indie Mannschaft.BleibtBrandtein
SpezialistfürbesondereAufgabenin
der Schlussphase?Oder hat er eine
Zukunft als gesetzte Stammkraft?
Favrehält sich bedeckt.Wenn der
Trainer gefragt wird, welche Per-
spektiven die Leute aus der zweiten
Reihehaben,verweisterstetsaufdie
vorige Saison, in sich seine bevor-
zugteStartelfim VerlaufdesHerbstes
grundlegendänderte.
DieKonstellation ist schwierig
und wirft dieFrage auf, ob derBVB

den Nationalspieler tatsächlichver-
pflichtet hat,weil Trainer Favreihn
mittelfristigalsMannfürdieersteElf
sieht. Oder ob auch andereErwä-
gungeneineRollespielten.Esgibtja
dieses Phänomen, dassMenschen
sich vonder Möglichkeitverführen
lassen, ein echtes Schnäppchen zu
machen,obwohlsiedenwunderbar
günstigen Wintermantel oder die
neueSonnenbrille,dieesdaimAn-
gebotgibt,garnichtbrauchen.
Brandt war aufgrund einerAus-
stiegsklausel für 25Millionen Euro
deutlichunterseinemMarktwer tzu
haben, den transfermarkt.de auf 50
Millionentaxiert.Undselbstwenner
ein Ergänzungsspieler beim BVB
bleiben sollte,wirders ich vorsei-
nemVertragsende imSommer 2024
mit hoherWahrscheinlichkeit mit
sattemGewinnweiterveräußernlas-
sen.FürSportdirektorMichaelZorc,
diesenmeisterhaftenSpielerverkäu-
fer,istBrandtdahervermutlichnicht
nur ein Mann, der eine wichtige
Rolle beimTitelsammeln einneh-
men könnte.Eri st zugleich eine
Geldanlage mit bestenRenditeaus-
sichten.

HighTen: Julian Brandt klatscht mitPaco Alcácer ab. DPA/KIRCHNER


BUCHTIPP

MichaelJahn
LucienFavre: Der Bessermacher (AreteVerlag,212 S., 16 Euro)
Michael Jahn schreibt seit über 30 Jahren für die Berliner Zeitung.Ins einem jüngstenWerk
setzt er sich mit dem Phänomen LucienFavre auseinander.Mit einemTrainer,der mit Hertha
BSC in der Saison 2008/09 nur knapp die Sensation einer Meisterschaftverpasste,
inzwischen bei Borussia Dortmund die sportlicheVerantwortung trägt.

Nichtzuvergleichen


Zweimalschlugsichder1.FCUnionalsZweitligistimPokalgegenDortmundwacker,dochTrainerFischerunddieSpielererwartetnuninderLigaeinevölligandereHerausforderung


VonMax Ohlert

E


swar ein Duell der Schwerge-
wichte,dassichimverg angenen
Oktober imStadion vonBorussia
Dortmund abspielte.Auf der einen
SeitederungeschlageneBundesliga-
Spitzenreiter,auf der anderen der
ebenfalls ungeschlageneZweitliga-
Aufstiegskandidat Union Berlin.
EineSchlachtwardas,dievormehr
als 70000 Zuschauern, darunter
auch 8000 Anhänger derEisernen,
erst in der 120.Minute entschieden
wurde .DurcheinenFoulelfmeterfür
die Hausherren,verwandelt durch
MarcoReus.
Aufden Taggenau zehn Monate
später treffen die beiden nun am
kommendenSonnabenderneutauf-
einander–alsLiga-Konkurrentenin
derhöchstendeutschenSpielklasse.
Da der Tabellenführer in Schwarz-
Gelb,dersichdieMeisterschaftzum
Ziel gesetzt hat und dementspre-


chend aggressiv auf demTransfer-
markt zugange war.Dad er Aufstei-
ger in Rot-Weiß, der imSommer ei-
nen umfassenden Kaderrelaunch
vollzogenhat,abertrotzallerEupho-
rienurein Zielkennt:denKlassener-
halt. So liegen letztlich immer noch
Welten zwischen diesen beiden
Klubs,die sich imVorjahr und auch
beim Pokal-Fight 2016, der erst im
Elfmeterschießen zuGunsten von
Dortmund entschieden wurde,zu-
mindest für jeweils 90Minuten auf
Augenhöhebegegneten.

EinoptimistischerPolter
EinGefühl,dassauchdieSpielerder
Eisernen haben. „Die beidenSpiele
im Pokal und das bevorstehende in
derLigakannmaneinfachnichtver-
gleichen“,bekräftigteKapitänChris-
topher Trimmel. DerÖsterreicher
verwies zum einen auf den Charak-
ter des Pokals,für den, wie das be-
rühmte Phrasenschwein nur zu ge-

Miteiner solchenRotation rech-
netder32-JährigevordemLiga-Du-
ellzwarnicht,aber:„Selbstwennsie
nurmitihrensogenanntenReservis-
ten auflaufen würden, wäredae ine
solche Riesenqualität auf demFeld.
So oder so sind wir derUnderdog
und dasSpiel wir deine mächtige

nau weiß, eigeneGesetzegelten.
Zumanderen erinnerteTrimmel an
dieKaderzusammenstellungderBo-
russen in denPokalspielen. „Dort-
mundhatbeideMalemächtigrotiert
und Spieler aufsFeld gebracht, die
vielleicht nicht so eingespielt waren
wiedienominellersteElf.“

Herausforderung.“Trimmelerinnert
ganz bewusst an dasAuftaktduell
mitRBLeipzig,das0:4verlorenging,
weil sich Union der schierenIndivi-
dual-Qualität der Leipziger geschla-
gengebenmusste.Zus tarkfüreinen
sich in derFindungsphase befindli-
chen Aufsteiger.„DasSpiel gegen
Dortmund ist genau die gleicheKa-
tegoriewiedasgegenLeipzig.Wenn
wireinensehrsehrgutenTaghaben
undder BVBeinenschlechten,dann
könnenwirdawasholen.“
Doch es gibt auch optimistische
Stimmen bei denEisernen.So er-
klärte Stürmer Sebastian Polter,der
im verg angenenOktober doppelt
traf und dieBorussia damit in die
Verlängerung zwang, ganz pragma-
tisch:„WirhabeninzweiSpielenbe-
wiesen, dass wir es können.Wieso
sollte es nicht diesmal wieder klap-
pen?“ Undausgerechnet der sonst
eher vorsichtig-zurückhaltende
Union-Trainer Fischer schlägt in

eineähnlicheKerbe:„Natürlichwird
daseinganzanderesSpielalsimPo-
kal.Ichglaube,vonden Spielern,die
da gegen uns in derStartelf gestan-
denhaben,sindvieleschongarnicht
mehrda.Aberwirhabendochganz
grundsätzlichgezeigt,dasswirgegen
eineMannschaftwieBorussiaDort-
mundmithaltenundbestehenkön-
nen.DasswireinSpielgegeneinsol-
chesTeam auch mal offen gestalten
können.Dasmüssen wir mitneh-
men.DamüssenwirSelbstvertrauen
drausziehen.“
Fischer gab sich deshalb in der
Gegneranalyse ganz bewusst sach-
bezogen.In derSpieltagspressekon-
ferenzsagteer:„Klar,derBVBistein
Favoritauf die Meisterschaft.Aber
fürunsistdiePartieam Sonnabend
einfach das nächsteSpiel im Kalen-
der.Aufdaswirunsganznormalvor-
bereiten undversuchenwerden, da
anzuknüpfen, wo wir inAugsburg
aufgehörthaben.“

Unions Lenz und Schmiedbach stellen Dortmunds Pulisic. IMAGO IMAGES
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