Berliner Zeitung - 30.08.2019

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Berliner Zeitung·Nummer 201·Freitag, 30. August 2019 (^3) ·························································································································································································································································································
ImJahr1945kehrtKonradWolf,SohndesSchriftstellersFriedrichWolf,
ausdemsowjetischenExilnachDeutschlandzurück,inseinGeburtsland.
EsisteinlangerWegbisin dieNähevonBerlin,
einWegvollerZerstörung.DieschrecklichenErfahrungen,diederjunge
OffizierderRotenArmeeindiesenKriegsmonatenmacht,prägenseinen
BlickaufdiefremdeHeimatundseinSchaffenalsFilmregisseur.
EinexklusiverVorabd ruckausdemBuch„KonradWolf.Chronistim
JahrhundertderExtreme“vonAntjeVollmerundHans-EckardtWenzel
K
onrad Wolfistnichtneunzehn,son-
derngeradeerstsiebzehnJahrealt,
alserdurchdieKriegskommission
desMoskauerStadtbezirksKrasno-
presnenskoje zurTeilnahme am Krieg gegen
Hitler-Deutschland einberufen wird.Im De-
zember1942hatteerdie9.Klasseabgeschlos-
sen,am10.Januar 1943 bereitsfährteraus
Moskauab.ErwirdderPolitverwaltungdes
Oberkommandosbeigeordnetundvondort
ausandieTranskaukasischeFrontabkom-
mandiert. Nach längerem Transportper
Bahn,FliegerundLastergelangterüberOren-
burg, Tschakolow, Baku,Tiblissi,Suchumibis
nachKabardinkaamSchwarzenMeer.Erwird
der 7. Abteilung der Politabteilungder 7. Ar-
meezugewiesen,woermitdemSchreibenei-
nesKriegstagebuchsbeginnt.SeineersteEin-
tragung trägt das Datum 18. März1943. Gut
zweiJahrespäter,am3.Mai1945,endendie
Notizen abrupt zwischen Potsdam und
Nauen. DieentscheidendenletztenTage des
KriegeshaternichtmehrimTagebuchaufge-
zeichnet. Am Ende des Krieges war Konrad
WolfneunzehnJahrealt.
Sein Bruder Markus hatte sich 1941 bei
der Parteischuledes Exekutivkomiteesder
Komintern, zunächstin Moskau, danach in
Kuschnarenkowo im Ural, beworben.Dort
wurdenausgewähltejungeLeutefürbeson-
dersgefährlicheEinsätzehinterdenFrontli-
nienvorbereitet.
RussischistzurMuttersprachegeworden
Unmittelbarnach dem Überfall auf die So-
wjetunionwaren die deutschenExilanten
ausMoskauevakuiertworden.Irgendwoab-
zuwarten, was mit ihm geschehenwürde,
war nicht die Sache vonFriedrichWolf. Für
ihn war es eine Selbstverständlichkeit,das
Land, das vonHitlers Armeen überfallen
wurde und das ihm Schutz voreigenerVer-
folgunggebotenhatte,zuverteidigen.Diese
Selbstverständlichkeitübertrugsichwortlos
aufdiebeidenSöhne.SiewarenkeinePazi-
fistenundauchinderSchulebereitsdazuer-
zogen worden, die Sowjetunionzu verteidi-
gen.AuchdieMutterunternahmkeineVer-
suche,die Söhne vordem Krieg zu bewah-
ren. Nicht die Teilnahmeam Krieg und die
möglicheGefährdung des eigenenLebens
war für Konrad das wirkliche Problem. Er
wollte sich bewähren in seiner Aufgabe,er
wollte dem harten Dienst gewachsensein
und damit dem Vorbild des Vaters nachei-
fern. Am Ende des Krieges beunruhigte ihn
dann die bevorstehende Begegnung mit
demfremdgewordenenLand,dasereinmal
alsKindverlassenmusste.
Konrad folgt den langen und verlustrei-
chenWegender7.ArmeedurchdieUkraine,
durch Polen, vorbei an Majdanek –später
auch vorbei an Sachsenhausen. Seine
Hauptaufgabe als Dolmetscher wirddas
Übersetzen beiGesprächen undVerhören
vonGefangenensein.Erve rfasstFlugblätter
und kur ze Ansprachen, um die deutschen
Soldaten an der nahe gelegenenFront zum
Aufgeben,zumÜberlaufenoderwenigstens
zumZweifelnzubringen.Deswegenhörter
Nachtfür Nachtverschiedenedeutscheund
englischeSender ab ,formulierteigene Auf-
rufe,spricht ausgewählteNachrichten über
Lautsprecher,sucht Musikstücke aus,die
dieseWirkungverstärkenkönnten.
Dasferne Deutschland lernt er so zuerst
über dieSprache der Gefangenen und über
die deutschenSender kennen, denn ihm
selbst ist dierussische Sprache längst zur
Muttersprache geworden–auch seinTage-
buch verfasst er selbstverständlich inRus-
sisch. Wasera ls Erstes vonDeutschland
wahrnimmt, auf seinem langenWegvom
SchwarzenMeerbisindieNähevonBerlin,ist
dieungeheureZerstörungunddieBrutalität,
die diesenVernichtungsfeldzug kennzeich-
net.DiesefremdeSicht,diesesNicht-fassen-
KönnensolltelangeZeitprägendbleibenfür
Konrad Wolfs Blick auf seinGeburtsland.
Deutschland war keine vertraute Heimat,
Deutschlandwarfremd,grausamundunfass-
bar.Esfielihmnichtschwer,dasinseinenAn-
spracheninWortezuf assen,diezudendeut-
schenSoldatenandernahenFronthinüber-
gerufen wurden. Allerdings machte das die-
senPostenauchgefährlichundprovozierend
fürdieandere,diedeutscheSeite.
SeinWegind enletztenTagendesKrieges
führtanB erlinvorbeiüberBernau,Sachsen-
hausen,Spandau, Brandenburg, Potsdam
biszur Endstationam9.MaiinP remnitz.
„3. Mai1945, zwischen Potsdam und
Nauen:
DieganzeNacht zum 3.Maiverbrachten
wir im Freien: alleAngehörigen derPolitab-
teilung lagen in einerVerteidigungsstellung
rund um dasDorf.Nach Mitternacht kam
WolodjazumirundberichtetevoneinerBe-
ratungimArmeestab.EsgabsehrharteAus-
einandersetzungen zwischen den Offizieren:
vieleverlangten,gegendiedurchgebrochenen
deutschenTruppenjetztohnePard onvorzu-
gehen.Wolodjaerzählte,daßdieerstenInfor-
mationeneintrafen,wieSS-Einheiteninun-
seren rückwärtigenDiensten (Lazarette,La-
ger,Verpflegungsdepots usw.) regelrechte
Haß-und Vernichtungsorgienabgehaltenha-
ben.DieEinzelheitensollengrauenhaftsein.
Wirsindsehrdeprimiert.Ichdenkeanunsere
Feier und dasGefühl, endlich festenBoden
unterdenFüßenzuhaben,endlicheingreif-
bares, guttuendesVerhältnis zurZukunft ge-
funden zu haben (...)Dann hör eich wieder

KonradWolf 1945 PRIVATARCHIV ANDREA WOLF
DAS BUCH
AntjeVollmer,Hans-EckardtWenzel
Konrad Wolf.Chronist imJahrhundert
der Extreme
DieAndere Bibliothek, Berlin 2019. 484S.,42Euro
Lesungam 30. September,20Uhr,imRoten Salon
der Volksbühne, Restkarten ggf. an der Abendkasse
dieWortedesGenossenausBrandenburgvol-
ler Haß, sehe den blutüberströmtenUnter-
leutnantvorseinemGeschützzusammenbre-
chen.(...)EsbleibtunsjakeineandereWahl–
manmußsieebenausrotten,mitStumpfund
Stiel, das Gift des Faschismus steckt zu tief,
um Vernunft erwarten zu können (...)Ein
schrecklichesBlutbad ist wohl doch nicht zu
vermeiden.“

Manspürtind iesen Worten, wie da ein
jungerMenschmitsichundseinenGefühlen
ringt, wie er eineZukunft sucht, und doch
vordemHassderGegenwartzuk apitulieren
droht: Es bleibt uns ja keine andereWahl ...
MitdiesenextremenemotionalenSpannun-
gen betrat der 19-jährige Offizier derRoten
ArmeedenBodenseinerfremdenHeimat.Er
hattedasSchlüsselthemaseinespolitischen
undkünstlerischenLebensgefunden.
Alle drei Szenen dieses Kriegstages kurz
vorBerlinwerdenspäterwiederauftauchen
in Konrad Wolfs autobiographischemFilm
Ichwar neunzehnvon1968: Anzentraler
Stelle,mit liebevollen und heiterenDetails
ausgeschmückt,istdadieFeierineinerMai-
nacht,alsesdasGefühlgab, einguttuendes
Verhältnis
zurZukunftgefundenzuhaben.
IndieseselteneHeiterkeitplatztderhasser-
füllteAusbruchdesGenossenausBranden-
burg,dendieerlitteneNS-Haftmitgnaden-
losen Rachegedanken überschwemmt. Und
dann ist da das Bild einer ganz sinnlosen
Schießerei kurzvor der Kapitulation der
Deutschen, als das Kriegsendezum Greifen
naheist.Blutüber strömtbleibtdaeinrussi-
scher Unteroffizier zurück, der einFreund
Konrad Wolfswar.
„Ich war neunzehn“ ist die erste gelun-
geneUmsetz ungeinerFilmidee,inderKon-
radWolfseinpersönlichesLebensthemabe-
arbeitenkann:dieRückkehrausdemalsei-
gentlicheHeimatempfundenenRusslandin
das fremde,als ab weisend empfundene
Deutsc hland. Schon 1961 hatte er,zusam-
menm itGerh ardundChristaWolf,die Ver-
filmungvonderen Erzählung„MoskauerNo-
velle“geplant.FüralleBeteiligtenwärendie
Dreharbeiten inRussland vongroßem Reiz
gewesen.DasProjektscheiterte–nichtzum
letztenMalbeiWolf–anp olitischenEinsprü-
chen vonrussische rSeite.Ess ollte eine
kleine,schwebende,amE ndeunerfüllteLie-
besgeschichtewerden, stilistisch völlig un-
abhängigvonden meist erwünschtenSte-
reotyp en gezeichnet. 1964/65 planten die
drei erneut ein gemeinsamesFilmprojekt:
„Ein Mann kehr theim“. Auch hi er gab es
ProblemeundEinwände .DerTitelheldwäre
derSohneines Emigranten gewesen,der
sichinderDDRzunächstfremdf ühlt.Nach
dem11.PlenumdesZKwarauchbeidiesem
Filmprojektan Verwirklichungnichtmehrzu
denken. In seinen langfris tigenPlanungen
aber warKonradWolfv on überzeugender,
unendlicherGeduld. Mit„Ichwar neun-
zehn“ge lingtesihmschließlichdoch,seinen
Film zu drehen, allen deutsch-russischen
BedenkenzumTrotz.
WerftdochdieWaffenweg!
DerFilm is tein gemeinsames künstleri-
sches Projekt ei ner ganzenKriegsgenera-
tion. AlleBeteiligten:WolfgangKohlhaase
als Drehbuchautor,WernerBergmannals
Kameramann, AlfredHirschmeier als Büh-
nenbauerundGerh ardWolfalsDramaturg
erinner nsichsehrgenau,wiesieinlangen
Gesprächen ihrepersönlichenErinnerun-
gen zusammentrugen.Immer wieder er-
staunten sie darüber,dass die Wellen des
Krieges sie oft in eine räumliche Nähever-
schlagenhatten.
Konrad Wolfwaram22.April1945über-
raschend zumStadtkommandanten von
Bernau berufen worden, währendKohl-
haases ich zu dieserZeit in Adlershof und
HirschmeyerinPankowbefanden.Gerh ard
Wolf hatte den Lautsprecherwagen von
Wolfs Truppe noch an derOder erlebt, als
diesedorteinenBrückenkop fbeset zthielt,
aufden Gerh ardWolfssogenannteHeimat-
flak zielte.Erhatte selbst dieAufforderung
indeutscherSprachegehört: Werftdochdie
Waffenweg!WolfgangKohlhaasehatteinei-
nemletztenAufgebotvonPimpfenineinem
Himmelfahrtskommando gekämpft, um
die Rote Armee aufzuhalten.Werner Berg-
mannwiederumhattealsKameramannder
Propagand amaschine der NS-Wochen-
schau gedient und bei einem gefährlichen
Dreheinsatz in derUkraine einen Armver-
loren.
Siewollten einenFilm über diesen Krieg
gestalten, derweit entfernt warvomGenre
des Kriegsfilms: keine wogenden Schlach-
tenbilderundwildbewegtenMassen szenen,
keineStrömevonBlutunddetaillierteGrau-
samkeiten, keineWalküre-Ritte mit häm-
mernderMarschmusik.Konrad Wolf wollte
etwas andereszeigen und fasste das in den
Gedanken: DerKrieg ist still, die meisteZeit
istderKriegstill.

DieStille war es,die ihn so unerträglich
und schwer zu fassen machte.Die Lebens-
zeitderjungenSoldatenbestandausWarten,
aus Vorahnungen und Berichtenvon
schrecklichenBildernund Ereignissen, die
zumStoffvonAlbträumenwurden:
„DielängsteZeitsitztduineinerSchleuse,
kümmerstdichumEssenund Trinken, hältst
dieFüßehochundwartest.DerKriegholtLuft
undrolltwiederlos,egalvorwärtsoderrück-
wärts. Unddannisteswiederstill.“


Erwar


neunzehn

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