12 DER SPIEGEL Nr. 33 / 10. 8. 2019
Klimawandel
»Wir brauchen eine Waldwende«
Renate Künast, 63, von 2001 bis 2005
Bundeslandwirtschaftsministerin
(Grüne), über ihre voreilige Abmodera-
tion des Waldsterbens
SPIEGEL:Sie haben 2003 das Wald -
sterben für beendet erklärt. Haben Sie
zu früh entwarnt?
Künast:Wir hatten damals Zahlen,
die zeigten, dass sich die industrielle
Belastung für den Wald durch
Luftverschmutzung etwas verringert
hatte. Wahr ist aber, dass dieser
Satz von mir damals zu Recht eine
Menge kritischer Stimmen ausgelöst
hat. Zum einen war der erreichte
Erfolg nicht groß. Zum anderen
muss man sich anschauen, welche
Aus wirkungen Klimawandel
und Bewirtschaftung auf den Wald
haben.
SPIEGEL:Was haben Sie als Ministerin
für den Wald getan?
Künast:Wir wollten eine Agrarwende,
die auch eine Waldwende beinhaltet.
Es wurde eine Debatte angestoßen,
wie man Wald anders bewirtschaften
könnte. Schwerpunkt war allerdings
zunächst die Landwirtschaft, die auch
einen viel intensiveren Chemieeinsatz
hat als die Forstwirtschaft.
SPIEGEL:Sie haben damals die Bio-
landwirtschaft forciert. Braucht es
»bio« auch für den Wald?
Künast:Ja, wir brauchen eine Wald-
wende hin zum ökologischen Wald.
Mein altes Prinzip für die Landwirt-
schaft, »Klasse statt Masse«, muss auch
für Wälder gelten. Pestizide sollten nur
noch in Notfällen erlaubt sein. Besser
Pferde zum Holzrücken als Riesenma-
schinen. Und Holz, das ja CO
²
bindet,
muss für langlebige Produkte wie
Möbel genutzt werden und nicht für
schnelllebige wie Papier. Wir müssen
weg von monotonen Kiefern- und Fich-
tenplantagen. Anders als die derzeitige
Landwirtschaftsministerin sagt, hilft
nicht Geld allein bei der Aufforstung.
Das hilft nur den Großgrundbesitzern
aus der finanziellen Patsche. Wir brau-
chen einen Mischwald mit Bäumen,
die hier natürlich vorkommen.
SPIEGEL: Nun wächst der Wald ja sehr
langsam. Hätten Mischwälder nicht
schon in Ihrer Amtszeit angelegt wer-
den müssen?
Künast: Natürlich! Ich konnte aber
nicht alles gleichzeitig durchsetzen.
Entwürfe für ein Wald- und Jagdgesetz
hatten wir, aber das brachte vehemen-
ten Widerstand von großen Unterneh-
mern, die wegen ihrer Jagdinteressen
Druck machten. Am Ende hat mich die
Föderalismusreform überholt, die die
Zuständigkeit der Länder verstärkte.
SPIEGEL:Heute ist vom Waldsterben
2.0 die Rede. Kehrt da eine gewisse
Hysterie um den Wald wieder ein?
Künast: Mit Hysterie hat das nichts zu
tun, sondern mit Fakten. Früher ging
es vor allem um das Leiden der Wälder,
das die Industrie verursachte, Stich-
wort saurer Regen. Heute ist unsere
Art zu wirtschaften insgesamt ein Pro-
blem für das Klima. Und es kommt
etwas Neues dazu: Nicht nur der Wald
stirbt, sondern auch viele Arten ster-
ben, damit auch der Mensch. Das Aus-
maß dessen, was wir vor uns sehen, ist
viel größer als 2003. RED
JOSE GIRIBAS / FOTOFINDER
Stuttgart
Fahrverbote für Euro 5
Dieselfahrer in Stuttgart müssen sich
ab Anfang 2020 auf weitere Straßen -
sperrungen einrichten. Betroffen sollen
dann auch Fahrzeuge der Schadstoff -
klasse Euro 5 sein. Dies sieht ein neuer
Luftreinhalteplan der Landesregierung
vor, der am Montag veröffentlicht werden
soll. Darin sind optional vier große Ein -
fall straßen aufgelistet, unter anderem die
Hohenheimer Straße. Sie wären dann für
Dieselautos verboten, die vor 2015 zu -
gelassen wurden. Bislang gelten diese Ver-
bote in bestimmten Innenstadtzonen nur
für Diesel bis zur Schadstoffklasse Euro 4.
Die Verschärfung ist nötig, weil die Mess-
stellen in der Landeshauptstadt immer
noch Stickoxidwerte oberhalb der Grenz-
werte anzeigen. Verwaltungsgerichte hat-
ten deshalb weitere Maßnahmen von der
Landesregierung gefordert. Die Deutsche
Umwelthilfe will sogar eine Zwangshaft
gegen Ministerpräsident Winfried
Kretschmann (Grüne) vor Gericht erstrei-
ten, um die bisher ergangenen Urteile
durchzusetzen. Nun reagiert die Landes-
regierung – allerdings nur mit Fahrverbo-
ten auf einzelnen Straßen und nicht, wie
vom Verwaltungsgericht gefordert, mit
Sperrgebieten. »Die Stickoxidwerte sind
in der letzten Zeit deutlich gesunken,
weshalb wir davon ausgehen, dass die
jetzt im Reinhalteplan niedergelegten
Maß nahmen ausreichen«, sagt Regie-
rungssprecher Rudi Hoogvliet. Dem Luft-
reinhalteplan muss noch das Regierungs-
präsidium in Stuttgart zustimmen. GT
Steuervermeidung
Unit statt Share Deal
Die Finanzbranche erprobt neue Steuer-
vermeidungsmodelle bei Immobilienge-
schäften. Vor allem Banken und internatio-
nale Finanzinvestoren versuchen seit Jahren,
die Grunderwerbsteuer zu umgehen, indem
sie Immobilien in einem Firmenmantel ver-
stecken und nur Gesellschaftsanteile verkau-
fen. Diese sogenannten Share Deals sind in
der Regel nicht grunderwerbsteuerpflichtig.
Diese Praxis wollen die Finanzminister der
Länder und des Bundes beenden (SPIEGEL
32/2019). Internationale Anwaltskanzleien
raten daher zu neuen Modellen. Die US-
Wirtschaftskanzlei McDermott Will & Emery
empfiehlt sogenannte Unit Deals, »die keine
Grunderwerbsteuer auslösen«. Dabei wer-
den die Anteile eines Fonds statt der Immo-
bilie selbst verkauft.
Voraussetzung: Die
Immobilien müssen in
einem Sondervermö-
gen gebündelt sein. Ein
nach diesem Modell
steuerbefreites Grund-
stücksgeschäft hat
bereits die Hessisch-
Thüringische Landes-
bank Helaba abgewi-
ckelt. Im November
2018 erwarb die Invest-
menttochter der Hela-
ba einen Fonds mit
21 Gewerbeimmobi-
lien von einer Berliner
Investmentgesellschaft, angeblicher Kauf-
preis: 520 Millionen Euro. Mit der Transak-
tion sei aber nicht die Helaba Eigentümerin
der Immobilien geworden, so eine Spreche-
rin. Die Bank agiere »lediglich als Dach-
fonds-Manager«. Miteigentümer der Bank
ist dabei ausgerechnet das Land Hessen, des-
sen Finanzminister Thomas Schäfer (CDU)
als einer der schärfsten Kritiker derartiger
Steuervermeidungsmodelle gilt. Ein Spre-
cher des Landes erklärt, die Bank bewege
sich im »rechtlich Zulässigen«. Die Landes-
regierung wolle weiterhin »Steuervermei-
dungsstrategien beenden«. WAS
ALEXANDER EILENDER / METROPOL IMAGES
Helaba-Gebäude
in Frankfurt am Main