SPIEGEL:Frau Baerbock, Sie haben gefor-
dert, Europa müsse »weltpolitikfähig«
werden. Was ist damit gemeint?
Baerbock:Europa muss seine Werte und
Interessen selbstbewusst in der Welt ver-
treten und als eigenständige Friedens-
macht agieren. Die EU ist derzeit außen-
politisch schwach, auch weil Deutschland
in den vergangenen Jahren keine Füh-
rungsverantwortung wahrgenommen hat.
Darunter leidet Europa.
SPIEGEL:Wo hätte Deutschland denn füh-
ren sollen?
Baerbock:Nehmen Sie den aktuellen Iran-
konflikt. Die Europäer haben zehn Jahre
lang erfolgreich Krisenprävention betrie-
ben und das Abkommen mit Iran ausge-
handelt. In dem Moment, in dem die USA
den Deal aufkündigten, hätte der deutsche
Außenminister sagen müssen: Unser An-
spruch ist es, dieses Abkommen zusam-
men mit Russland und China zu retten.
Und dafür sorgen müssen, dass das in der
EU oberste Priorität hat. Stattdessen hat
man erst einmal abgewartet, was die Ame-
rikaner tun.
SPIEGEL:Wie weltpolitikfähig sind die
Grünen? Gerade im Konflikt um den
freien Schiffsverkehr in der Straße von
Hormus gab es aus Ihrer Partei sehr unter-
schiedliche Stimmen.
Baerbock: Unsere Außenpolitik folgt
einem Prinzip: Vorsorge betreiben, statt
hinterher die Scherben aufzukehren. Das
heißt für Hormus: Deeskalation.
SPIEGEL:Nun gibt es aber bereits Scher-
ben. Der außenpolitische Sprecher Ihrer
Fraktion, Omid Nouripour, befürwortet
eine europäische Mission zum Schutz des
Handelsverkehrs. Jürgen Trittin, einer Ih-
rer Vorgänger, verlangt dagegen ein Man-
dat des Uno-Sicherheitsrats für einen Ein-
satz der Bundeswehr.
Baerbock:Wo ist da der Widerspruch? Es
müsste ein gemeinsames europäisches Vor-
gehen auf einer klaren Rechtsgrundlage
geben. Unsere Sorge ist, dass ein Einsatz
unter Führung der Amerikaner, die das
Iranabkommen aufgekündigt haben, die
Lage verschärft. Eine Beteiligung an einer
US-Mission kommt daher für uns nicht
infrage.
SPIEGEL:Darüber herrscht in Deutschland
weitgehend Einigkeit. Was wäre mit einer
europäischen Mission?
Baerbock:Eins nach dem anderen. Zu -
allererst muss man Iran klipp und klar sa-
gen: Wir erfüllen unsere Zusagen, dass ihr
trotz der US-Sanktionen weiter Handel
mit Europa betreiben könnt, aber im Ge-
genzug müsst ihr im Atomabkommen blei-
ben und die Schiffe in Ruhe lassen. Das
muss der erste Schritt sein. Nur wenn das
nicht funktioniert, würde eine europäische
Mission mit dem Ziel der Deeskalation
überhaupt Sinn machen.
SPIEGEL:Im Grünen-Wahlprogramm von
2017 heißt es ausdrücklich: »Wir werden
Einsätzen der Bundeswehr nur mit einem
Mandat der Vereinten Nationen zustim-
men.« Das würden Sie auch für eine Be-
obachtermission wohl nicht bekommen.
Baerbock:Alle Fragen einer Mission im
Persischen Golf, auch die der Rechts -
grundlage, hängen von Ziel und Ausgestal-
tung ab.
SPIEGEL: Sie können sich also eine Teil-
nahme der Bundeswehr an einer EU-Mis-
sion ohne Uno-Mandat vorstellen?
Baerbock: Wie gesagt: Es kommt auf den
Einzelfall an. Es macht einen Unterschied,
ob wir über eine reine Beobachtungsmis-
sion oder bewaffnete Einsätze, internatio-
nale oder nationale Gewässer reden, ob
das Seerechtsübereinkommen oder die
Charta der Vereinten Nationen greift. Ein
bewaffneter Einsatz in den Gewässern des
Iran brauchte aus unserer Sicht ein Uno-
Mandat. Unabhängig davon wollen wir
angesichts der Dauerblockade im Uno-
Sicherheitsrat durch Vetomächte wie Russ-
land, China und die USA das Völkerrecht
weiterentwickeln. Wenn der Sicherheitsrat
wegen des Vetorechts dauerhaft hand-
lungsunfähig ist, sollte zum Beispiel die
Generalversammlung mit Mehrheit ent-
scheiden können.
SPIEGEL:Bisher hieß ein Grundsatz der
deutschen Politik: Wir machen mit, wenn
die Amerikaner dabei sind. Nun heißt es:
Wir machen mit, wenn die Amerikaner
nicht dabei sind. Kommen die USA als
außenpolitischer Partner noch infrage?
Baerbock:Ja, wir sind in einem gemein-
samen Verteidigungsbündnis. Aber es
wird immer schwieriger. Mich erschüttert
es als überzeugte Transatlantikerin, wie
schnell durch einen einzigen Präsidenten
die deutsch-amerikanische Freundschaft
auf die Probe gestellt wird und der Multi-
lateralismus unter Druck gerät. Jahrzehn-
telang hatten die USA ein Interesse an
Europas Sicherheit. Jetzt bezeichnet Do-
nald Trump die EU als Gegner. Auf dieses
gefährliche Spiel dürfen wir uns nicht ein-
lassen.
SPIEGEL:Wer ist gefährlicher: Trump oder
Wladimir Putin?
Baerbock:Das wechselt leider tagtäglich.
Von der Idee, man müsse sich zwischen
Russland und den USA entscheiden, halte
ich eh nichts. Europäische Außenpolitik
muss wertegeleitet sein, und diese Werte
müssen wir gegenüber einer amerikani-
schen Regierung unter Donald Trump und
gegenüber Russland unter Putin hochhalten.
SPIEGEL:Das klingt, als wären sie für eine
Äquidistanz zu Moskau und Washington.
Baerbock:Natürlich haben wir eine en -
gere Anbindung an die USA, uns einen
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Aber
gerade deshalb setzen angesichts des Agie-
rens von Präsident Trump so viele Ameri-
kaner auf uns Europäer.
SPIEGEL:Die Grünen inszenieren sich
gern als Europapartei. Dabei würden ihre
Forderungen in manchen Bereichen eine
europäische Zusammenarbeit erschweren,
etwa bei den Rüstungsexporten. Sie wol-
len noch schärfere Regeln. Die Franzosen
beschweren sich schon jetzt über den mo-
ralischen Hochmut der Deutschen.
22 DER SPIEGEL Nr. 33 / 10. 8. 2019
Deutschland
»Trump will das internationale
System kaputt machen«
SPIEGEL-GesprächGrünenchefin Annalena Baerbock, 38, über die Haltung
ihrer Partei zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr, europäische Rüstungsexporte
und zu der Frage, ob der Parlamentsvorbehalt noch zeitgemäß ist
»Von der Idee, man müsse
sich zwischen Russland
und den USA entscheiden,
halte ich eh nichts.«