W
enn es um die Kontaktpflege
zwischen Deutschland und
den USA geht, ist die Atlan-
tik-Brücke in Berlin die
erste Adresse. Seit bald 70 Jahren setzt
sich der gemeinnützige Verein dafür ein,
»die Zusammenarbeit zwischen Deutsch-
land, Europa und Amerika auf allen Ebe-
nen zu vertiefen«, so steht es in den Sta-
tuten.
Eine Schlüsselrolle spielen dabei tradi-
tionell die amerikanischen Botschafter.
Trifft ein neuer US-Vertreter in der deut-
schen Hauptstadt ein, richtet die Atlantik-
Brücke ein großes Dinner aus, das ist in-
zwischen guter Brauch.
Auch als Richard Grenell im vergange-
nen Jahr in Deutschland seinen Dienst an-
trat, wollte man ihn so empfangen. Doch
Grenell verzichtete. Kein Interesse.
Die Einladung, auf der Mitgliederver-
sammlung der Organisation Ende Juni vo-
rigen Jahres zu sprechen, lehnte der Bot-
schafter ebenfalls ab. Und auch beim an-
schließenden Barbecue, zu dem er als
»Ehren gast« ausgewiesen war, wollte Gre-
nell nicht reden. Stattdessen gab er
zwei Studenten ein Interview, in dem es
die meiste Zeit um seinen Hund und des-
sen Bedeutung im Leben des US-Botschaf-
ters ging. Dann war er bald wieder ver-
schwunden.
Seither herrscht Funkstille zwischen Do-
nald Trumps Vertreter in Berlin und der
wichtigsten deutsch-amerikanischen Lob-
byorganisation. Übertroffen wird Grenells
demonstratives Desinteresse an den För-
derern der transatlantischen Partnerschaft
allerdings noch von seinem Machtan-
spruch. Beim Chefposten der Atlantik-Brü-
cke möchte der US-Botschafter dann doch
mitreden.
Als Friedrich Merz (CDU) im Frühjahr
seinen Rücktritt als langjähriger Vorsitzen-
der ankündigte und den ehemaligen Au-
ßenminister Sigmar Gabriel (SPD) als sei-
nen Nachfolger vorschlug, rief Grenell
höchstpersönlich bei der Atlantik-Brücke
an, um sein Missfallen über die Personalie
zu erklären. Dort allerdings lehnte man
seine Ratschläge dankend ab. Grenell woll-
te sich auf Nachfrage zu diesem Vorgang
nicht äußern und ließ mitteilen, dass er für
ein Gespräch mit dem SPIEGELnicht zur
Verfügung stehe.
Das Zerwürfnis zwischen Trumps Mann
in Deutschland und der mächtigsten Or-
ganisation für die transatlantischen Bezie-
hungen mag als Skurrilität des Berliner Be-
triebs erscheinen. Tatsächlich ist es symp-
tomatisch für das deutsch-amerikanische
Verhältnis, das in den vergangenen Mona-
ten einen neuen Tiefpunkt erreicht hat.
»Wir erleben eine Krise in den deutsch-
amerikanischen Beziehungen, wie ich sie
nicht für möglich gehalten habe«, sagt Ni-
cholas Burns, ehemaliger Nato-Botschaf-
ter und heute außenpolitischer Berater des
demokratischen Präsidentschaftsbewer-
bers Joe Biden.
Deutschland ist zum Antipoden von
Trumps Amerika geworden, das ist mit je-
dem Tweet von Grenell spürbar. Die Ent-
fremdung zwischen den einstmals engsten
Verbündeten wächst. Es geht um handfes-
te Interessen und politische Inhalte, aber
natürlich auch um die persönliche Chemie
zwischen Trump und Kanzlerin Angela
Merkel.
Nirgendwo gehen die Überzeugungen
in Berlin und Washington so weit aus -
einander wie beim Thema Iran. Zum ers-
ten Mal in der Geschichte der Bundesre-
publik begründete die deutsche Regierung,
dass sie sich nicht an einem Militäreinsatz
beteiligen wird, explizit damit, dass die
USA den Militäreinsatz führen.
Im Handelsstreit drohen ab November
neue Zölle, und in der Auseinander -
setzung um das Zwei-Prozent-Ziel der
Nato drohte Grenell kürzlich indirekt mit
einem Abzug der US-Truppen aus
Deutschland.
Auf der anderen Seite betreibt Trump
unverhohlen die Spaltung der Europäi-
schen Union. Ganz offen ermuntert er den
neuen britischen Premierminister Boris
Johnson zu einem harten Brexit. Trumps
Sicherheitsberater John Bolton reiste in
dieser Woche nach London, um dort zu
erklären, die USA würden einen Austritt
aus der EU ohne ein Abkommen »mit Be-
geisterung« unterstützen.
Trump hat das Verhältnis zwischen
Deutschen und Amerikanern weit über
die Regierungspolitik hinaus erschüttert.
Die USA sind bei den Deutschen so unbe-
liebt wie kaum je zuvor. Laut einer Erhe-
bung der Atlantik-Brücke sehen 85 Pro-
zent der Deutschen das Verhältnis zu den
USA als negativ oder sehr negativ an.
42 Prozent halten China inzwischen für
einen verlässlicheren Partner. »Es macht
mir Sorgen, dass es bis in die Führungseli-
ten der deutschen Wirtschaft populär ge-
worden ist, Abschied von Amerika zu neh-
men«, sagt Sigmar Gabriel, der neue Chef
der Atlantik-Brücke. »Viele sehen inzwi-
schen die USA als größeren Problemfall
an als China und Russland.«
Die Kommunikation zwischen der deut-
schen Kanzlerin und dem US-Präsidenten
ist auf ein Minimum beschränkt. Während
Merkel mit Trumps Vorgänger Barack
Obama manchmal im Wochenrhythmus
telefonierte, sind die Kontakte mit Trump
äußerst spärlich. »Spontane Anrufe gehö-
ren nicht zu ihrer Beziehung«, sagt ein US-
Diplomat. Oft reden die beiden monate-
lang nicht miteinander.
Auf deutscher Seite hält man Gespräche
mit dem US-Präsidenten meist schlicht für
sinnlos. Sie seien, sagt ein Regierungsver-
treter, von »geringem praktischen Nutz-
wert«. Worüber sollte Merkel auch mit
Trump sprechen? Soll sie ihm sagen, dass
sie seine Iranpolitik für falsch hält? Das
wisse er. Soll sie versuchen, ihn von
seinem Kurs abzubringen? Das sei aus-
sichtslos.
Wenn die beiden sich sehen, ist ihr Aus-
tausch nach Angaben von Teilnehmern di-
rekt und offen. »Es gibt kein Einverständ-
nis, aber auch keine Missverständnisse«,
sagt ein US-Diplomat. Das könnte man so
ähnlich auch über Merkels Verhältnis zu
Wladimir Putin oder Recep Tayyip Er-
doğan sagen.
Merkels Ton in den Gesprächen ist nach
Angaben von Teilnehmern locker, oft
leicht ironisch. Sie nehme Trump auf die
Schippe, aber nie despektierlich. Er wiede -
rum bringe ihr einen »perversen Respekt«
entgegen, sagt ein deutscher Regierungs-
vertreter, auch weil sie sich nicht bei ihm
einschmeichele. Trump sehe Deutschland
14 DER SPIEGEL Nr. 34 / 17. 8. 2019
Deutschland
Abschied von Amerika
AußenpolitikNoch nie seit Gründung der Bundesrepublik war die Achse zwischen Berlin und
Washington so brüchig wie heute. Das Verhältnis zwischen Angela Merkel und Donald
Trump ist zerrüttet, US-Botschafter Grenell heizt lieber die Stimmung an, als zu vermitteln.
»Viele sehen inzwischen
die USA als größeren
Problemfall an als China
oder Russland.«